Thomas Will leitet die Verfolgungsstelle für NS-Verbrechen in Ludwigsburg Noch nicht alle Täter gestellt

Von Michael Soltys
Thomas Will leitet seit Kurzem die Zentrale Verfolgungsstelle für NS-Verbrechen in Ludwigsburg. Auf 1,7 Millionen Karteikarten sind die Daten von mutmaßlichen Tätern und Zeugen erfasst.⇥ Foto: Martin Kalb

Thomas Will leitet seit kurzem die Verfolgsstelle für NS-Verbrechen. Ihr Auftrag geht zu Ende, erste Ideen für eine Nachfolgelösung werden entwickelt.

Wir ermitteln solange, wie es verfolgbare Täter gibt.“ Mit diesen Worten beschreibt Thomas Will, was die Justizministerien der Länder von ihm erwarten, auch wenn abzusehen ist, dass der Arbeitsauftrag seiner Behörde sich dem Ende nähert. Übergangsweise seit Februar und seit Kurzem auch offiziell leitet der 60-jährige Oberstaatsanwalt die Zentrale Stelle zur Aufklärung von NS-Verbrechen in Ludwigsburg.  Aktuell haben er und seine 20 Mitarbeiter 16 ehemalige Wachmänner von Konzentrationslagern, Männer und Frauen, im Visier, der Jüngste ist bereits 93 Jahre alt.

Wachleute im Visier

Die Konzentrationslager in Buchenwald, im österreichischen Mauthausen, in Neuengamme bei Hamburg, in Sachsenhausen und im polnischen Stutthof, das sind die Orte, an denen die Männer und Frauen in der NS-Zeit Dienst hatten. Sie sollen auch 65 Jahre nach Kriegsende zur Verantwortung gezogen werden. Die Ermittlungsakten gegen sie hat Thomas Will längst an die zuständigen Staatsanwaltschaften übergeben, die weiter ermitteln und Anklage erheben. So will es die Übereinkunft der Justizministerien der Länder, die zur Gründung der zentralen Verfolgungsstelle im Dezember 1958 führte.

Die großen Verfahren gegen die Haupttäter, wie etwa gegen den in Stuttgart 1992 verurteilten Lagerkommandanten Josef Schwammberger, sind längst abgeschlossen. Gegen ihn hatte Wills Vorvorgänger Kurt Schrimm ermittelt. Jetzt geht es eher darum, die Helfer des NS-Massenmordes vor Gericht zu bringen. Allzu lange unterstellten Staatsanwaltschaften bei der Strafverfolgung, dass diese vermeintlich nachrangigen Täter nicht anders handeln konnten, weil sie irrig angenommen hätten, dass ihnen ansonsten schwere Nachteile, wenn nicht gar der Tod drohte. Juristen nennen das einen „Putativnotstand“, erläutert Will.

Doch diese Ansicht ist hinfällig. Was zur Beihilfe führte, waren der innere Druck in der SS, „Kumpanei und Verrohung“, sagte Will. Für eine Verurteilung wegen Beihilfe zum Mord reiche es heute aus, den Nachweis zu erbringen, dass in einem Konzentrationslager Dienst geleistet wurde, als dort Menschen erkennbar systematisch entweder aktiv ermordet wurden, oder man sie durch schwere Arbeit, Hunger und unbehandelte Krankheiten in den Tod trieb. Das sei durch einen Beschluss des Bundesgerichtshofes vom September 2016 bestätigt, so Will. Gerade diese Entscheidung „hat uns einen Schub gegeben“, sagt Will, um weitere Täter zur Verantwortung zu ziehen.

Zuvor wurde 2011 beispielsweise John Demjanuk angeklagt, Wachmann in Sobibor. Zuletzt im Juli diesen Jahres wurde ein ehemaliger Wachmann des Konzentrationslager Stutthof zu zwei Jahren Haft auf Bewährung verurteilt. Er bekam aber nach Jugendstrafrecht sein Urteil, weil er zum Zeitpunkt der Taten teilweise erst 17 Jahre alt war. „Es geht auch um die Feststellung der Schuld“, nennt Will die juristische Motivation.

Doch es ist abzusehen, das solche Urteile immer seltener werden, weil schlicht die Täter vorher sterben, weil sie nun im fortgeschrittenen Alter sind. Was wird dann aus der zentralen Verfolgungsstelle und ihren zeitgeschichtlich aufschlussreichen Akten? Es gibt ein erstes Konzept für die Zukunft, sagt Will, eine Art „Ideenwerkstatt“. Die Landesjustizministerien haben bereits 2015 den Auftrag erteilt, eine Nachfolgelösung zu erarbeiten. Danach soll die NS-Verfolgungsstelle ein „Erinnerungs-, Geschichts- und Lernort“ werden.

Eine erste Idee

Zu einem kleinen Teil ist sie das schon. Schon im Jahr 2000 hat das Bundesarchiv in Ludwigsburg eine Außenstelle gegründet, Akten neu registriert und dauerhaft haltbar gemacht. Eine kleine Forschungsstelle der Universität wurde ebenfalls eingerichtet. Schulklassen besuchen wöchentlich die Archive und informieren sich über die Arbeit der Juristen, was aktuell in Corona-Zeiten allerdings nicht möglich ist.

Über die Ausgestaltung dieses Konzepts muss ebenso noch gesprochen werden wie über die Finanzierung. Klar ist für Will: „Wir sind keine Tatort-Gedenkstätte.“ Mit anderen Worten: Es kann im Haus in Ludwigsburg nicht um eine Dokumentation der NS-Vernichtungsmaschinerie gehen.

Im Mittelpunkt  einer derartigen Gedenkstätte dürfte eher die Geschichte der Strafverfolgung und die Wechselwirkung mit der Geschichte der Bundesrepublik stehen und damit auch die Frage, wie der junge Staat mit den Verbrechen und den Verbrechern der Vergangenheit umging. Ein früherer Vorwurf gegen die  NS-Verfolgungsstelle habe beispielsweise gelautet, dass „man dort Vaterlandsverrat und Nestbeschmutzung verübe“, sagt Thomas Will.

 
 
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