Ausstellung Einzelschicksale von Nazi-Opfern

Von Heike Rommel
Am Montagabend war die Eröffnung der Sonderausstellung „Krankenmord im Nationalsozialismus“ im  Rathaus in Großingersheim. Die Kulturwissenschaftlerin Brigitte Popper (Mitte) im Gespräch mit einem Besucher. ⇥ Foto: Helmut Pangerl

Am Montagabend wurde die Sonderausstellung „Krankenmord im Nationalsozialismus“ eröffnet. Auch Angehörige der Opfer waren anwesend.

Die Wanderausstellung „Krankenmord im Nationalsozialismus“ mit fünf, bislang kaum bekannten Euthanasie-Opfern aus Grafeneck, ist im Ingersheimer Rathaus angekommen und kann dort noch bis zum 30. Januar besichtigt werden. Besucher erfahren an Schautafeln, wer die Ingersheimer waren, die – als „unwertes Leben“ eingestuft – im Rahmen der so genannten T4-Aktion (benannt nach ihrem Sitz in der Berliner Tiergartenstraße 4) wegen ihrer Behinderung oder sozialer Auffälligkeiten nach Grafeneck deportiert und dort ermordet wurden.

Viel Recherche notwendig

Bürgermeister Volker Godel betonte in seiner Eröffnungsrede im 75. Jahr nach dem Luftangriff am 16. Dezember 1944 auf Großingersheim, wie viel Recherchearbeit die Kulturwissenschaftlerin Brigitte Popper von der Gemeinde Ingersheim betreiben musste, um etwas über die 1940 in Grafeneck ermordeten Gemeindemitglieder zu finden. Ihrem Bericht zufolge gab es nicht einmal Fotos und die Todesnachrichten an die Angehörigen, von denen einige noch in Ingersheim leben, waren gefälscht.

Bei den unter dem „Tötungsarzt“ Dr. Horst Schumann in der Gasmordanstalt Grafeneck Umgekommenen handelte es sich um Friederike Eckert, Pauline Kallenberger geborene Leibbrand, Marie Scheyhing, Gottlob Spahlinger und Johann Veigel. Nachkommen von Eckert, Läpple und Baier, waren unter den Ausstellungsbesuchern. Ihr Vater war ein Vetter zu Eckerts und ihnen erzählten Verwandte, dass Friederike nach Weinsberg abgeholt wurde und damals keiner gewusst habe, was passiert ist, sagt eine Frau. Im Nachlass wurde keine einzige Todesnachricht gefunden.

Pauline Kallenberger hinterließ einen Mann und vier Kinder. Mit der Diagnose „manisch-depressives Irresein“ kam sie nach Grafeneck und wurde dort ermordet. Owohl Pauline Kallenberger am 8. Mai 1940 starb, war der Totenschein auf den 22. Mai datiert und als Todesursache wurde eine Blutvergiftung genannt.

Wegen Verwirrung eingewiesen

Die elternlose Marie Scheyhing wurde aufgrund von „Verwirrung“ in Weinsberg eingewiesen. Sie bekam Arbeitseinsätze und stundenlange Bäder verordnet oder wurde in den Käfig gesperrt. Sie fuhr im ersten Frauentransport in den Tod nach Grafeneck.

Der kriegtraumatisierte Gottlob Spahlinger bekam einen Platz in der Ausstellung, weil sein Schicksal zeigt, wie psychisch Kranke der Ökonomie unterworfen wurden. Ihm verweigerte das Reichsversorgungsamt die Invalidenrente und seine Familie musste das Haus in der Krebsgasse verkaufen. Johann Veigel, ein eher stiller Patient und trotz Gehbehinderung fleißig in der Anstaltsgärtnerei arbeitend, wurde mit 61 anderen in Grafeneck vergast. Die Kulturwissenschaftlerin Popper erklärte in ihrer Rede die Strategie der Nazis, Menschen über Schamgefühle zum Schweigen zu bringen und die ausgeklügelte Verschleierungstaktik, mit der die Ziele Reinrassigkeit und Nützlichkeit verfolgt wurden. In den Morden an den Kranken sieht sie den „Testlauf für den Holocaust“. Schon angewachsene Ohrläppchen seien als Idiotismus diagnostiziert worden.

Aktueller Vergleich

Brigitte Popper nahm bei diesem Thema Bezug auf die heutige pränatale Diagnostik und warf damit bei den Ausstellungsbesuchern viele Fragen auf. Der Historiker Daniel Hildwein von der Gedenkstätte Grafeneck befand, diese müsse mit Auschwitz „in einem Atemzug genannt“ werden.

Auch auf der schwäbischen Alb habe es sich um „staatlichen, industrialisierten, hochgradig arbeitsteiligen Massenmord“ gehandelt. 10 654 Menschen sind Hildweins Ausführungen nach 1944 in Grafeneck ermordet worden. „es waren Menschen mit und ohne Handicap“, erklärte der Experte, was so alles als „Ballastexistenz“ eingestuft wurde. Davon betroffen gewesen sei nahezu jede Gemeinde. Daniel Hildwein warnte davor, auch heute noch den Wert von Menschen an Leistung zu koppeln.

 
 
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