Ich befand mich in einem Zustand zwischen Wahrnehmung und Abwesenheit, in dem der Körper einfach weiterfunktioniert.“ Mit diesen Worten beschreibt Vanessa Hönemann, wie sie den Moment erlebt hat, als sie vom tödlichen Unfall ihrer Mutter erfuhr.
Bietigheim-Bissingen Als Vollwaise zurück ins Leben
Vanessa Hönemann verlor ihren Vater, später ihren Bruder und ihre Mutter. Ihr Buch handelt von Abgründen, Neuanfängen und „vom Licht im tiefsten Dunkel“.
Ihr junges Leben ist voller Schicksalsschläge: Als achtjähriges Mädchen verlor sie ihren Vater bei einem Unfall. Rund zehn Jahre später starb ihr Bruder, vor sechs Jahren kam ihre Mutter ums Leben. In ihrem kürzlich erschienen Buch „Ein Funke im Sturm“ erzählt die 31-Jährige ihre Geschichte und vom „Mut, sich dem Leben zu stellen, wenn alles verloren erscheint“.
Vanessa Hönemann ist in Bietigheim-Bissingen geboren und lebte hier die ersten Jahre mit ihren Eltern und ihrem Bruder. Dann zog die Familie nach Villingen-Schwenningen. Heute wohnt die Bürokauffrau mit ihrem Mann und der gemeinsamen Tochter in Breisach bei Freiburg.
Für die kleine Tochter geschrieben
Die Autobiographie hat die junge Frau vorrangig für ihr bald zweijähriges Kind geschrieben: „Als meine Tochter zur Welt kam, war das wie ein neues Kapitel in meinem Leben“, so Hönemann im Gespräch mit der Bietigheimer Zeitung. „Ich fing an zu schreiben, damit sie von ihren Großeltern und ihrem Onkel erfährt, die sie nie kennenlernen konnte.“
Anfangs hatte sie Angst und Bedenken, dass ihr all die detailliert hervorgeholten Erinnerungen an Tod, Verlust und Trauer zu schwer werden. Doch das Verschriftlichen hatte für sie einen sehr positiven Effekt: „Es war befreiend, mir die Erlebnisse von der Seele zu schreiben.“ Sie wolle mit dem Buch zeigen, „dass man wieder glücklich sein kann, auch wenn man es eine ganze Weile nicht glaubt.“
Trotz des schweren Inhalts ist das Buch mit seinen 251 Seiten aufgrund Vanessa Hönemanns zugänglicher Sprache in einfachen kurzen Sätzen leicht aber bewegend zu lesen. Die Leser erfahren von ihrer glücklichen Kindheit voller Geborgenheit mit liebevollen Eltern.
Bis der erste Bruch geschah, als sie acht Jahre alt war und ihr Vater bei einem Skiunfall verunglückte. Hönemann beschreibt offen ihre kindlichen Erinnerungen von damals, etwa wie sie ihn, beziehungsweise seinen leblosen Körper, in der Trauerhalle verabschiedete. Danach sei alles schlimmer geworden: die Großeltern väterlicherseits brachen den Kontakt ab zur Schwiegertochter und den Enkeln. Die Mutter verschuldete sich, einige Männer kamen und gingen. Als Jugendliche verlor Vanessa Hönemann einen Freund bei einem Motorradunfall. Wenige Jahre später wieder ein plötzlicher Verlust mit dem Tod ihres Bruders, der an Epilepsie litt. Der ihn behandelnde Arzt habe noch nie zuvor erlebt, dass jemand daran in so frühen Jahren stirbt.
„Die Lebensgrundlage fiel weg“
Als schließlich auch ihre Mutter verstarb, vor sechs Jahren beim Absturz eines Leichtflugzeugs, „verlor ich das letzte Stück Halt. Sämtliche Lebensgrundlage riss weg.“ Der Tod ihrer Mutter 2019 sei für sie „wie ein Trauma“ gewesen. Nun stand sie komplett ohne Familie da, „ich fühlte mich total leer und einsam.“Es habe ein halbes Jahr gebraucht, bis sie den Verlust überhaupt realisieren konnte:„Ein kleiner, verzweifelter, hartnäckiger Teil von mir wollte nicht loslassen. Der hielt daran fest, dass meine Mutter irgendwie einen Weg zurückfinden würde.“
Hönemann beschreibt mit packender Offenheit ihre Erinnerungen und ihre Gefühle der Schuld, Trauer und Dankbarkeit. Einige Tagebucheinträge ergänzen die Kapitel. In der Grundschule fing sie an, ein Tagebuch zu führen. Doch in den akuten Trauerphasen habe sie kaum geschrieben. „Da hatte ich nicht die Kraft dazu.“ Durch die aufeinander folgenden Schicksalsschläge fühlte es sich für sie so an, als nehme das Pech kein Ende, „ein schlimmes Ereignis folgte dem anderen“. Jeder Verlust sei individuell und auf seine Weise tragisch gewesen. „Da muss man durch. Mit der Zeit wird es erträglicher. Das Wichtigste ist, dass man sich nicht aufgibt,“ so Hönemann.
Was ihr „unglaublich geholfen“ habe, waren die Menschen, die für sie da waren, und ihr das Gefühl gegeben haben, nicht alleine zu sein. Vor allem ihr Partner, mit dem sie damals erst ein paar Monate zusammen war, als ihre Mutter starb, habe ihr extremen Halt gegeben. Anfang diesen Jahres haben die beiden geheiratet.
Ihre Geschichte möchte sie mit der Welt teilen. „Tod und Trauer sind definitiv immer noch Tabuthemen in der Gesellschaft“. Auch in den Sozialen Medien wie Tik Tok und Instagram geht die junge Frau ganz offen mit dem Verlust ihrer Familie um. Für ihren Mut erhalte sie viel positive Rückmeldung.
Bewusst hat sie ihr erstes Buch im Eigenverlag publiziert. „Ich hatte Angst, dass durch einen Verlag Änderungen entstehen, bei denen ich total unzufrieden bin.“ Es sei am Ende ein Geschenk an ihre Tochter, „und ich möchte zu 100 Prozent dazu stehen.“ Als Taschenbuch ist die Autobiographie seit dem 9. Oktober bei Amazon erhältlich.
Ihre Sichtweise hat sich verändert
Mit der Zeit veränderte sich Vanessa Hönemanns Sichtweise auf das Leben. „Ich schaue weniger darauf, dass ich keine Familie mehr habe, sondern kann es nun viel positiver sehen: Ich hatte eine Familie, die mich geliebt hat und die ich geliebt habe.“ Auch wenn die Zeit zusammen kurz gewesen sei, „ich bin dankbar für jeden Moment.“ Die 31-Jährige hält gerne Momente fest, schreibt und fotografiert viel. „Ich habe früh gelernt, wie wichtig Erinnerungen sind.“
