Insgesamt sechs Jahre und vier Monate hat Yirgalem Fisseha Mebrahtu in Eritrea in Haft gesessen – ohne Anklage und Gerichtsverfahren. Unter dem Titel „Mundtot gemacht“ erzählte die Lyrikerin und Journalistin am Donnerstagabend im Museum Hohenasperg über ihr Leben. Bei der Tandemführung zeigte Kuratorin Dr. Franziska Dunkel vom Haus der Geschichte die Parallelen zu den autoritären Seiten der württembergischen Geschichte auf.
Asperg „Die Zellentür hat mich an meine Zelle erinnert“
Um freie Meinungsäußerung in Eritrea und im historischen Württemberg ging es im Museum Hohenasperg bei der Tandemführung mit der Lyrikerin Yirgalem Fisseha Mebrahtu und Kuratorin Dr. Franziska Dunkel.
Sechs Jahre in Haft
„Ich habe nichts getan“, sagte Yirgalem Fisseha Mebrahtu. Die 1981 in Eritrea geborene Lyrikerin arbeitete bis zum Verbot privater Medien 2001 als Journalistin und veröffentlichte Gedichte. Für das Radio des eritreischen Bildungsministeriums produzierte sie Gesundheitsnachrichten und Interviews mit Ärzten. Am 9. Februar 2009 wurde sie mit rund 30 weiteren Personen verhaftet. Der Vorwurf: Verbindung zu ausländischen Medien und ein vermeintlich geplantes Attentat auf den Präsidenten.
Die ersten beiden Jahre verbrachte sie in Isolationshaft im Mai Srwa-Gefängnis, wo sie auch gefoltert wurde.
„Wir durften nicht sprechen und nicht schreiben“, sagte Mebrahtu, die auf vier Quadratmetern eingesperrt war, nur durch ein kleines Fenster bekam sie etwas frische Luft und Nahrung gereicht. Dennoch gelang es ihr, auf Zeitungsfetzen Gedichte zu verfassen und zu verstecken, die sie später in dem Buch „Ich bin am Leben“ veröffentlichte. Beim Schreiben im Verborgenen „waren wir sehr kreativ“, sagte Mebrahtu. Jeder habe dabei seine eigene Technik entwickelt.
2015 aus der Haft entlassen, versuchte sie zwei Jahre später zu fliehen, wurde aber festgenommen und erneut vier Monate inhaftiert. Anschließend gelang ihr die Flucht nach Deutschland. 2018 erhielt sie ein Stipendium der Schriftsteller-Vereinigung PEN und lebt seitdem in München. 2019 erhielt sie den Preis für Meinungsfreiheit des PEN Eritrea. Reporter ohne Grenzen nahm sie 2014 in die Liste der „100 Helden der Pressefreiheit“ auf.
„Hat Deine Zelle ein Loch?“
Als Kuratorin Franziska Dunkel vor der Zellentür des Dichters, Komponisten und Publizisten Christian Friedrich Daniel Schubart an dessen isoliertes Schicksal auf dem Hohenasperg erinnerte, wurden die Paralleln zu Mebrahtus Leben deutlich. „Die Zellentür hat mich an meine Zelle erinnert“, sagte Mebrahtu und zeigte, wie winzig das Fenster darin gewesen war.
„Hat Deine Zelle ein Loch, um Luft und Sonnenlicht hineinzulassen?“, fragte die Lyrikerin in einem Brief ihren früheren Verleger Amanuel Asrat. Emotional bewegt las sie daraus vor. Der Verleger der „Zemen-Zeitung“ wurde damals ebenfalls inhaftiert und gilt seit 20 Jahren als verschwunden.
Kein Einzelschicksal, wie Amnesty International (AI) zeigt: In Eritrea, das autoritär regiert wird, gibt es weder ein Parlament noch unabhängige Gerichte. Es ist das einzige Land ohne Verfassung. Laut AI nahmen die Behörden auch 2023 Journalisten, Indigene, politisch Andersdenkende und Mitglieder religiöser Gemeinschaften willkürlich in Haft und ließen sie verschwinden. Es seien noch mehr Menschen auf unbestimmte Zeit zum obligatorischen Militärdienst eingezogen. Frauen im Militärdienst waren sexualisierter Gewalt ausgesetzt.
Keine Hoffnung auf Besserung
Yirgalem Fisseha Mebrahtu trug ein Gedicht vor über die Tochter des Mannes, der die rechte Hand des eritreischen Diktators gewesen war. Als deren Vater das Land verließ, befahl der Machthaber dessen Tochter ins Gefängnis zu werfen – sie war damals gerade einmal 15 Jahre alt.
„Ich bin glücklich, dass ich nach Deutschland kommen konnte“, sagte die Schriftstellerin. Sie verstehe niemanden, der das diktatorische Regime von Europa aus unterstütze. Hoffnung, dass sich die Situation in ihrem Heimatland bessern wird, hat sie jedoch keine.Claudia Mocek