Asperg Mütteralltag sichtbar machen

Von Petra Neset-Ruppert
Die Aspergerin Nicole Noller hat gemeinsam mit Natalie Stanczak das Projekt „Faces of Moms“ geplant und umgesetzt. Daraus entstand das Buch „Bis eine* weint!“. Foto: /Sandsack

Nicole Noller aus Asperg hat mit Natalie Stanczak das Social Media Projekt „Faces of Moms*“ ins Leben gerufen und zeigt damit wie tief tradierte Rollenbilder in der Gesellschaft verankert sind.

Wie krass das ist, was alles von einem erwartet wird, und dann will man auch noch man selber sein. Das geht vielen Müttern und Carepersonen so“, sagt Nicole Noller und bezieht sich damit auf die vielen Aufgaben, die mit einer Mutterschaft einhergehen. Dazu gehört mehr und mehr auch das Jonglieren zwischen Berufsleben und Kinderbetreuung. Gerade die Coronapandemie forderte da vieles, besonders auch von den Müttern, denn sie waren häufig diejenigen, die teils neben Vollzeitjobs auch noch Homeschooling, Kinderbetreuung und Haushalt meisterten oder die Arbeitszeit reduzieren mussten. „Corona war wie ein Brennglas und hat viele Mütter auch wieder in die 60er Jahre zurückkatapultiert“, sagt die Aspergerin.

Gemeinsam mit ihrer Freundin Natalie Stanczak, die Soziologin und Fotografin ist, hatte sie sich schon immer intensiv über verschiedene Lebensthemen ausgetauscht. Als die Kinder kamen, waren dann eben auch Themen zu Mutterschaft und Care-Arbeit Mittelpunkt ihrer Gespräche. Die beiden Freundinnen fingen an, sich mit der eigenen Sozialisation und den damit einhergehenden tradierten Rollenbildern in ihren eigenen Familien auseinanderzusetzen. Zu Beginn der Pandemie kam den beiden Frauen dann die Idee, die Erfahrungen von Müttern und Carepersonen über einen Fragebogen sichtbar zu machen und zu zeigen, welchen Herausforderungen eine Mutter in der heutigen Gesellschaft gegenübersteht.

580 Interview in drei Jahren

Über Instagram erstellten sie den Account „Faces of Moms*“, um die Geschichten zu erzählen, die hinter jedem dieser Care-Gesichter stehen. „Circa 580 Interviews haben wir innerhalb von drei Jahren mit vielen verschiedenen Carepersonen geführt. Am Anfang haben wir den Müttern aus unserem Freundeskreis die Fragen gestellt, später haben wir deutschlandweit Mütter auch angeschrieben. Andere haben sich bei uns gemeldet“, erinnert sich die Projektmanagerin. Sie wollten etwas schnell Lesbares kreieren und deshalb entwickelten sie drei zentrale Fragen: „Was ist deine größte Herausforderung? Was ist dein größter Abfuck? Was würde dir helfen?“ Als sie die betroffenen Menschen anfragten, kamen auch immer wieder erst einmal Absagen. Das kann Noller sehr gut nachvollziehen: „Mit diesem Thema muss man sich auch erst mal auseinandersetzen. Das ist gar nicht so einfach.“

Die 38-Jährige erinnert sich an den Schlüsselmoment, der sie zum Nachdenken brachte. Als sie mit ihrer ersten Tochter einen Pekip-Kurs besuchte, fragte die Leiterin: Wie geht es euch? „Zuerst sagten noch alle, dass es ganz gut sei und alles entspannt wäre, dann schaute uns die Leiterin überrascht an und meinte: „Ihr habt kaum Schlaf, seid quasi nie für euch allein und müsst euch um vieles eigenständig kümmern – wie geht es euch?“ Von da an habe ein „super ehrlicher Austausch“ stattgefunden. Das habe auch für Noller den Grundstein für einen offenen Austausch im Bekanntenkreis über ihre eigene Mutterschaft gelegt.

Interviews in Buchform

„Wir hätten uns nicht erträumen lassen, dass das Projekt so weite Kreise schlägt. Ganz am Anfang der Startphase kam gleich eine Anfrage, unsere Interviews als Buch zu veröffentlichen“, erinnert sich Noller. Der Verlag Palomaa Publishing veröffentlichte tiefer gehende Interviews mit Müttern und Carepersonen. Im vergangenen Jahr erschien das Buch „Bis eine* weint“ dann auch über die Bundeszentrale für politische Bildung (bpb). „Das hat uns unglaublich gefreut, dass die bpb dieses Thema auch als Basis für die demokratische Bildung sieht“, freut sich die zweifache Mutter Noller. Denn gerade das System mache es vielen Müttern und Carepersonen so schwer.

„Bei den Interviews geht es uns auch immer darum zu zeigen, dass strukturelle Ungleichheit Menschen ganz unterschiedlich treffen kann. PoC, Menschen mit Behinderung, Alleinerziehende, Menschen mit Migrationshintergrund und Klassismus sind nur einige Intersektionen, die Chancen und Lebensbedingungen beeinflussen“, betont die Autorin. Gerade dafür möchte „Faces of Moms*“ sensibilisieren: die unterschiedlichen Ausprägungen struktureller Ungleichheit gegenüber Müttern und Menschen, die unbezahlte Care-Arbeit leisten. Kritik an Müttern kommt schnell von unterschiedlichen Seiten, doch häufig fehlt es einfach an Wertschätzung, gerade auch mit Blick auf die unbezahlte Care-Arbeit, die sie täglich leisten.

Gute Projekte im Kreis

Mit Blick auf den Kreis sieht Noller, die seit 2009 in der Region lebt, die gleichen Probleme wie auch andern Orts: „Die Kinderbetreuung ist einfach überall ein Schwerpunktthema.“ Allerdings sieht sie im Kreis auch Entwicklungen, die sie toll findet: „Das Projekt Leihoma und -opa auch hier in Asperg finde ich gut. Auch eine sehr aktive Nachbarschaftshilfe gibt es hier.“ Dies sei gerade in Zeiten, in denen vielen Familien „das Dorf“ fehle um Kinder großzuziehen ein wichtiger Aspekt.

Sehr positiv sieht sie zudem die Arbeit der Gleichstellungstelle des Landkreises: „Wir sind im regen Austausch mit der Gleichstellungsbeauftragten und freuen uns schon auf eine Ausstellung im kommenden Frühjahr, bei der die Fotos und Interviews aus dem Projekt ‚Faces of Moms*’ gezeigt werden“, verrät die Aspergerin.

Buch und Social Media

Das Buch „Bis eine* weint!“ von Nicole Noller und Natalie Stanczak ist im Palomaa Publishing Verlag erschienen. Auch in der Schriftenreihe der bpb ist das Buch erschienen. Auf dem Instagram-Account @facesofmoms findet man die Interviews, die die beiden Autorinnen geführt haben.

 
 
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