Bietigheim-Bissingen „Die ruhige Hand ist entscheidend“

Von Jonathan Lung
Das Übermalen vorhandener Kunst gehört beim Graffiti sprayen dazu. Die Wand am Parkplatz an der Farbstraße hat bereits schätzungsweise 50 bis 60 Schichten an Farbe aufgetragen bekommen. Foto: /Oliver Bürkle

Bei der Riot City Jam wurde die Subkultur mit all ihren Facetten gefeiert – von Graffiti bis Hip-Hop-Konzert.

Am Samstagnachmittag wurden die Dosen gezückt: zum leichten Wummern von Bässen sollte die „Hall of Fame“ Bietigheims, seit den 90ern die freie Fläche für Street Artists am Parkplatz an der Farbstraße, eine neue Farbschicht bekommen: 50 bis 60 Schichten Farbe und Lack hat sie schon, schätzt Daniel Behrens. Sein Ziel dieses Wochenende: die Hip-Hop-Kultur feiern.

Die „Riot City Jam“ fand nämlich wieder statt: in Sichtweite der „etablierten Kunst“ in der Kunsthalle lebte sich die Straßenkunst an der „wandelbaren Galerie“ aus. Die Jam hat schon Tradition in Bietigheim, die erste fand Anfang der 2000er statt – auch in politischem Protest der Jugendlichen im Jugendhaus Farbstraße, ab Ende der 90er entwickelte sich die Jugendkultur in der Stadt, erzählt Behrens – 25 Jahre Tradition also, „es gehört zur Stadtkultur von Bietigheim.“

Erfahrene und Neulinge

Die Hip-Hop-Kultur hat vier Säulen: Graffiti, Rap, DJing und Breakdance – diese sollten zelebriert werden: Am Nachmittag an der Hall of Fame und am Abend mit zahlreichen Künstlern der Szene im Kleinkunstkeller. So startete es am Nachmittag mit Graffiti: Aufgerufen zum „Zusammen Sprayen“ hatte sich ein knappes Dutzend Künstler versammelt: mehr oder weniger Erfahrene, und auch komplette Neulinge, die noch nie eine Sprühdose in der Hand hatten: „Jeder ist eingeladen, sich auszuprobieren“, unterstrich Behrens, der auch die Dosen stellte und eventuell später selbst noch zu einer greifen wollte.

In zwei Einkaufswägen hatten es sich Benedikt und sein Freund Alex – Künstlername „ESBO“ – gemütlich gemacht und gingen noch einmal ihre Entwürfe im Black Book durch, die sie an diesem Tag umsetzen wollten. Währenddessen wurde schon die Wand grundiert, die alten Graffitis verschwanden unter einer Schicht weißer Farbe und machten Platz für neue Kreativität.

Übermalen gehört dazu

„Wir halten das am Leben, uns ist das wichtig – als gewaltfreie Ausdrucksform, um den Menschen die Möglichkeit zu geben, kreativ zu sein, ohne Kommerz – alternativ und subkulturell“, das ist das Ziel des Events. Eine Alternative war es für ihn selbst damals zur Musikschule, in die privilegiertere Schichten ihre Kinder schickten, „eine Möglichkeit für uns, uns sichtbar zu machen“, erzählt Veranstalter Behrens, wie er selbst zum Hip-Hop kam.

„Pieces“ heißen die einzelnen Graffitis – das übermalen ist kein Problem, gehört dazu, viele der ursprünglichen Künstler sind auch selbst anwesend. „Sieht das gut aus?“, holt Benedikt schließlich die Meinung des Experten Behrens ein: Er hat in einer Viertelstunde die Mauer mit einem pink-lilanen Schriftzug versehen, über der weißen Grundierung. Benedikt und sein Freund Alex sind erst seit wenigen Jahren dabei: für Benedikt ist es ungefähr das zehnte Mal Sprayen, erzählt er, irgendwann nahm er seinen Freund mit.

Auch die Kleinen dürfen ran

Viel mehr Entwürfe haben sie schon gezeichnet – nun können sie ein paar umsetzen. „Die ruhige Hand ist entscheidend“, erklären sie: beim Sprühen der Farbe darf nichts verwackeln. Und auch der Aufsatz der Sprühdose ist wichtig: Fat Caps für das Volumen und Skinny Caps für die Umrandung. Aber sie sind nicht die einzigen an der Spraydose: während die Profis links an der Wand schon ihr Graffiti nach einer guten Stunde fast abgeschlossen haben, erklärt Behrens: „Wir machen jetzt eine Kinderwand!“ – und erntet große Begeisterung der jüngsten Besucher.

„Aber wir haben wirklich keine Ahnung“, warnt noch eine Mutter – aber das ist ganz egal. Es geht um das Ausprobieren, und die Vorschläge der jungen Künstler sprudeln nur so: bald liegt das Einhorn als Motiv vorne. Die Kultur des Hip-Hop ist für alle da.

 
 
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