Besigheim vor 100 Jahren Ländliches Dorf und Oberamt

Von Michael Soltys
Eine Stadtansicht von Besigheim vom Froschberg aus gesehen. Im Vordergrund die Firma Siegle, später BASF.⇥ Foto: Stadtarchiv Besigheim, S6-1-046

Vor 100 Jahren stand die Bewältigung der Kriegsfolgen für die Menschen im Vordergrund. Inflation und schlechte Ernten sorgten für eine schwierige Zeit.

Besigheim vor 100 Jahren: Das war eine Kleinstadt im Herzen Württembergs, nach heutigen Maßstäben ein ländliches, vom Weinbau geprägtes Dorf mit 3300 Einwohnern und damit gerade einmal in etwa soviel, wie das benachbarte Walheim heute. Und trotzdem spielte Besigheim für das Umland zwischen Heilbronn und Ludwigsburg eine bedeutende Rolle. Die Stadt war Sitz des Oberamtes und übernahm damit für damals 19 Gemeinden Aufgaben, die vergleichbar mit denen des heutigen Landkreises Ludwigsburg sind.

Das erst vor wenigen Tagen nach einer Sanierung fertiggestellte Oberamteigebäude an der Stadtmauer zum Neckar hin verweist ebenso auf die Geschichte der Stadt wie zwei andere Relikte dieser Zeit. Bis heute ist Besigheim Sitz des Dekanats. Und auch das Amtsgericht ist nach wie vor in der Stadt angesiedelt.

Besigheim um 1920: Das war eine Zeit, in der die Menschen noch stark unter den Folgen des verlorenen Krieges von 1914 bis 1918 zu leiden hatten. Mehrfach ergehen damals Mahnungen an die Landwirte, Kartoffeln, Getreide, Speck und Milch pflichtgemäß abzuliefern. Es fehlt an den wichtigsten Dingen des Lebens, an Nahrung und Brennstoff.  Im Oktober 1919 drängt das Oberamt Besigheim die Gemeinden deshalb dazu, Bürgerwehren zu bilden, um Gewalttätigkeiten vorzubeugen. Doch die Arbeiter haben Vorbehalte. Sie fürchten, die Bürgerwehren könnten als Mittel der Gegenrevolution gegen die Republik eingesetzt werden, die sich nach dem Krieg gründete. So jedenfalls geht es aus einem Beitrag im Heimatbuch „Geschichte der Stadt Besigheim“ aus dem Jahr 2003 hervor.

Die Arbeiter waren zu dieser Zeit in Besigheim bereits eine feste Größe. Viele Besigheimer und Menschen aus dem Umland hatten schon lange Zeit vor dem Krieg Arbeit in einer Fabrik gefunden: bei „Mattes & Lutz“, der Trikotfabrik, die sich 1872  in der Stadt angesiedelt hatte. Firmenchef Maximilian Lutz, der seine soziale Gesinnung in der Firma verankert hatte, gehörte 1890 zu den Gründern der SPD in der Stadt. Das dürfte ein wesentlicher Grund dafür sein, dass die SPD in den ersten Wahlen zur Nationalversammlung im Januar 1919 auf 46 Prozent der Stimmen kam und damit klar vor der liberalen Deutschen Demokratischen Partei (DDP) landete. Zum ersten Mal durften damals auch Frauen an die Wahlurnen gehen.

Auf der Suche nach Arbeitskräften siedelte sich 1921 die Firma Gustav Siegle an der Enz bei Besigheim an, die spätere BASF, die im November 2019 ihre Verkaufspläne an das japanische Chemietunternehmen  DIC bekannt gab. In der „Farb“, wie das Unternehmen bis heute genannt wird, arbeiteten 1923 bereits 49 Männer und zwei Frauen. Sie entwickelte sich schnell zum wichtigsten Steuerzahler der Stadt. Die Firma zahlte in diesem Jahr rund 25 Prozent „der auf Grundeigentum, Gewerbe und Gebäude fallenden Gemeindeumlagen“, geht aus dem damaligen Etatentwurf der Stadt hervor.

Trotz der Industrialisierung blieb die Landwirtschaft und damit an erster Stelle der Weinbau das prägende Element der Stadt. „Schalkstein“ und „Wurmberg“ waren schon damals Weinlagen, die in der Region einen guten Namen hatten. In der Regel konnten die Wengerter damit ein befriedigendes Einkommen erzielen.

Vorläufer-Genossenschaften der Felsengartenkellerei – die erste wurde 1902 gegründet – waren jedoch von relativ kurzer Dauer. Doch ausgerechnet in der bitteren Nachkriegzeit fielen die Erträge gering aus. Das machen die Autoren des Heimatbuches anhand von Zahlen deutlich. Bis auf das Jahr 1922, als mit 4070 Hektolitern Wein ein Jahrgang mittlerer Güte eingefahren werden konnte, blieben die Erträge weit unter 2000 Hektoliter. Im Jahr 1923 wurden gar nur 955 Hektoliter geerntet.

Schlimmer noch: In dieser Zeit hatte das Geld bereits seinen Wert verloren, der Verkauf des Weins lief schleppend, Handel und Gewerbe hatten Mühe, an Aufträge zu gelangen.  Die Stadt erhöhte in dieser Zeit laufend ihre Gebühren und zahlte den Bediensteten Monat um Monat höhere Zuschläge, um den Verlust an Geldwert auszugleichen. Im Februar 1923 stockte sie den Lohn von 1000 Prozent auf 2000 auf,  im März bereits um 3000 Prozent. Der Höhepunkt wurde im Oktober erreicht, als die Stadt 225 Millionen Prozent auf den eigentlichen Lohn drauflegte, was wohl ohne jeden Effekt blieb, da das Geld nicht einmal mehr das Papier wert war, auf dem es gedruckt wurde.

Kein Wunder also, dass es um die Finanzen der Stadt ausgesprochen schlecht stand. Nicht einmal grundlegende Bedürfnisse konnten gestillt werden. Im Schulhaus fehlte es über den Winter am notwendigen Brennstoff. Die damalige Lateinschule schloss sich mit anderen höheren Schulen zusammen, um Bücher untereinander auszutauschen. Der Gemeinderat setzte eine Kommission ein, die Lebensmittel und Brennmaterial für notleidende Besigheimer beschaffen sollte. Milch wurde verbilligt an arme Familien abgegeben.

Knappe Finanzen

Ein Jahr später, als die Inflation überwunden war, blieb die Finanzlage angespannt. Der Stadt wurde ein Darlehen verweigert, mit dem sie Bürgern den Hausbau erleichtern wollte. Als die Stadt selbst einen Kredit von 4000 Reichsmark zurückzahlen sollte, musste sie bei der Oberamtssparkasse um Stundung bitten. Dies alles fällt in eine Zeit, in der neben dem Krieg auch eine schwere Grippewelle nachbebte, beide mit vielen Millionen Toten als Folge. An der Spanischen Grippe, die  in Europa etwa 20 Millionen Menschenleben kostete, starben in Besigheim Ende 1918 vermutlich acht junge Menschen.

Wie es um das Alltagsleben der damaligen Besigheimer stand, zeigt eindrücklich der Pfarrbericht von Alfred Klemm, dem damaligen Pfarrer und Dekan von Besigheim (siehe Info-Kasten).

 
 
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