Abgeordnete im Wahlkreis Bietigheim-Bissingen Ein turbulentes erstes Jahr

Von Frank Ruppert
Tobias Vogt (links) und Tayfun Tok beim Redaktionsbesuch in Bietigheim.⇥ Foto: Oliver Bürkle

Tayfun Tok und Tobias Vogt wurden am 14. März 2021 erstmals in das Parlament gewählt. Zum Ende der Serie blicken beide auf die Lehren zwischen Klärschlamm und Krieg.

Vor einem Jahr, am Abend des 14. März 2021, veränderte sich für Tayfun Tok und Tobias Vogt Vieles. Die beiden Familienväter wurden erstmals in den Landtag gewählt. Tok für die Grünen, Vogt für die CDU. Beide vertreten seither den Wahlkreis Bietigheim-Bissingen. Zum Abschluss der Serie „Neu im Landtag“ haben die beiden mit der BZ über ihre Lehren aus den ersten zwölf Monaten im neuen Amt gesprochen. Aber auch aktuelle Themen wie der Ukraine-Krieg oder die Klärschlammverbrennungsanlage kamen zur Sprache.

Herr Tok, Herr Vogt, was war für Sie rückblickend das Überraschendste im neuen Amt?

Tayfun Tok: Für mich als Quereinsteiger war schon überraschend, wie gut der Landtag, aber auch die Fraktion organisiert ist. Welche Prozesse hinter einem solchen Parlament stehen, sieht man so richtig erst, wenn man direkt drin ist.

Tobias Vogt: Man hatte ja immer viel über die schwierige Stimmung  innerhalb der CDU-Fraktion gehört. Deshalb hat es mich überrascht, wie gut das Miteinander ist.

Sie sind beide Familienväter, Herr Tok, sie haben ein Kind, Herr Vogt, Sie haben zwei Kinder. Wie kriegt man das Familienleben und den neuen anspruchsvollen Beruf unter einen Hut?

Tobias Vogt: Es ist natürlich herausfordernd. Zum Interview heute habe ich mich zum Beispiel etwas verspätet, weil mein Junge länger brauchte, um sich für den Kindergarten fertig zu machen. Wir haben es bislang ganz gut hinbekommen, die vielen politischen Termine und die Familie zu vereinbaren. Ohne die Unterstützung meiner Frau wäre das nicht möglich. Aber in den nächsten Monaten werde ich wieder etwas mehr für sie da sein, denn sie ist seit kurzer Zeit schwanger mit unserem dritten Kind, und darüber freue ich mich riesig

Wie ist das bei Ihnen, Herr Tok?

Tayfun Tok: Meine Frau hat immer die Möglichkeit ein Zeitfenster in meinem Kalender zu blocken. Bislang klappt es bei uns mit dem Freihalten der Wochenenden auch einigermaßen. Das wird nun aber wohl anders, wenn es wieder mehr Veranstaltungen gibt.

Lassen Sie uns thematisch einsteigen. Zuletzt hat vor allem die EnBW mit ihrer geplanten Klärschlammanlage für Schlagzeilen gesorgt. Sie, Herr Vogt, waren Zielscheibe der Kritik des Unternehmens.

Tobias Vogt: Die Kritik war unberechtigt. Aber ich werde authentisch bleiben, auch wenn ich mir dafür mal ein blaues Auge hole. Ich hatte inzwischen eine längere Aussprache mit der EnBW. Wir arbeiten weiter daran, einen Termin für den Runden Tisch hinzubekommen und sind auf einem guten Weg.

Tayfun Tok: Ich bin auch dafür, jetzt nach vorne zu schauen und wir sind es den Bürgerinnen und Bürgern schuldig, dafür Sorge zu tragen, dass alle Argumente auf den Tisch kommen.

Einem neutralen Beobachter muss sich schon die Frage stellen, ob EnBW es überhaupt ernst meint mit der Dialogbereitschaft.

Tayfun Tok: Unsere Aufgabe ist es – meiner Meinung nach – die Parteien zusammenzubringen, damit nicht übereinander, sondern miteinander geredet wird. Was dann geschieht und ob die Anlage gebaut wird, entscheiden weder Tobias Vogt noch Tayfun Tok.

Tobias Vogt: Ich kann nicht bewerten, inwieweit die Dialogbereitschaft von EnBW ernst gemeint ist oder nicht. Ich finde es wichtig zu erwähnen, dass auf der Gegnerseite keine Spinner sitzen, sondern ein ehemaliger Bürgermeister und  Menschen, die sich einfach Gedanken um die zukünftige Nutzung machen. Klar ist, dass eine reine Verbrennungsanlage am Standort nicht genehmigungsfähig ist. Bei einem Kraftwerk sieht das anders aus. Diese Bewertung muss aber an anderer Stelle vorgenommen werden.

Der Ukraine-Krieg hat deutlich gezeigt, dass eine Abhängigkeit von russischem Gas gefährlich werden kann. Erneuerbare Energien können wohl noch nicht alles komplett ersetzen. Müssen nun AKW wie Neckarwestheim weiter betrieben werden?

Tobias Vogt: Als Familienvater, der in der Nähe des Kraftwerks wohnt, sage ich ganz klar: „Nein“. Um künftig nicht mehr abhängig von Gas und Öl von Schurkenstaaten zu sein, müssen wir mehr in die Entwicklung neuer Technologien investieren. Warum sind wir zum Beispiel bei der Kalten Fusion nicht weiter? Da sind andere Länder uns voraus.

Tayfun Tok: Wir von den Grünen sagen ganz klar: „Neckarwestheim geht Ende 2022 vom Netz“. Jetzt muss auch dem Letzten klar geworden sein, dass die Energiewende bitter notwendig ist. Aber auch wir Grünen müssen jetzt unangenehme Gespräche führen, um die Erneuerbaren Energien massiv auszubauen, weil manchmal der Naturschutz Vorhaben entgegensteht. Außerdem müssen Verfahren beschleunigt werden und Bürokratie abgebaut werden.

Dieses Problem ergibt sich oft auch bei Gewerbegebieten. Wie stehen Sie zum Beispiel zu Benzäcker bei Mundelsheim?

Tayfun Tok: Ich sehe den Flächenverbrauch an dieser Stelle kritisch, respektiere aber demokratische Verfahren und finde es mutig, wie Bürgermeister Seitz jetzt vorgeprescht ist mit der Idee eines Bürgerentscheids. Falls das Gewerbegebiet kommen sollte, wäre es aus meiner Sicht wichtig, dass so wenig Fläche wie möglich versiegelt wird und dass dort Platz für hochwertige Industrie und nicht einfach nur Lagerflächen entsteht.

Tobias Vogt: Solche Gewerbegebiete brauchen wir nicht wegen Lagerflächen. Wir brauchen sie, damit dort die innovativen Produkte entwickelt und gebaut werden, mit denen unsere Unternehmen zukünftig Geld verdienen und Arbeitsplätze bieten können.

Flächenverbrauch ist auch beim Wohnraum immer wieder Thema.

Tayfun Tok: Ich freue mich, dass das Thema endlich auch zur Sprache kommt. Wir müssen mehr Wohnraum schaffen und zwar am besten, indem wir höher bauen.

Tobias Vogt: Wir brauchen neue Wohnungen, aber es muss auch nachverdichtet werden. Dabei müssen wir es fördern und beschleunigen, wenn Eigentümer ein bestehendes Haus aufstocken oder anbauen wollen

Welche Ziele streben Sie in den nächsten Jahren an?

Tobias Vogt: Ich möchte in engem Kontakt mit den Bürgermeistern und Gemeinderäten Fortschritte bei den Hauptproblemen im Wahlkreis erreichen: bei den Veränderungen in der Wirtschaftsstruktur, beim Verkehr und beim Abbau unnötiger bürokratischer Vorschriften.

Tayfun Tok: Wir wollen beim Radschnellweg von Bietigheim nach Stuttgart, bei der Bottwartalbahn und bei der Digitalisierung weiter vorankommen. Digitalisierung heißt dabei nicht nur, dass es in den Schulen Tablets gibt, sondern, dass insgesamt die Infrastruktur – vom IT-Administrator bis zu funktionierendem W-LAN bereitsteht. Ein Anliegen ist mir weiterhin dafür zu kämpfen, dass das Versprechen vom Aufstieg wieder mit Leben gefüllt wird. Wer keine Möglichkeit sieht, sich durch Bildung auch wirtschaftlich zu verbessern, ist nämlich zusehends enttäuscht von unserer Liberalen Demokratie.

 
 
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