Baumschutz in Bietigheim-Bissingen 1,2 Millionen Euro ist ein Baumriese wert

Von Heidi Vogelhuber
Die sogenannte Schillereiche steht auf der Rückseite des Enzpavillon in Bietigheim-Bissingen. Sie wurde 1905 zum hundertsten Todestag Friedrich Schillers gepflanzt. Foto: /Werner Kuhnle

Im Technischen Ausschuss rechnet Roswitha Ott, Leiterin von Bauhof und Stadtgärtnerei, vor, wie der Wert eines 100-jährigen Baumes berechnet wird und wie es um Baumschutz und -pflege in Bietigheim-Bissingen steht. 

Wenn es doch nur irgendeine spezielle Technologie gäbe, die Kohlenstoffdioxid aus der Luft filtert, Feinstaub bindet, Erosion verhindert, dabei hilft unser Wasser zu reinigen, Überschwemmungen abmildert, die Welt schöner macht, Sauerstoff erzeugt, Tieren Unterschlupf und Nahrung bietet, dabei hilft, unsere Städte zu kühlen“, trug Roswitha Ott, Amtsleiterin von Bauhof und Stadtgärtnerei in Bietigheim-Bissingen in der jüngsten Sitzung des Technischen Ausschusses vor. Dieses Zitat habe sie online entdeckt. Auch wenn es die Situation auflockerte und die Anwesenden zum Schmunzeln brachte, erklärte Ott, dass man das Thema Baumschutz und Baumpflege ernst nehmen müsse.

Wert von 100-jährigen Bäumen

Wie ernst, das können in einer modernen Welt nur Zahlen ausdrücken: Die 100 Jahre alte Linde im Gewann Untermberg oder die 1905 gepflanzte Schillereiche am Enzpavillon in Bietigheim haben einen monetären Wert von 1,2 Millionen Euro, rechnete Roswitha Ott den Ausschussmitgliedern vor: „Ein solcher Baum müsste durch 2000 kleine Bäume ersetzt werden“, so Ott (siehe Infobox). Ein Baumsetzling, frisch aus der Baumschule, liegt bei etwa 600 Euro. Summiert ergibt das 1,2 Millionen Euro als nackten Baumpreis als Ausgleich für einen 100-jährigen Baumriesen. Und darin sind noch keine Erhaltungskosten zur Pflege der kleinen Bäume enthalten bis sie zu so einer Größe und damit auch Widerstandsfähigkeit gegen Wetter und Schädlinge herangewachsen sind.

Was tut die Stadt für den Erhalt der Bestandsbäume? Einiges, erklärte die Leiterin der Stadtgärtnerei. Unter anderem findet eine regelmäßige Baumkontrolle statt, bei der jeder Baum einzeln mindestens ein Mal pro Jahr komplett durchgecheckt wird mit der Methode des Visual-Tree-Assessment (VTA). Systematisch werden alle Daten in ein Programm eingegeben, sodass Mängel und Maßnahmen bei der nächsten Kontrolle überprüft werden können. Die Methode wurde von Claus Mattheck entwickelt, unter anderem dafür erhielt er 2003 den Umweltpreis der Bundesstiftung Umwelt. Auch lege die Stadt Bietigheim-Bissingen großen Wert auf regelmäßige Baumpflege, inklusive Baumschnitt.

Doch auch das Thema Bewässerung rücke immer mehr in den Fokus, berichtete Ott. Früher habe man einen Jungbaum ein Jahr gießen müssen, bis er sich selbstständig versorgen konnte. „Mittlerweile müssen wir in den ersten drei Jahren gießen“, so Ott. Sonst gingen die Jungbäume ein. „Wir tun bereits viel für unsere Bäume, aber das Wetter wird nicht besser“, sagte sie im Bezug auf Hitzeperioden.

„Man wird sich von der einen oder anderen Baumart verabschieden müssen“, zeichnete Ott ein düstres Bild, denn der Klimawandel mache es notwendig, zu anderen Baumsorten zu greifen, vor allem im Stadtgebiet. „Es werden neue Baumarten getestet“, berichtete sie, jedoch zeige sich erst nach zehn bis 30 Jahren, ob die Sorte für den Standort geeignet ist. 76 Prozent des gesamten Baumbestands in Bietigheim-Bissingen bestehen aus zehn Baumarten, allem voran Ahorn (30 Prozent), Buche (12) und Linde (10), aber auch Eiche (6), Kirsche (4), Apfel (3), Rosskastanie (3), Esche (3), Platane (2,5) und Erle (1 Prozent). Die restlichen 24 Prozent verteilen sich auf 76 verschiedene Baumgattungen. Doch viele der „klassischen Baumarten könnten nicht mehr gepflanzt werden, „selbst die Linde beginnt zu schwächeln, bei Eichen sind wir wegen des Eichenprozessionsspinners zurückhaltend“, so Ott.

Gerade deshalb sei es so wichtig, die Bestandsbäume zu erhalten – auch wenn dafür die Bewässerung intensiviert werden müsse. In neu entstehenden Stadtvierteln, wie dem Bogenviertel, werde das Bewässerungssystem gleich mitgeplant. Auch müsse die Versiegelung der Flächen heruntergefahren werden, „Niederschlag in der Kanalisation nützt den Bäumen nichts“, so Ott. Außerdem könne man die zugepflasterte, helle Fläche um die Bäume wegen Reflexion und Hitze schlichtweg als Folter bezeichnen.

„Nötige Neubauvorhaben hab riesige Nebenwirkungen“, stimmte auch Bürgermeister Michael Wolf zu. „Die Planungen müssen den Baumschutz im Blick haben. Bauen ja, aber achtsam.“

Stimmen aus dem Gremium

Ob diese Arbeiten – auch auf den städtischen Streuobstwiesen und in den Wäldern – denn alle von dem einen Baumpfleger, der bei der Stadt angestellt ist, erledigt werden könnten, fragte CDU-Rätin Eva Jahnke. Es sei viel Arbeit und das Personal sei schon knapp, sie wäre dankbar um einen zweiten Spezialisten, antwortete Ott.

Albrecht Kurz von der GAL interessierte sich dafür, ob denn oft Konflikte zwischen PV-Anlagen und großen Baumkronen entstünden. Die Stadt sei gerade dran, diesen Zielkonflikt zu bewältigen, sagte Bürgermeister Wolf. „Es kann nicht das Ziel sein, Bäume so zu beschneiden, dass ihre Existenz gefährdet ist. PV ausbauen ja, aber es muss abgewägt werden“, so Wolf.

Ressourcen gut einteilen

„Müssen wir uns nun vom Kulturgut Streuobstwiesen verabschieden und künftig Oliven pflanzen?“, fragte Götz Noller von der FDP-Fraktion auf die Aussage von Roswitha Ott hin, dass auch junge Obstbäume wegen der Hitzewellen gegossen werden müssten. Das jedoch sei kaum zu bewerkstelligen mit dem vorhandenen Personal, so die Leiterin der Stadtgärtnerei.

„Wir müssen schauen, dass wir mit den vorhandenen Ressourcen das Maximum herausholen“, ergänzte Bürgermeister Wolf. Dieser Sommer habe nur zu drastisch gezeigt, dass auch Wasser ein knappes Gut sei. „Wir können auch nicht im Unverstand gießen.“

Ein 100-jähriger Baum...

...bringt mit:
20 Meter Höhe, zwölf Meter Kronendurchmesser, 600 000 Blätter, 120 Quadratmeter Grundfläche und 1200 Quadratmeter Blattfläche.

...leistet:
18 Kilogramm CO2-Aufnahme, 36 000 Kubikmeter Luftdurchsatz, 400 Liter Wasserverdunstung sowie 13 Kilogramm Sauerstoff-Produktion, was dem Sauerstoffbedarf von zehn Personen pro Tag entspricht.  

 
 
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