Bietigheim-Bissingen Blick in die Heimatstube

Von Susanne Yvette Walter
Irmtrud Kutzer leitet die Zuckmantel-Heimatstube Foto: /Martin Kalb

Vor 60 Jahren hat die Stadt die Patenschaft für die ehemalige deutsche Bevölkerung aus der Stadt Zuckmantel übernommen.

Irmtrud Kutzer ist zur Stelle, wenn es darum geht, die Heimatstube der „Zuckmantler“ einmal im Monat für neugierige Besucher zu öffnen. Das Museum mit Alltagsgegenständen, Trachten, Schriften, Bildern und so manchem Schmankerl aus dem Gebiet Zuckmantel und dem gleichnamigen Gerichtsbezirk im Kreis Freimantel im Altvatergebirge im heutigen Tschechien wurde 1970 gegründet. In seinen Anfangstagen war es in einem Zwischengang im Bietigheimer Museum Hornmoldhaus untergebracht und fand 1982 eine eigene Heimat im ersten Stock des alten Fachwerkhauses in der Schieringer Straße in Bietigheim-Bissingen. Bereits 1965 hatte die Stadt Bietigheim-Bissingen die Patenschaft für die ehemalige deutsche Bevölkerung im heutigen Zlate Hory übernommen. Die Stadt liegt in den Sudeten am Goldbach.

Patenschaft seit 60 Jahren

Alte Fotos an den Wänden sprechen Bände. Bunte Trachten in Glaskästen erinnern an Zeiten, als die Zuckmantler noch stolz auf ihre Wurzeln in großer Zahl zusammen kamen und an ihren Traditionen festhielten. „Die Hauben sind aus Goldfäden gestickt“, erzählt Irmtrud Kutzer. Das Gebiet sei bis 1946 rein deutschsprachig gewesen. Bis 1918 war es österreichisches Kerngebiet. Von der Landschaft her sei es vergleichbar mit dem Südschwarzwald, genauso hoch, ähnlich auch von den Gesteinsarten. Fotos zeigen, wie viel Schnee hier im Winter einst fiel.

Ihr verstorbener Mann Joseph Kutzer war bis 2010 der Vorsitzende des Vereins der Zuckmantler. Als „reingeschmeckte“, gebürtige Karlsruherin, kennt sich Irmtrud Kutzer dennoch gut in der Geschichte der Zuckmantler aus und zeigt gerne die Patenschaftsurkunde, die die Stadt Bietigheim-Bissingen 1965 ausgestellt hat. Sie bezieht neben der Stadt Zuckmantel, Hermannstadt, Endersdorf und Rheinwiesen-Obergrund und -Niedergrund mit ein.

Verein der Zuckmantler aufgelöst

Der Verein der Zuckmantler habe sich inzwischen altershalber aufgelöst, sagt Kutzer. Ihr Mann war Jahrgang 1928 und einer der jüngsten ehemaligen Zuckmantler. Der letzte dort geborene, Helmut Schindler, sei im März vergangenen Jahres verstorben. Auch der Druck des Zuckmantler Heimatbriefs ist inzwischen eingestellt worden. Doch in der Sudetendeutschen Zeitung sei eine Seite für die Zuckmantler reserviert. Auch wenn der Verein nicht mehr besteht, so wird doch die Heimatstube weiter gepflegt und für die Öffentlichkeit erhalten. Sie gehört heute in die Museumslandschaft der Stadt Bietigheim-Bissingen - ein Schritt, den Joseph Kutzer noch in seiner aktiven Zeit getätigt hat.

Stolz zeigt Irmtrud Kutzer Tusche- und Bleistiftzeichnungen eines Urahns ihres Mannes, Schätze aus dem Vertriebenengepäck. Der Urgroßvater ihres Mannes, Bernhard Kutzer, sei Autodidakt gewesen. Es gibt sogar ein Foto von ihm.

Zu den besonderen Exponaten gehört eine Pendeluhr, der sogenannte Stubensäger, wegen der Geräusche, die sie von sich gibt, gespendet von Adolf Schönfelder aus Zuckmantel. „Alle Dinge wurden von ehemaligen Bewohnern gespendet, auch eine Krippe, die ein Schuster, als Kinderspielzeug deklariert, bei der Vertreibung mitgebracht hatte“, erzählt sie.

Stadt unter kirchlicher Herrschaft

Kutzer weist auch auf das Wappen hin, das den Tagebergbau dokumentiert, der in Zuckmantel betrieben wurde. Zum Bergmann auf dem Wappen kommt die Bischofsmütze. „Der Bischof von Breslau war sowohl geistlicher als auch weltlicher Herr. Das zeigt das Schwert. Die Stadt war also unter kirchlicher Herrschaft“, so die Hüterin der Heimatstube. Ein Geologe aus der alten Heimat hat seine Sammlung von Gesteinen aus der Region um Zuckmantel hinterlassen. Wer sich gezielt einen Überblick verschaffen möchte, schaut in das Heimatbuch von Zuckmantel, indem jede der angliederten Ortschaften beschrieben wird.

Auf Karten lassen sich Flüchtlingsströme nachvollziehen. Drei Millionen Menschen mussten eine neue Heimat finden. „Die haben nach der Vertreibung versucht, ihre Freunde und Verwandten wiederzufinden.“ So sind die Landsmannschaften entstanden. Bis 2006 fand in der Aurainhalle alle zwei Jahre ein Heimattreffen statt, zu dem anfangs rund 3000 Heimatvertriebene kamen. „Beim letzten Treffen haben die Organisatoren gebangt, ob es überhaupt noch 300 werden, um nicht auf den Unkosten sitzen zu bleiben“, sagt Irmtrud Kutzer.

Sketche im alten Dialekt

Kutzer erinnert sich gerne an die Heimattreffen, bei denen Sketche im alten Dialekt aufgeführt wurden. Ein findiger Zuckmantler hat ein kleines Dialektlexikon erstellt. Noch heute schmunzeln Besucher der Heimatstube gerne über Worte wie „Raftla“, was den Anfang eines Brotes bedeutet und über „Pizele“, was ein Stückchen Brot bezeichnet. Der „Plutscher“ ist der Kürbis und der „Reecherharich“ ist der „Räucherhering“. Berühmt sei vor allem der Mohnstriezel gewesen, der in ganz Schlesien besonders zubereitet wurde.

 
 
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