Selbstständiges Wohnen stellt schon für junge Menschen ohne Behinderung manchmal eine Herausforderung dar. Viele Menschen mit einer geistigen oder körperlichen Behinderung sind daher auf besondere Wohnformen angewiesen, um die nötige Unterstützung und Förderung zu erhalten. Im Kreis gibt es ein solches Angebot unter anderem bei der Lebenshilfe Ludwigsburg. In der Karl-Mai-Allee in Bietigheim-Bissingen leben 48 Bewohner in sechs familiären Kleingruppen, weitere 27 Bewohner in Remseck-Aldingen. Ansonsten stehen vor allem ambulante Wohnformen im Fokus, erklärt Geschäftsführer Stephan Kurzenberger. Das habe der Kreis so entschieden mit dem Konzept der flexiblen Hilfen. In dieser Form betreue man weitere 50 Menschen, die auf dem Wohnungsmarkt jedoch als ganz normale Mieter auftreten. Allerdings unterstütze man sie je nach Bedarf im Haushalt, bei Arztbesuchen oder Behördengängen. Vor allem bei jüngeren Erwachsenen stehe das ambulante Wohnen hoch im Kurs, sagt Kurzenberger.
Besondere Wohnformen im Kreis Ludwigsburg Das Wohnheim ist kein Auslaufmodell
Vor allem bei jungen Menschen mit Behinderung steht das selbstständige, ambulante Wohnen hoch im Kurs. Doch auch besondere Wohnformen für schwerer Behinderte gibt es in der Region.
Auch wenn der Trend immer stärker zum selbstständigen Wohnen gehe, sei das Wohnheim dennoch kein Auslaufmodell ist Kurzenberger überzeugt. Nur hier könne man nämlich eine Erreichbarkeit rund um die Uhr garantieren. Beim ambulanten Wohnen sind die Betreuer nur zu bestimmten Zeiten verfügbar. Vor allem Menschen, die einen hohen Unterstützungsbedarf haben, bleibe daher oft nichts anderes übrig, als ins Heim zu ziehen. Die Nachfrage sei nach wie vor hoch, sagt Kurzenberger. „Es gibt noch viele Menschen mit Behinderung, die in familiären Verhältnissen mit hochbetagten Eltern leben und nie eine Selbstständigkeit erlernt haben.“ Im Ernstfall könne es dann vorkommen, dass diese Menschen von heute auf morgen ins Heim ziehen müssen. Eine weitere Hauptaufgabe der Lebenshilfe sieht Kurzenberger in der Betreuung von älteren Menschen: „Wir erleben aktuell die erste Generation von Senioren mit Behinderung, nachdem diese in der NS-Zeit verfolgt wurden.“ Das Leistungsangebot sei jedoch nicht auf diese Menschen zugeschnitten, neue Wohnformen müssten erst entwickelt werden.
Strukturierter Tag
Der Tag ist in den bestehenden Gruppen stark durchgeplant. Morgen geht es für die meisten in die Werkstatt, abends werden gemeinsam Mahlzeiten zubereitet. „Für die Bewohner ist das als sicherer Hafen wichtig.“ Der Betreuungsaufwand variiert dabei. Einige Bewohner können sich zum Beispiel selbst um die Körperhygiene kümmern, andere benötigen dabei Unterstützung. Auch gebe es dort Menschen, die auf den ersten Blick überhaupt nicht den Anschein erwecken, Unterstützung zu brauchen, auch selbst einkaufen oder auf Konzerte gehen können, die aber die Struktur brauchen, erklärt Kurzenberger.
Allerdings: „Die Heimstruktur macht auch bequem.“ Deshalb sei es wichtig, dass auch lebenspraktische Themen wie Waschen oder Kochen aufgegriffen werden. Manchmal komme es dann auch vor, dass jemand den Schritt vom Heim in das selbstständige Wohnen wagt. Dazu gehöre jedoch viel Eigeninitiative, weiß Kurzenberger. Denn auch für Angehörige spiele es eine große Rolle, zu wissen, dass die Versorgung sichergestellt ist.
Das Bundesteilhabegesetz ermögliche hier ein viel individuelleres Angebot, sagt der Geschäftsführer der Lebenshilfe Ludwigsburg. Früher habe man etwas für das ganze Heim beschließen müssen, jetzt bekomme jeder genau das, was er braucht. „Das ist ein Meilenstein in der Teilhabe.“
Mitten in der Gesellschaft
Susanne Winter, die beim Trägerverein Insel e. V. die fachliche Leitung verantwortet, erklärt, dass man dort auf ambulante Wohnformen setzt – in der Regel Vierer- oder Dreier-WGs überall verstreut. Mittendrin in der Gesellschaft sollen diese leben. Ein Leuchtturmprojekt soll nun eine kürzlich eröffnete WG in Bönnigheim darstellen. In zwei Vierer-WGs leben hier junge Menschen mit schwersten Behinderungen. Sie werden rund um die Uhr betreut, was ihnen ein weitgehend selbstbestimmtes Leben ermögliche.
Wie das Leben in den WGs dann konkret aussehe, entwickle sich von alleine, sagt Winter. Manche würden gemeinsam kochen und einkaufen, andere leben stärker getrennt. Jüngere Bewohner hätten sich schon häufiger so stark weiterentwickelt, dass sie schließlich in eine Wohnung ohne oder mit minimaler Unterstützung gezogen seien.
Insgesamt betreue man knapp 80 Menschen im Kreis. Die Nachfrage sei jedoch weiter groß. Auch sie berichtet von einer Elterngeneration 80 plus, bei der die Kinder noch zu Hause leben. Der interessierte Elternkreis sei auch deshalb groß, weil das Bundesteilhabegesetzes jedem Rechte verspreche, die in der Praxis nicht bedient werden können, kritisiert Winter.
Weitere Wohnangebote
Weitere Wohnangebote für Menschen mit Behinderung bieten im Kreis die Habila und die Karlshöhe Ludwigsburg. Die Habila betreibt mehrere Wohngemeinschaften in der Markgröninger Innenstadt, bietet in zwei Wohnhäusern Wohnen mit Pflege an steht selbstständig wohnenden Menschen mit Assistenz, Hilfe und Beratung zur Seite. Die Karlshöhe Ludwigsburg setzt auf Wohngruppen mit einem differenzierten Wohn- und Förderkonzept. Ihr Ziel ist es, das individuelle Leben sowie das Zusammenleben in der Gruppe zu fördern.