Bietigheim-Bissingen Lesung: Geschichten aus dem Kleinstadt-Klima

Von Michael Soltys
Dietrich Jeske Foto: /Oliver Bürkle

Dietrich Jeske, erzählt bei einer Lesung in der Rommelmühle in Bietigheim-Bissingen von seiner Kindheit und Jugend im Schwarzwald und spielt dazu auf seiner Gitarre die Lieder dieser Zeit.

Es scheint eine glückliche Zeit gewesen zu sein, die Dietrich Jeske als Kind und Jugendlicher im Schwarzwald erlebt hat. Nicht konfliktfrei, aber doch von einer gewissen Leichtigkeit erfüllt. Das jedenfalls ist der Eindruck, den man gewinnt, wenn Jeske aus seinem 2014 erschienenen Buch „Beat, Hawaii Toast, Kuba-Krise“ vorliest und zwischendurch, sich selbst begleitend mit der Gitarre, die Lieder dieser Jugend singt: „A Hard Days Night“ von den Beatles, „Dedicated Follower of Fashion“ von den Kinks oder „Cello“ von Udo Lindenberg.

Jeske, ehemaliger Musikredakteur des SWR, wurde 1952 in Naumburg an der Saale geboren und wuchs in St. Georgen im Schwarzwald auf. Heute lebt er in Bietigheim-Bissingen. Im Kulturraum der Rommelmühle trat er gewissermaßen als Eigengewächs auf, denn Jeske ist Mitglied im Verein, der die Veranstaltungen organisiert.

St. Georgen war zu der damaligen Zeit eine Kleinstadt mit industriellem Hintergrund, berühmt vor allem durch die Firma „Dual“, deren weltweit vertriebene Plattenspieler in keinem deutschen Jugendzimmer fehlen durften. Was Musikgeschmack, was Mode anging „waren wir zwei Jahre hinterher“, beschrieb Jeske das kleinstädtische Klima jener Zeit.

Jugend mit langem Haar

Es sind die Geschichten einer kurzen Generationen-Spanne, die Jeske in Episoden erzählt. Wer fünf, vielleicht auch nur drei Jahre früher oder später als Jeske geboren wurde, der dürfte diese Zeit aus anderer Perspektive erlebt und eine andere Musik gehört haben. Eine Zeit, in der die Haare erst gegen Ende der Jugend immer länger wurden.

Die ersten „Beat Club“-Sendungen von Radio Bremen brachten den öffentlichen Musikgeschmack in Bewegung, und die Hälfte der Kleinstadt-Jungen war in Moderatorin Uschi Nerke verliebt. Eine Zeit, in der man sich beim Sonntagsausflug mit dem örtlichen Busunternehmen in Richtung Feldberg und Freiburg mit Butterbrot und Wurst noch selbst versorgte und die verrauchte Luft im unklimatisierten Bus zwangsläufig dafür sorgte, dass der Junge die Kotztüte zur Hand nehmen musste. Oder ins Kino ging, um Freddy Quinn und seinen Traum von der Südsee zu erleben.

Rock’n Roll im Tanzkurs

Wer wissen wollte, wie es zwischen Männern und Frauen zuging, der musste selbst auf verschlungenen Wegen für Aufklärung sorgen. Die Aufklärungsbücher von Oswald Kolle waren der große Hit. Rock’n Roller Bill Haley war damals schon veraltet, seine Platten waren im Tanzkurs dennoch die modernste Musikrichtung, nach denen die Jugendlichen die Mädchen zum Tanz auffordern durften.

Überhaupt die Musik – sie ist für Jeske, der später Jazzgitarre studierte, die direkteste Verbindung in die eigene Jugend. Ein Beatles-Film habe ihn mit dem Musik-Virus infiziert, erzählte er. Das Cover seines Buches zeigt ihn als 14-Jährigen mit einer Gitarre und einer karierten Hose aus dem Neckarmann-Katalog, die aber direkt aus dem Modezentrum der Londoner „Carnaby Street“ zu stammen schien.

Mit Freunden zusammen hörte er Platten ab, versuchte Akkorde nachzuspielen und Texte abzuhören – mit einfachsten Mitteln auf der Suche nach „Weltruhm“, wie Jeske seine Träume beschrieb. Mit dickeren Saiten wurden Gitarren zum Bass umgebaut, aus Mangel an Trommeln mussten Kisten bei den ersten Proben als Schlagzeug herhalten. Ein Bauer konnte überzeugt werden, eine alte Mühle als Probenraum herzugeben und ein Kabel zu legen, um Strom für die Geräte zu haben. Anfang der 1970er-Jahre war es für Jeske „vorbei mit der Leichtigkeit“, wie er sagte, es begann die Zeit des Erwachsenwerdens.

„Ja so war das damals“

Jeske erzählt diese Geschichten liebevoll und mit Charme, eng scheint ihm diese kleine Schwarzwald-Welt nicht geworden zu sein. Dass Lehrer bis in die 1970er-Jahre hinein Schüler schlugen und quälten, dass junge Mädchen wegen der öffentlichen „Schande“ die Schule verlassen mussten, wenn sie ungewollt schwanger wurden, für die „Pille“ aber die Erlaubnis der Eltern brauchten – solche Geschichten werden zwar erwähnt, aber nicht vertieft. Wirkliche Schicksale werden daraus nicht entwickelt.

Es bleibt beim Gestus des „Ja, so war das damals“. Kopfnicken im Publikum, das sich bei vielen Episoden und bei der Musikauswahl wiedererkannte und seine Freude an den Episoden und der Musik hatte.

 
 
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