Etwas mehr als ein Jahr ist es nun her, dass die Apotheken-Mitarbeiter bundesweit auf die Straßen gegangen sind, um auf ihre prekäre Situation aufmerksam zu machen. Am 14. Juni 2023 blieben auch viele Apotheken im Landkreis Ludwigsburg geschlossen oder haben nur einen Notdienst angeboten – unter anderem thematisierten sie die Lieferengpässe sowie eine unangemessene Bezahlung von Apothekenleistungen. Wie sieht es nun aus – wurde mittlerweile auf die Forderungen der Apothekerinnen und Apotheker eingegangen? Die BZ hat bei drei Apotheken im Kreis nachgefragt.
Apotheken im Kreis Ludwigsburg Die Probleme überwiegen weiterhin
Lieferschwierigkeiten, Bürokratie und eine unangemessene Vergütung – das gehört zum Alltag von Apotheken. Die BZ hat nachgefragt, ob sich seit dem Streik am 14. Juni 2023 etwas verändert hat.
Keine Erleichterung
„Leider hat sich nichts geändert“, sagt Regina Schoch-Grimm von der Schloss-Apotheke Großsachsenheim. Weiterhin gebe es Lieferengpässe, die Ursachen hierfür seien vielschichtig. Unter anderem gebe es für bestimmte Wirkstoffe gar keine Produktion mehr in Europa, aufgrund von übertriebenen Einsparungen seien sie dann aus dem Ausland oft nicht lieferbar.
„Auch die Vergütung ist gleich geblieben“, meint Schoch-Grimm weiter. Seit 2013 wurde die Apothekenvergütung nicht angehoben. Im Zehn-Punkte-Katalog, der im vergangenen Jahr mit Forderungen an die Politik formuliert wurde, fordern die Apotheken eine Anhebung von 8,35 Euro auf zwölf Euro. „Und natürlich herrscht weiterhin viel zu viel Bürokratie“, fügt die Inhaberin der Schloss-Apotheke hinzu.
Als positiv hebt sie die Abschaffung der Präqualifizierung, das ist eine Sammelbescheinigung verschiedener Nachweise für Apothekerinnen und Apotheker, hervor. „Das ist eine große Erleichterung“, so Schoch-Grimm. Beim Thema E-Rezept wünscht sich die Apothekerin eine bessere Kommunikation mit den Ärzten. „Man kommt meist schlecht bei den Praxen durch, wenn noch etwas auf dem Rezept zu korrigieren ist. Aber auch die sind überbelastet, es ist einfach eine schwierige Situation“, meint sie.
„Die Vergütung muss angepasst werden, sonst schließen noch mehr Apotheken“, antwortet die Apothekerin auf die Frage, was unbedingt passieren muss, und weiter: „Auch die Bürokratie muss endlich vollständig abgebaut werden. Die ganze Vor- und Nachbereitung eines Rezepts ist so aufwendig.“ Die Produktion wichtiger Wirkstoffe sollte ihrer Ansicht nach nach Europa verlagert werden, um Lieferschwierigkeiten endlich abbauen zu können.
Dramatische Lage
Auch der Inhaber der Apotheke im Breuningerland, Albert Mäurer, ist sich sicher: Es hat sich nichts getan. „Seit 30 Jahren bin ich nun im Geschäft und die Lage war noch nie so schlimm wie aktuell“, sagt er. Auch er spricht die Lieferschwierigkeiten an: „Seit sechs Monaten ist beispielsweise ein Notfall-Asthma-Spray nicht lieferbar. Da steht der Kunde dann enttäuscht vor mir und ich kann nichts tun“, meint Mäurer. Das System stehe auf der Kippe, „die Bevölkerung altert schließlich, es gibt also einen höheren Bedarf an Arzneimitteln.“
Die Situation verschärft sich
Die Situation verschärfe sich stündlich. „Mehr als einmal am Tag muss eine Apotheke mittlerweile schließen.“
Das stimmt, denn laut Angaben der Bundesvereinigung deutscher Apothekerverbände (Abda), die am 6. Juni dieses Jahres veröffentlicht wurde, schreitet das Apothekensterben voran: 2023 gab es nur noch 17.571 Apotheken in Deutschland, auch seit Jahresbeginn 2024 sind noch einmal 142 Schließungen hinzugekommen. Zum Zeitpunkt des Gesprächs mit der BZ fanden in Erfurt und Dresden Demonstrationen gegen die geplante Reform des Apothekengesetzes statt, auch mit Unterstützung von Kollegen aus Bayern, Baden-Württemberg und Hessen.
„Wir verweisen auch immer wieder auf Unterschriftenaktionen, an denen unsere Kunden teilnehmen können“, meint Mäurer. Unbedingt müsse darauf aufmerksam gemacht werden, wie die Politik die Probleme der Apotheken negiert.
Personal durch Gesetz sparen
Am 12. Juni hat Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach den Referentenentwurf zum „Gesetz für eine Apothekenhonorar- und Apothekenstrukturreform“ vorgelegt. Um Personal zu sparen, sollen Apotheker in Zukunft neben einem Hauptstandort drei weitere Filialen und zwei kleinere Zweigstellen leiten dürfen. Der Apotheker müsse dann nur noch acht Stunden pro Woche vor Ort sein, in der übrigen Zeit reiche es, wenn eine Pharmazeutisch-Technische Assistenz (PTA) da ist. Ein Apotheker oder eine Apothekerin müsse im Zweifel per Videoanruf zugeschaltet werden können.
„Da werden Kunden dann leider nicht bei gleicher Qualität bedient. Ein Hochschulstudium mit entsprechenden Weiterbildungen ist einer PTA-Ausbildung einfach nicht ebenbürtig“, findet Mäurer.
Bürokratie erschwert den Alltag
Auch das ewige Thema der Entbürokratisierung spielt in seinem Alltag eine Rolle. Ein Beispiel: Für ein Infusionsbesteck mit Kanüle, das ursprünglich 3,30 Euro kostet, gibt Mäurer dem Patienten Rabatt. Beispielsweise müssten noch 33 Cent gezahlt werden. „Der Patient muss das aber mit Unterschrift und Datum auf dem Rezept bestätigen. Ich verstehe, dass beim Empfang eines Hilfsmittels auf dem Krankenbett auf solche Dokumentationen geachtet werden muss. Dass aber wegen wenigen Centbeträgen ein solcher Aufwand betrieben werden muss – die Bürokratie muss endlich abgebaut werden.“
Albert Mäurer freut sich über die Gespräche mit seinen Kunden. „Der Beruf macht mir großen Spaß, ich berate meine Kunden gerne. Durch die ganzen Umstände ist es nur schwierig, so richtig für sie da zu sein“, sagt er. Auch junge Leute für den eigentlich schönen und wichtigen Job zu begeistern, sei schwierig, „einfach, weil das Negative so im Vordergrund steht.“
Er ist sich sicher: Der Kipppunkt ist allmählich erreicht, sonst müssen noch mehr Apotheken schließen. Die Politik muss endlich handeln.
Kritik am BGH-Urteil
Aus Sicht von Jan Siegel hat sich die Situation seit dem Vorjahr eher noch verschlechtert. Der 32-Jährige hat kürzlich die Apotheke im Buch in Bietigheim-Bissingen übernommen. Es ist neben der Palmschen Apotheke in Freiberg und der Schiller-Apotheke in Marbach sein dritter Betrieb. Insgesamt hat er 55 Mitarbeiter. Siegel ist zudem im Beirat des Landesapothekerverbands Baden-Württemberg für den Kreis Ludwigsburg zuständig.
Schuld an der sich verschlechternden Situation seien nicht nur die bereits genannten Punkte. Momentan verursache auch die Rechtssprechung große Verluste für die Apotheken. Der Bundesgerichtshof (BGH) hatte im Februar Herstellerrabatte für verschreibungspflichtige Medikamente beschränkt. Bislang räumten Pharmahersteller Apotheken dafür bis zu sechs Prozent Skonto ein, sagt Siegel.
Nach der neuen BGH-Rechtssprechung sind solche Rabatte ab einer Grenze von 3,15 Prozent unzulässig, weil sie gegen die Preisbindung verstoßen. Dem Urteil liegt eine Klage der Wettbewerbszentrale gegen den Pharmahändler Haemoto zugrunde.
Für die Apotheken bedeute das einen Umsatzverlust von 22.000 bis 30.000 Euro, so Siegel. Für ihn selbst mit drei Standorten sogar eine sechsstellige Summe. „Das schmerzt schon“, sagt er. Es gebe Fälle, in denen Apotheken auf die Mindereinnahmen mit Personaleinsparungen und Entlassungen reagierten, erzählt er. Um eine Beschleunigung des Apothekensterbens zu verhindern, müsse das Skonto-Verbot wieder fallen, fordert Siegel.
„Wir sind alle darauf angewiesen, denn die Apothekenvergütung reicht nicht aus, um die Kosten zu decken.“ Diese müsse daher endlich angehoben werden – eine Kernforderung der Apothekerschaft. „Wir bekommen immer noch dasselbe wie vor 20 Jahren, aber alle anderen Kosten steigen ständig“, kritisiert er. „Andernfalls“, so seine düstere Prognose, „ist in zehn Jahren jede zweite Apotheke dicht.“