Auferstanden Ein Jahr nach der Neugeburt

Von Gabriele Szczegulski
Sabine Servinho-Lohmann hofft, dass sie bald wieder in ihr Kostüm der Mätresse des Königs schlüpfen kann. Die Ludwigsburgerin hat eine Covid-Erkrankung überlebt.⇥ Foto: Helmut Pangerl

Am 4. April 2020 erwachte die Ludwigsburgerin Sabine Servinho-Lohmann aus dem Koma nach ihrer Corona-Erkrankung. Für sie war es eine Auferstehung.

Als Sabine Servinho-Lohmann am 4. April 2020 nach fünf Tagen im Koma wieder aufwacht, meint sie die „Stimme eines Engels“ zu hören. „Wie in Watte getaucht, ganz sanft, sagte jemand zu mir, da sind Sie ja wieder, schön, dass Sie da sind, bleiben Sie hier, es wird alles gut.“ Es ist kein Engel, sondern die Pflegeschwester der Intensivstation. Die 67-jährige Ludwigsburgerin sieht diesen Tag als ihre Wiedergeburt, ihre Auferstehung und ihren zweiten Geburtstag an. Dass ihr erster zweiter Geburtstag auf den Ostersonntag, den Tag der Auferstehung Jesu, fällt, hat für sie eine Bedeutung: „Ich bin schon dem Tod entronnen, war mehr tot als lebendig.“

Vier Wochen in der Klinik

Sabine Servinho-Lohmann hatte Corona, vier Wochen lag sie im Klinikum Ludwigsburg, neun Tage auf der Corona-Intensivstation, fünf im Koma. Ihr Mann, der auch infiziert war, aber viel glimpflicher davon kam, hörte bei seinen Anrufen nur, dass seine Frau in einem lebensbedrohlichen Zustand war. „Es ist knapp“, sagten die Ärzte, so Servinho-Lohmann.

Wo sie sich Anfang März 2020 infiziert hat, weiß sie bis heute nicht. Sie war weder im Urlaub, beim Skifahren, noch auf dem Fasching. „Es muss im alltäglichen Leben, beim Einkaufen oder so passiert sein“, sagt sie. Sie ist auch keine Risikopatientin, war kerngesund. Ihr Mann, den sie ansteckt und der Vorerkrankungen hat, leidet zwar auch unter starken Symptomen, aber er muss nicht ins Krankenhaus, wird schnell wieder gesund.

Am 16. März geht sie zu ihrem Hausarzt, sie hat Fieber, starke Hals- und Gliederschmerzen, „mir ging es irre schlecht“, sagt sie. An Corona denken weder sie noch ihr Hausarzt, nur an eine starke Erkältung. Als die Symptome immer stärker werden, lässt ihr Hausarzt sie doch einen Corona-Test im gerade eröffneten Ludwigsburger Testzentrum machen. Positiv. Aber sie denkt, sie muss nicht ins Krankenhaus.

Dann fällt sie am 22. März „einfach so vom Sofa, zweimal“, verliert das Bewusstsein. Jetzt weiß sie, dass dies eine Unterversorgung des Gehirns mit Sauerstoff war, da die Lunge so schwer geschädigt war. Im Krankenhaus bleibt sie eine Woche auf der Corona-Normalstation, die, wie sie sagt, sich langsam füllt. Sie wird durch die Sauerstoffmaske beatmet. Dann, am 29. März – Sabine Servinho-Lohmann weiß jedes Datum ihrer Corona-Reise auswendig – wird sie „im Schnellschritt, total hektisch“ auf die Intensivstation gebracht. Sie bekommt einen Luftröhrenschnitt, wird intubiert und beatmet, dann weiß sie nichts mehr.

Erst wieder ab 4. April. „Ich konnte tagelang nicht reden, wegen der Intubation und dem Luftröhrenschnitt, hatte wahnsinnige Halsschmerzen, aber ich wusste, ich lebe, das war so eine Freude, sowas habe ich noch nie in meinem Leben gespürt.“ Sie liegt auf dem Bauch, immer wieder ist sie ohne Bewusstsein, sie bekommt starke Opiate.

Erst vier Tage später darf sie mit ihrem Mann und ihrer Tochter telefonieren, wobei sie nicht sprechen kann. „Was für ein Geschenk, ihre Stimmen zu hören“, sagt sie, die ihre Sprachlosigkeit der ersten Tage als „das Schlimmste“ ansieht. Es sei schwer gewesen, nichts zu fragen, sich nicht verständlich machen zu können. Zwei Wochen muss sie noch im Krankenhaus bleiben, dann kommt sie in Reha in den Schwarzwald. „Ein Glück, denn im ersten Lockdown hatten die meisten Kliniken geschlossen, andere nahmen keine Corona-Patienten auf“, sagt sie.

Sie lernt wieder richtig zu atmen, macht Atemtraining, Muskelaufbau, Konditionstraining und erfährt viel über die Lungenfunktion. Anfangs schafft sie nur vier Treppenstufen, dann muss sie sich hinsetzen. Sie kann noch nicht einmal ein Buch halten, ihre Muskeln sind nicht mehr vorhanden. Aber sie kämpft. „Ich wollte mein Leben zurück“, sagt sie.

Heute ist sie gesund, die Lunge hat keinen bleibenden Schaden, „ich hätte eine Lunge wie ein junges Mädchen, sagt der Arzt“, so Servinho-Lohmann. Sie ist schnell müde, mehr als zuvor strengt sie Bewegung an, aber das bekämpft sie mit Walking-Runden. Und mit Malen, was sie nach ihrer Erkrankung wieder angefangen hat.

Ein Trauma ist geblieben

Ein Trauma, wie sie sagt, sei geblieben: Schlaflosigkeit. „Um halb drei Uhr nachts ist die Nacht für mich zu Ende“, dann steht sie auf und malt. Sie will das Trauma nicht ihr Leben bestimmen lassen. Sie erwacht durch ihre Träume, die davon handeln, dass sie keine Luft bekommt, dass sie irgendwohin gerufen wird. „Das ist schlimm.“ Zur Zeit sind die Albträume mehr und schlimmer, sie schläft kaum durch. „Bestimmt, weil sich jetzt das Drama jährt“, sagt sie.

Bewirkt habe die Krankheit, dass sie noch lebensfroher geworden sei. Das spüre man in ihren Acrylbildern, die vor Farbenfrohheit nur so strotzen. Und zufriedener, „mit den Kleinigkeiten im Leben“, sei sie, „dass ich am Leben bin, ist das allergrößte Geschenk. Dafür danke ich jeden Tag“.  Sie hat viele Pläne, will sich wieder ins Leben werfen.

Die Rentnerin ist in Ludwigsburg bekannt als die Gräfin von Grävenitz und für ihre barocken Stadtführungen im Auftrag der Stadt. Doch die finden derzeit corona-bedingt nicht statt. „Und ich will einfach nur wieder loslegen“, sagt sie. Vergangenen September hat sie das Personal der Corona-Stationen im Klinikum zu einer Grävenitz-Führung eingeladen. 69 Klinikmitarbeiter haben sich angemeldet. „Das war so eine Freude, mich bei ihnen bedanken zu können“, sagt Servinho-Lohmann.

Eine neue Idee für eine Führung hat sie auch ausgearbeitet, während des Lockdowns, und die Stadtverwaltung war begeistert von ihrer Idee: „Ludwigsburger Versucherle“ heißt die Führung zu mehreren Orten in der Stadt, an denen es dann auch etwas zu probieren gibt. Sie soll, sobald es wieder geht, stattfinden.

Ein zweites Leben

„Wenn einem das Leben zum zweiten Mal geschenkt wird, ist man einfach nur dankbar. Ich habe aber einen Riesenrespekt vor Corona, ohne panisch zu sein“, sagt sie. Ob sie nach ihrer Infizierung nun immun ist, kann ihr niemand sagen, auch nicht, ob sie geimpft werden kann. „Das ist alles noch so neu und unerforscht.“

Deshalb regt es sie sich auch auf, wenn in Ludwigsburg Anti-Corona-Demos stattfinden. „Ich würde denen am liebsten sagen, sie sollen mal einen Tag auf der Corona-Intensivstation verbringen, wenn diese vollläuft, wie bei meinem Aufenthalt, und zusehen, wie die Patienten leiden“, sagt sie.

Sie verstehe die Corona-Müdigkeit, auch, dass deshalb demonstriert wird, auch sie sei unzufrieden mit dem langen Lockdown, der mangelhaften Impfstrategie und den Problemen beim Testen, aber wenn Demos gegen die Politik, „bitte mit Maske und Abstand, diese Krankheit braucht keiner und sie ist bei Weitem schlimmer als die Grippe“.

 
 
- Anzeige -