Die AfD-Fraktion im Ludwigsburger Gemeinderat fiel bislang kaum auf – mal emotional, teils kooperativ, insgesamt unauffällig seit ihrer Wahl im Sommer des vergangenen Jahres. Das hat sich nun schlagartig geändert. In der jüngsten Gemeinderatssitzung stellte die Fraktionsvorsitzende Carina Kuhnke öffentliche Behauptungen über angebliche Verbindungen des Jugendgemeinderats Abdi Ahmed zur Antifa Vernetzung Ludwigsburg auf. Das Problem: Die Vorwürfe sind unbelegt – und der 18-Jährige fühlt sich diffamiert.
AfD stellt Jugendlichen an Pranger AfD wirft Jugendgemeinderat Antifa-Nähe vor – Der fühlt sich diffamiert
Ludwigsburgs AfD-Fraktionsvorsitzende Carina Kuhnke hat einen minderjährigen Jugendgemeinderat mit nebulösen Antifa-Vorwürfen belastet. Nun stellt sich heraus: An den Anschuldigungen scheint nichts dran zu sein.
1. Was ist in der Gemeinderatssitzung passiert?
Ende Februar, letzter Tagesordnungspunkt des öffentlichen Sitzungsteils: Der Gemeinderat beschließt, dass Mitglieder des Jugendgemeinderats künftig nicht gleichzeitig dem Gemeinderat angehören dürfen – eigentlich ein unspektakulärer Punkt.
Dann ergreift die AfD-Fraktionsvorsitzende Carina Kuhnke das Wort und erhebt unvermittelt Vorwürfe gegen Abdi Ahmed. Der sei als Jugendgemeinderat nicht nur SPD-Parteimitglied und damit nicht neutral – er würde auch noch an Kundgebungen der Antifa teilnehmen. Stadträte berichten im Nachgang, die Vorwürfe seien aus dem Nichts gekommen und hätten für erhebliche Irritation gesorgt. Besonders empört zeigte man sich darüber, dass ein Jugendgemeinderat so öffentlich an den Pranger gestellt wurde – ohne Möglichkeit zu reagieren.
2. Wie reagiert Abdi Ahmed auf die Vorwürfe?
Abdi Ahmed äußert sich am Dienstagnachmittag zu den Vorwürfen, es ist sein 18. Geburtstag. Die vergangenen Tage sei ziemlich viel los gewesen, sagt er. Er habe viele Gespräche geführt, unter anderem mit Oberbürgermeister Matthias Knecht.
Erst allmählich sei ihm klar geworden, dass sich die AfD-Vorwürfe auf eine Situation im Juni 2024 beziehen – mitten im Kommunalwahlkampf. Am 8. Juni versuchten die Parteien der Stadt an Ständen auf dem Marktplatz die Passanten zu überzeugen. Die AfD hatte ihren Wahlkampfstand am Marstallcenter aufgebaut, was laut Ahmed einige junge SPD-Mitglieder dazu veranlasste, als eine Art Gegengewicht ebenfalls vor dem Marstallcenter Flyer zu verteilen.
Erst später sei ein Demonstrationszug, unter anderem mit der Antifa Vernetzung Ludwigsburg, hinzugekommen und hätte den AfD-Wahlstand gestört. Die SPD-Gruppe sei etwas weiter hinten gestanden und hätte mit der aufgeheizten Stimmung nichts zu tun gehabt, sagt Ahmed: „Aus dieser Sache spinnt die AfD im Gemeinderat jetzt den Vorwurf, dass ich die ganze Zeit bei Antifa-Demos bin.“
Ahmed kritisiert aber auch die Art und Weise der Unterstellung. „Mich namentlich zu nennen und zu diffamieren – das finde ich total unprofessionell.“ Nur einige Wochen vor den Vorwürfen sei Kuhnke mit anderen Stadträten beim Jugendgemeinderat zu Gast gewesen. „Da hätte es ausreichend Möglichkeiten gegeben, diese Kritik anzusprechen.“ Stattdessen habe Kuhnke den öffentlichen Teil der Gemeinderatssitzung für diesen Angriff genutzt, sagt Ahmed.
3. Wie reagiert Matthias Knecht?
Oberbürgermeister Matthias Knecht zeigte sich in der Sitzung zunächst zurückhaltend – er verwies lediglich darauf, dass Kuhnkes Wortmeldung nicht zum Tagesordnungspunkt passe. Inzwischen hat er sich jedoch positioniert.
Er habe Fotos und Videos von dem besagten Wahlkampftag gesichtet, auf denen Ahmed angeblich mit der Antifa in Verbindung steht, schreibt Knecht in einer Stellungnahme an die Stadträte. „Für mich ist dabei kein zurechenbares, aktives Tätigwerden in den Reihen der Antifa sichtbar geworden.“ Abdi Ahmed habe sich in einem gemeinsamen Gespräch zudem ausdrücklich von der Antifa distanziert.
Knecht verweist auch auf die Aktion „Pizza & Politik“ vor einigen Wochen, bei der sich bereits gezeigt habe, dass Ahmed nichts mit der Antifa Vernetzung Ludwigsburg zu tun hat.
Der Jugendgemeinderat veranstaltete Mitte Februar eine Diskussionsrunde mit allen Bundestagskandidaten. Die Antifa demonstrierte gegen die Veranstaltung und warf dem Jugendgemeinderat vor, AfD-Kandidaten eine Bühne zu bieten. Abdi Ahmed zeigte sich als Sprecher des Jugendgemeinderats enttäuscht von der Antifa-Aktion und kritisierte die fehlende Kommunikation der Demonstranten.
In der Stellungnahme an die Stadträte schreibt Knecht aber auch, dass er Ahmed deutlich gemacht habe, „dass ich die Handlungen der Antifa für inakzeptabel und keinesfalls hinnehmbar halte“. Warum er das ausgerechnet dem Jugendgemeinderat klar macht, der gerade von der AfD ungerechtfertigt in die Nähe der Antifa gerückt wurde, lässt Knecht in der Stellungnahme offen.
Dann rügt Knecht das Vorgehen der AfD: „Namen, von sogar damals noch minderjährigen Personen, in öffentlicher Sitzung anzusprechen, insbesondere wenn der Vorwurf nicht ausreichend geklärt ist, ist zu unterlassen.“ Ein solches Vorgehen in öffentlicher Sitzung sei inakzeptabel. „Frau Kuhnke hat mir im persönlichen Gespräch zugesichert, sich daran in der Zukunft strikt zu halten.“
4. Was sagt die AfD?
Eine Presseanfrage dieser Zeitung an Carina Kuhnke blieb unbeantwortet. Stattdessen meldet sich AfD-Kreisrätin Beate Maier zu Wort. Sie betont, Abdi Ahmed habe im vergangenen Sommer bei der Aktion am Wahlstand „in den Reihen der Antifa“ gestanden. Konkrete Hinweise auf eine Zusammenarbeit zwischen Ahmed und der Antifa liefert Maier allerdings nicht.
5. Melden sich andere Stadträte zu Wort?
Sechs Stadträte der Grünen, CDU, Freien Wähler, SPD, FDP und Linke haben in ihrer Funktion als „Paten des Jugendgemeinderats“ am Dienstag einen Brief veröffentlicht. Sie seien entsetzt über das Verhalten der AfD, der Angriff sei völlig zusammenhangslos gewesen. „Hinzu kam, dass der Betroffene gar nicht anwesend war und somit in Abwesenheit diffamiert wurde.“
Die Patinnen und Paten würden auch nicht jede Haltung oder politische Richtung im Jugendgemeinderat teilen, aber das sei völlig in Ordnung – das gehöre zur demokratischen Meinungsvielfalt. Persönliche Angriffe dieser Art seien nicht zu tolerieren.