Archäologische Grabungen Schicht für Schicht in die Vergangenheit

Von Susanne Walter
Im südlichen Gelände an der Bönnigheimer Cyriakuskirche finden archäologische Grabungen statt. Unter dem Stelzenhaus kam unerwartet eine Pflasterung ans Licht.⇥ Foto: Susanne Walter

Seit Wochen gräbt sich ein Team im Auftrag des  Amts für Denkmal­pflege durch den lehmigen Boden im Städtle von Bönnigheim.

Wo bis vor wenigen Monaten noch halb zerfallene Häuser standen tauchen plötzlich Spuren des alltäglichen Lebens aus längst vergangener Zeit auf. Wochenlang waren Archäologen, Grabungsarbeiter und Studenten jetzt mit der spannenden Aufgabe beschäftigt zu schauen, wie die Keller zu den abgebrochenen Häusern aussahen und was sich an Schichten noch darunter befindet.

Ganz nahe der Cyriakuskirche wurden ehemals denkmalgeschützte Häuser abgebrochen, weil ihre Bausubstanz so marode war, dass sie wohl nicht mehr zu retten waren. „Sie haben ihre Denkmaleigenschaft verloren. Immer wenn historischer Grund neu bebaut werden soll, wie es hier der Fall ist, schaltet sich das Landesamt für Denkmalpflege Baden-Württemberg ein und untersucht den Boden, bevor eventuell interessante Spuren menschlicher Besiedlung für immer verloren gehen“, erklärt Nasser Ayash, der Grabungsleiter. Und weil der alte Ortskern nahe der Stadtkirche wohl zu den ältesten Spuren menschlicher Besiedlung in Bönnigheim gehört, waren hier auch Funde aus mittelalterlicher Zeit zu erwarten.

So wurde der Teil nahe der Cyriakuskirche, auf dem unter anderem das Stelzenhaus stand, zum „archäologischen Prüffall“. Der Stadt Bönnigheim wurde diese Grabung auferlegt, auch was die Kosten angeht (die BZ berichtete). Danach sei das Gelände dann „archäologiefrei“. „Ein potentieller Investor hat also diesbezüglich nichts mehr zu erwarten“, betont Jürgen Lais, der von Seiten der Stadt Bönnigheim für die Grabung zuständig ist.

Archäologisches Arbeiten ist ähnlich wie Puzzeln: Akribisch teils mit Spachtel und Pinsel legten die Grabungsleute Schicht um Schicht frei, fanden Grundrisse alter Keller, historische Abwasserleitungen, die teils noch immer mit großen Steinplatten bedeckt sind, Reste von Brunnen oder Zisternen und einen geräumigen Keller, der auf ein Haus wohlhabender Bürger darüber schließen lässt. Das Haus steht schon lange nicht mehr. „Später wurden zwei kleinere Häuser darüber gebaut und die Bewohner teilten sich diesen Keller“, erklärt Grabungsleiter Nasser Ayash.

Die Zeit vor 1700

Für ihn und sein Team war besonders spannend herauszufinden, welche Siedlungsspuren sie aus der Zeit vor 1700 finden würden, denn durch den Rathausbrand 1945 in Bönnigheim sind Teile des Stadtarchivs mitabgebrannt. „Quellen, die von der Bebauung vor 1700 berichten, sind zum Großteil dabei zerstört worden“, weiß der Bönnigheimer Heimatforscher Kurt Sartorius, der mit dem Grabungsteam im engen Kontakt steht.

Noch immer sind Grabungsarbeiter zugange und putzen fein säuberlich den Dreck von Jahrhunderten von den Steinen, aber nicht mehr lange. In Kürze räumen sie das Feld, so dass einer neuzeitlichen Nutzung des Areals nichts mehr im Weg steht. „Genau das war spannend für uns: Zu sehen welche Siedlungsspuren aus mittlalterlicher Zeit wir finden würden. Im Urkataster, der ersten amtlichen Vermessung vom Land Baden Württemberg, waren alle Gebäude eingezeichnet bis auf eines“, stellt Nasser Ayash fest. Theorie ist eins, die Realität derer, die wochenlang fleissig graben, eine andere.

Frühe Abwasserkanäle

Interessant war für Ayash und sein Team auch die Art und Weise, wie die Bönnigheimer die Abwasserfrage in alter Zeit gelöst haben. „In vier Kellern haben wir am Rand, entlang der Mauern eine Kanalisierung gefunden.“ Mit Be- und Entwässerungsrinnen haben Ayash und seine Leute gerechnet, nicht aber mit Abwasserleitungen, deren Abdeckplatten so groß sind, dass sie wie ein Fußweg über das Leitungssystem führen. Fesselnd war für das Grabungsteam vor allem die Tatsache, dass hier in verschiedenen Zeitstufen übereinander gebaut wurde und jede Bauphase ihre Spuren hinterlassen hat.

Die mondäne Abwasserrinne, die mitten durch das Grabungsgelände führt, stammt zum Beispiel aus dem 19. Jahrhundert. „Wir haben in ihrer Nähe eine Münze gefunden“, sagt Ayash augenzwinkernd. Nicht selten geben solche Fundstücke aus der selben Bodenschicht Auskunft über die Datierung. Immer wieder tauchten in den letzten Wochen Besonderheiten auf, die die Mühe der Grabungsarbeiter belohnten. Man fand einen Brunnen mit einem Steinkranz, der im Moment noch ins Auge sticht, wenn man sich der Baustelle nähert. Der Brunnen hat sogar eine steinerne Bodenplatte, daneben eine sauber gefasste Steingrube. „Für eine Güllegrube ist sie zu akkurat gearbeitet. Es könnte sein, dass sie als Farbbecken gedient hat. „Eine Häuserreihe weiter befand sich eine Gerberei“, spekuliert Ayash.

Unter dem Stelzenhaus kam unerwartet eine Pflasterung ans Licht. „Vieleicht war das einmal ein Innenhof?“, so die Überlegungen des Grabungsteams. Manches muss im Dunkeln bleiben. Anderes blitzt unerwartet auf. „An einer Kellermauer fanden wir acht Nachgeburtstöpfe aus Ton“, verkündet Ayash. Heimatforscher Sartorius hat bekanntlich, was den Brauch der Nachgeburtsbestattung in Süddeutschland angeht, herausgefunden, dass dieser hier verbreitet war. „Im Keller wurde ein Loch gemacht und die Töpfe unter eine Steinplatte gestellt.“ Dieses Ritual sollte das Leben des Kindes schützen. „Man glaubte, dass ein geistliches Wesen in der Plazenta wohnte und von dort aus eine Verbindung zum Kind hat. Wenn das Wesen schlecht behandelt wurde, stirbt das Kind an einer Krankheit oder einem Unfall. Zuerst war der Brauch in China bekannt“, macht Sartorius deutlich. Auch im Keller des abgerissenen „Handtuchhauses“ direkt neben dem Cyriakus-Pfründhaus wurde ein solcher Nachgeburtsttopf unter einer Steinplatte gefunden.

Immer wieder kommen Interessierte vorbei und schauen sich die neuen Funde und die Veränderungen auf der Baustelle an. „Manche kommen jeden Tag an den Bauzaun, halten mit uns ein Schwätzle und zeigen Interesse“, erzählt Ayash. Seit dem Spätsommer gräbt sich das Team der Südwest-Archäologie unter seiner Leitung durch die verschiedenen Erdschichten, die so viele Siedlungsspuren aus vergangenen Jahrhunderten in Bönnigheim enthalten.

„Die Kirche ist das Herzstück vom Städtle. Um sie herum sind Spuren zu erwarten gewesen, die älter sind als die Häuser aus dem 17, 18. und 19. Jahrhundert, die darauf bis vor kurzem noch standen. Tatsächlich gibt es hier ,vergessene Ecken’, wo man mittelalterliche Keramik fand, Stellen, die versteckt lagen und diesen Teil der Geschichte bis heute für uns bewahrten“, so Ayash. In wenigen Tagen wollen er und seine Grabungsarbeiter Bönnigheim ihre Arbeiten beenden.

 
 
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