In den Akten des Staatsarchiv Ludwigsburg findet man so einiges zum Bau des Postamts in Bietigheim. Nach der Entschließung seiner Majestät König Karl von Württemberg vom 24. Mai 1887 erstellte die Königliche Staatspost- und Telegrafenverwaltung an der Besigheimer Straße/Ecke Talstraße ein Postgebäude. Das Baugelände konnte im Juli 1887 von Posthalter und Kronenwirt Hufs erworben werden.
Bietigheim-Bissingen Der Zigarrenstummel und das Spuckkästchen
Das neue Postamt entgeht im Jahr 1900 nur knapp einer Feuerkatastrophe - ein Blick in die Geschichte in Bietigheim-Bissingen.
Die Baukostenabrechnung vom 15. Februar 1889 belief sich auf „40.404 Mark 39 Pfennig“. Im großzügigen Neubau befanden sich im Erdgeschoss die Posträume und im Obergeschoss war die Wohnung des Postamtsvorstandes. Kaum war das neue Postgebäude bezogen, entging es am 19. November 1900 nur knapp einer Feuerkatastrophe. Was war geschehen?
Am frühen Morgen des 19. November wurde gegen 2.30 Uhr von zwei Personen, die am Postamt vorübergingen – es waren Bahnbedienstete, die auf den Bahnhof wollten – ein Brand in den Diensträumen entdeckt. Durch deren Rufe aufmerksam gewordene und herbei geeilte Nachbarn und die bald eintreffende Feuerwehr konnten den Brand zum Glück schnell löschen. Die Untersuchungen zur Brandursache konzentrierten sich auf diejenigen Personen, die am Vorabend zuletzt in den Posträumen tätig waren. Dies waren der 23-jährige Postpraktikant I. Klasse Friedrich Ritter und die Postunterbediensteten (Briefträger) Fischer und Brett.
Alle drei wurden am 20. November von Postinspektor Schwab vom Königlichen Postamt Bietigheim vernommen. Sie erklärten, sich keiner Schuld bewusst zu sein, insbesondere hätten sie vor dem Verlassen des Gebäudes alle Petroleumlampen gelöscht. Fischer und Brett gaben an, dass sie das Gebäude vor Friedrich Ritter verlassen und nicht geraucht hätten.
Rauchen in Diensträumen war erlaubt
Ritter wiederum sagte aus, bevor er gegangen sei, habe er um 22 Uhr noch ein Telegramm aus Stuttgart an Posthalter Fritz aufgenommen. Auch habe er geraucht – Postmeister Schaible habe das Rauchen in den Diensträumen zugelassen – er wisse aber nicht mehr, wo er den Zigarrenstummel hingeworfen habe. Weil er somit erwiesenermaßen vor Ausbruch des Brandes der Letzte im Dienstzimmer war, befassten sich die weiteren Ermittlungen nur noch mit ihm.
Die gerichtlichen Vorermittlungen wurden dem Königlichen Amtsgericht Besigheim übertragen, wo Ritter am 7. Dezember 1900 von Oberamtsrichter Neuffer befragt wurde. Als Ergebnis dieser Befragung verdichteten sich die Hinweise, dass der Brand durch einen achtlos weggeworfenen, noch brennenden Zigarrenstummel verursacht wurde.
Der Brand entstand im hölzernen Spuckkästchen
Auf Anklage der Königlichen Staatsanwaltschaft Heilbronn kam es am 2. März 1901 zur Hauptverhandlung vor der Strafkammer des Königlichen Landgerichts Heilbronn. Nach Aussagen der Zeugen, des Postmeisters Schaible und der Postunterbediensteten Fischer und Brett, und des Sachverständigen Baurat Ritter sowie den Einräumungen des Angeklagten ergab sich nun zweifellos, dass der Feuerherd in der Ecke entstanden war, wo das hölzerne, mit Sägemehl gefüllte Spuckkästchen gestanden hatte, das ganz verbrannt war.
Seinerzeit war ein Spuckkasten (auch Spucknapf) ein wichtiger Bestandteil öffentlicher Räume wie Amtsstuben oder Bahnhöfen, der das Ausspucken von Schleim und Speichel auffangen sollte. Er diente der öffentlichen Hygiene, besonders zur Eindämmung der Tuberkulose und anderer Krankheiten, die durch Speichel übertragen wurden. Der Parkettfußboden an dieser Stelle verbrannte fünf Zentimeter tief, weitere Holzteile gerieten in Mitleidenschaft. Der dort stehende Telegraphenapparat wurde vollständig, die angrenzende Telegrafenzelle fast gänzlich vom Feuer zerstört.
Auch zwei Paketsendungen der Germania Linoleumwerke wurden beschädigt. Ritter, der am 18. November Abendschicht hatte, gestand ein, das Dienstzimmer vor 22 Uhr mit einer brennenden Zigarre betreten zu haben. Allerdings, so seine Aussage, könne er sich nicht daran erinnern, wo er sie hingelegt oder hingeworfen habe.
Das Gericht sah es aber als erwiesen an, dass Ritter die brennende Zigarre achtlos beiseite geworfen hatte und sie in das Spuckkästchen gefallen ist, wo sie das Sägemehl entzündet hat. Durch dieses fahrlässige Verhalten des Angeklagten wurde der Brand verursacht. Das Gericht verurteilte Friedrich Ritter „Im Namen des Königs“ wegen fahrlässiger Inbrandsetzung eines Gebäudes zu einer Geldstrafe von 25 Mark, außerdem musste er die Kosten des Verfahrens tragen. Zu Gunsten Ritters hat das Gericht den überschaubaren Schaden von etwa 1100 Mark und dessen guten Leumund berücksichtigt.
Nach einer Aufstellung der Königlichen Telegrafeninspektion Stuttgart vom 26. November 1900 betrug der Schaden an den technischen Einrichtungen insgesamt „1.003 Mark 13 Pfennig“, hinzu kam ein relativ geringer Gebäudeschaden in Höhe von 225 Mark. Die Gebäudebrandversicherungs-anstalt, die der Postverwaltung zur Schadensregulierung am 7. Februar 1901 einen Betrag in Höhe von 1.218 Mark 83 Pfennig bewilligt hatte, machte diesen Betrag bei Friedrich Ritter geltend.
Wertsendungen in Höhe von 939 Mark ersetzt
Auf dessen Antrag vom 15. April 1901 wurden ihm aber Zweidrittel der Entschädigungssumme erlassen. Sein Vorgesetzter, Postmeister Schaible, hatte dessen gute dienstliche und außerdienstliche Führung hervorgehoben und seinen Antrag befürwortet. Auf ein Bittgesuch seines Vaters, den Vaihinger Sattler und Tapezierer Carl Ritter, konnte Friedrich Ritter die Ratenzahlung des Restbetrags erreichen. Für beim Brand beschädigte Wertsendungen musste Ritter insgesamt 939 Mark ersetzen, die er in monatlichen Raten von zehn Mark abstottern konnte. Ob er im Postdienst verblieben ist, konnte den Akten nicht entnommen werden.
