„Manchmal ist ein Ladendiebstahl auch einfach nur ein Ladendiebstahl“, warnte Bov Bjerg sein Publikum: Nicht jede zweifelhafte Handlung der jugendlichen Hauptpersonen seines Buches „Auerhaus“ solle überinterpretiert werden. Der Autor saß am Montagabend in der Otto-Rombach-Bücherei, während es draußen kalt war und regnete – also bei optimalem Lesewetter.
Bietigheim-Bissingen „Ja, so bescheuert war ich damals“
Das Lesefestival „Bi-Bi liest ein Buch“ reist mit Bov Bjergs Roman „Auerhaus“ 50 Jahre zurück.
Der Bestsellerautor, am Rand der Schwäbischen Alb geboren und seit Jugendtagen Wahlberliner, war zu nicht weniger als einer Premiere angereist: Zum ersten Mal findet das Lesefestival „Eine Stadt liest ein Buch“ in Bietigheim statt. Bei der aus den USA kommenden Veranstaltungsart steht ein Buch im Zentrum einer Vielzahl von Veranstaltungen, über das es so zum Austausch kommen kann: „Literatur wird so zum Ausgangspunkt, um sich auszutauschen und sich kennenzulernen“, erklärte Bibliotheksleiterin Sandra Eichert, und Bietigheim-Bissingens Erster Bürgermeister Michael Hanus stimmte zu: „Nutzen Sie die Chance, die Literatur zum Ausgangspunkt zu nehmen und tauschen Sie sich aus.“ Das Lesefestival, veranstaltet von der Bücherei, der Buchhandlung Lieblingsbuch und dem Kulturamt, ist Teil des 50-jährigen Stadtjubiläums.
Viele persönliche Erinnerungen
Das Buch also: Auerhaus, ein Roman über Jugendliche, die in eine Wohngemeinschaft gründen – „our House“, „unser Haus“ auf Englisch und frei übersetzt als Auerhaus auf Deutsch. Ein Buch, „das wunderbar das Lebensgefühl der 70er Jahre widerspiegelt“, freute sich Bibliotheksleiterin Eichert. Und das, erklärt sie nach der Lesung, war eins der Auswahlkriterien: Den drei Veranstaltern war es einmal wichtig, einen Autor mit lokalem Bezug einzuladen – und dann eben zurückzugehen in die Zeit vor 50 Jahren, als Bietigheim-Bissingen in seiner heutigen Form entstand.
Eine Zeit, an die wohl viele der Gäste ihre persönlichen Erinnerungen hätten, fand Astrid Braun vom Stuttgarter Schriftstellerhaus, die mit dem Autor auf der Bühne saß: Sie studierte in dieser Zeit, das sei interessant gewesen – „aber man hat eben auch ganz viel nebenher gemacht.“ Ähnlich war es bei Bürgermeister Hanus, der sich noch lebendig an seine Studienzeit in Ludwigsburg erinnerte: Oberstufe, Auszug von zuhause, dann Studienleben kennzeichneten für ihn die 70er – „das wird sicherlich auch bei Ihnen einige Erinnerungen wachrufen“, wandte er sich an die Gäste. Aber auch die jüngere Generation habe ihr Bild der damaligen Zeit und könne es in dem Roman eventuell wiederfinden, so Braun.
Eine turbulente Zeit
Für die Protagonisten des Romans ist es jedenfalls eine turbulente Zeit: Flucht vor den Eltern nach Westberlin, Verweigerung des Wehrdienstes und deswegen von der Polizei abgeholt zu werden, das drohendende Abitur – und der Suizidversuch von einem von ihnen, der überhaupt erst das Zusammenziehen initiiert.
Wer aber bei diesen schwierigen Themen eine gedämpfte Grundstimmung des Buchs erwartet hatte, täuschte sich: Autor Bjerg hatte mit seinem fein-trockenen Humor die Gäste quasi von Beginn an für sich eingenommen, und sein Witz war auch in den Zeilen des Buchs zu spüren. „Großartig, wie man so was Trauriges mit kleinen Seitenhieben in eine andere Richtung drehen kann“, fand Moderatorin Braun nach der Lesung einer Passage über den Besuch in der Psychiatrie, in der der Freund nach seinem Selbstmordversuch gelandet war.
Der Autor kennt die Situation selbst, er besuchte Freunde in der Psychiatrie, wie auch fast alle Protagonisten im Buch reale Vorbilder haben. Die reale „Vera“ sei nach der Publikation begeistert zu ihm gekommen und habe bestätigt: „Ja, genau so bescheuert war ich damals.“ So fühlte sich vielleicht mancher an diesem Abend an die Zeit vor einem halben Jahrhundert erinnert, eine Zeit in der Deutschland geteilt war, man für Wehrdienstverweigerung durchaus ins Gefängnis kommen konnte und Bietigheim-Bissingen entstand. Viel Gesprächsstoff also für den gemeinsamen Ausklang nach der Lesung – und für die nächsten Veranstaltungen. Jonathan Lung
