Besigheim Fassungslosigkeit ist allgegenwärtig

Von Jürgen Kunz
Spätestens am 31. Dezember 2026 gehen im ehemaligen Komet in Besigheim, der seit 2017 zum Ceratizit-Konzern gehört, die Werkslichter aus. Das 1918 von Robert Breuning gegründeten Unternehmen wird geschlossen. Foto: /Martin Kalb

Angst, Wut und Schockstarre bewegen einen Tag nach Bekanntgabe der Standortschließung die 380 Mitarbeiter von Ceratizit. Die BZ holte vor Ort bei den Betriebsräten ein Stimmungsbild ein. 

Wir sind alle vor den Kopf gestoßen, es gab keine Anzeichen für die gravierende Entscheidung“, sagt Eduard Mangold, Betriebsratsvorsitzender bei Ceratizit in Besigheim. Am Mittwoch hat die Geschäftsleitung bekannt gegeben, dass der Standort Besigheim – ebenso wie der Ceratizit-Standort im Empfingen – zum 31. Dezember geschlossen wird (die BZ berichtete). Das es sich dabei um die beiden einzigen Werke der Ceratizitgruppe handelt, die an Tarifverträge gebunden sind, ist dabei durchaus bemerkenswert. Die BZ hat sich einen Tag danach mit den Besigheimer Betriebsräten vor Ort getroffen, um einen Eindruck von der Stimmungslage bei den Mitarbeitern einzuholen.

„Schwärzester Tag“

„Natürlich ist jetzt Angst vorhanden, jeder macht sich Sorgen“, ist aus den Reihen der Betriebsräte zu hören, die am Donnerstagvormittag mit den Kollegen das Aus „ihres früheren Komets“ besprachen. Der Frust beim Betriebsrat ist umso größer, nachdem es in den letzten Monaten noch Vereinbarungen mit der Geschäftsführung über die Gleitzeitregelungen gegeben habe und noch im Januar die Kurzarbeit geregelt wurde.

Vom „schwärzesten Tag des Unternehmens in Besigheim“ sprechen die Betriebsräte, die von Angst, Wut und Schockstarre in der Belegschaft berichten, nachdem man „jedem Mitarbeiter den Boden unter den Füßen weggezogen“ habe. Fassungslosigkeit herrscht bei den Arbeitnehmervertretern darüber, dass man erst jetzt reagieren könne, da die Geschäftsleitung völlig unerwartet am Mittwoch über die Werksschließung informierte. „Es gab im Vorfeld keinerlei Gespräche“ , so der Vorwurf an die Unternehmensführung.

Familiengenerationen bei Komet

Die „immense Identifikation mit dem Unternehmen“ in der Belegschaft, wird von den Betriebsräten betont, „deshalb sind wir alle so vor den Kopf gestoßen“. Der Großvater, der Vater und jetzt Tochter oder Sohn, Familiengenerationen hätten bei „ihrem Komet“ gearbeitet. Man sei „im Komet“ immer mehr als Kollegen gewesen, „es war fast wie Familie, deshalb macht es so fassungslos“. Die Betriebsräte berichten – auch nach dem gestrigen, ersten exklusiven Artikel in der Bietigheimer, Sachsenheimer, Bönnigheimer Zeitung – von Menschen in der Region, die mit der Belegschaft mitleiden und auch „ihren Schmerz über die Schließung teilen“.

Existenzängste in den Familien

„Es wurde uns keine Chance gelassen zu reagieren“, sagt Betriebsratsvorsitzender Mangold. Die Entscheidung sei auch deshalb unverständlich, da Ceratizit in Besigheim das Geschäftsjahr 2023/2024 mit „einer schwarzen Null“ abgeschlossen habe. Weiter betont er gegenüber der BZ, die Bereitschaft in der Belegschaft alle Tarifvertragsmöglichkeiten auszuschöpfen, um den Standort zu erhalten. Die Schließung in Besigheim bedeute nicht nur den Arbeitsverlust der 372 Mitarbeiter, es stehen auch Existenzängste der Familien und der Wegfall von Geschäftsgrundlagen für Lieferanten und Dienstleister aus der Region dahinter.

Wie Mangold erklärt, werden jetzt in Zusammenarbeit mit der IG Metall und der Unterstützung von Anwälten Verhandlungsgremien gebildet und die weitere Vorgehensweise besprochen. Die Geschäftsleitung habe ihm gegenüber signalisiert, „möglichst schnell“ Gespräche führen zu wollen. Am 19. März wird es eine Betriebsversammlung vom Betriebsrat und Gewerkschaftsvertretern geben. „Es herrscht viel Angst“, sagte Susanne Thomas, Erste Bevollmächtigte der IG Metall Ludwigsburg, nachdem „am Mittwoch die Nachricht aufgeschlagen ist“.

Reaktionen aus der Politik

Besigheims Bürgermeister Dr. Florian Bargmann: „Die Schließung des Werks ist ein schwerer Schlag für unsere Stadt. Ceratizit beziehungsweise vormals Komet ist seit Jahrzehnten ein wichtiger Arbeitgeber in Besigheim, der nicht nur Arbeitsplätze gesichert, sondern auch zur wirtschaftlichen Stabilität und Identität unserer Stadt beigetragen hat. Ein solcher Verlust ist tief greifend und hinterlässt eine schmerzliche Lücke.“ 

Für die Stadt bedeutet das in erster Linie eine große Herausforderung. 350 Arbeitsplätze bedeuteten 350 Schicksale – und noch mehr, wenn man die Familien dahinter betrachtet. „Viele unserer Bürgerinnen und Bürger arbeiten in diesem Werk, haben dort über Jahre hinweg Fachwissen und Erfahrung aufgebaut. Unsere Aufgabe als Stadt ist es nun, sie nicht alleine zu lassen, sondern gemeinsam mit Ceratizit, regionalen Unternehmen, Wirtschaftsförderern und der Agentur für Arbeit Perspektiven zu entwickeln. Zudem werden wir alles daransetzen, den Standort für neue Investitionen attraktiv zu machen und langfristig Arbeitsplätze zu sichern“. so Bargmann.

Der Wegfall von 350 Arbeitsplätzen werde nicht nur das Leben vieler Familien verändern, sondern auch wirtschaftliche Auswirkungen für Besigheim und die gesamte Region haben. Dies könnte sich auf den lokalen Handel und Dienstleistungssektor auswirken. Hinzu kämen mögliche Folgen für den lokalen Einzelhandel und Dienstleistungsbetriebe, da die Kaufkraft der betroffenen auswärts wohnenden Beschäftigten nicht mehr in der Stadt bliebe.

Wie Bargmann auf BZ-Nachfrage erklärte, sei er von der Geschäftsleitung persönlich über die Entscheidung informiert. „Ich bin für den offenen und direkten Austausch dankbar.“ Man werden als Stadt in enger Abstimmung mit allen Beteiligten nach Wegen suchen, die Folgen dieser Schließung bestmöglich abzufedern.

Landtagsabgeordneter Tobias Vogt (CDU): „Die Krise der Automobilindustrie hat jetzt 350 Familien in Besigheim mit brutalster Wucht getroffen“. Nach Einschätzung des mittelstandspolitischen Sprechers der CDU-Fraktion, verliere Besigheim eine Institution, einen seiner historisch größten Arbeitgeber“. Er erwarte von einer neuen Bundesregierung schnellstens eine „Wirtschaftswende“, um weiteren Insolvenzen, Betriebsschließungen, Entlassungen und Standortverlagerungen entschlossen entgegenzuwirken und Rahmenbedingungen für eine Rückkehr zum Wirtschaftswachstum.

 
 
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