Der Raum im Dachgeschoss der Städtischen Galerie in Bietigheim-Bissingen ist gut gefüllt. Alle Plätze sind belegt, auch hinter den Stuhlreihen warten interessierte Besucherinnen und Besucher im Stehen darauf, dass es losgeht.
Bietigheim-Bissingen Live-Kunst in der Galerie
Zwei Nachmittage lang malte der französische Tänzer und Streetart-Künstler Alexis „Bust“ Stephens vor Besuchern in der Städtischen Galerie in Bietigheim-Bissingen.
In einem dunkelgrünen Maleranzug betritt der Künstler Alexis „Bust“ Stephens schließlich den Saal. Darüber, dass er nicht ganz pünktlich beginnt, witzelt der Franzose: „Ich komme aus dem Süden, nicht aus Deutschland“. Er schlüpft in seine, von Farbe beklecksten Malerschuhe und steht kurz darauf vor der weißen Wand, an der vor Publikum in nur zwei Nachmittagen ein neues Bild entstehen soll.
Zuhause in der Streetart-Szene
Große Werke in kurzer Zeit zu malen, darin hat der Künstler, der in der Bietigheim-Bissinger Partnerstadt Sucy-en-Brie lebt und in der Streetart-Szene von Paris zu Hause ist, Erfahrung. In den letzten Jahren bemalte er ganze Hausfassaden in Frankreich, Deutschland und weltweit.
Mit einem Bleistift in der rechten und einem Konzept des Bildes in der linken Hand skizziert er mit konzentriertem Blick die ersten feinen Linien. Im Hintergrund läuft Jazz. Es folgen immer kräftigere Striche, aus denen sich für den Laien zunächst noch nicht herleiten lässt, was das Bild einmal zeigen soll. Schon nach wenigen Minuten jedoch lösen sich erkennbare Figuren aus den Bleistiftwolken.
Zwei tanzende Frauen entstehen
Hier entsteht eine Hand, dort ein Gesicht und schon nach kürzester Zeit hat Stephens zwei tanzende Frauen skizziert. Auch die für Stephens typischen Linien, welche die Figuren umschwirren, deren Ränder ausfransen lassen und häufig das ganze Bild zum Vibrieren bringen, sind im Ansatz bereits zu erkennen. „Ich habe überlegt, wie ich dreidimensionale Bewegungen auf einer zweidimensionalen Fläche sichtbar machen kann“, erklärt Stephens den praktischen Hintergrund seines Stils. Aber es gibt auch eine tiefere Ebene, welche der Tänzer und Maler dadurch zum Ausdruck bringen will: „Die Menschen bestehen aus Wellen von Energie. Und das in einer solchen Konzentration, dass man sie letztendlich sehen und sogar anfassen kann“, sagt er.
Mit einem Graphitstift, dessen Linien er verwischt, verleiht Stephens den beiden tanzenden Frauen Gesichtszüge und sorgt durch Schattierungen für Tiefe. Danach kommt Farbe mit ins Spiel, wobei sich der Künstler den verschiedensten Materialien und Techniken bedient, die er mit beeindruckender Sicherheit beherrscht. Wie ein Jazz-Schlagzeuger mit seinen Besen über die Trommeln fährt, verstreicht er mit Pinseln bunte Pastellkreiden. Aus einem abgewetzten Rollkoffer holt er Acrylfarben, die er auf einem Stück Karton zu neuen Kompositionen mischt, als stünde er auch an diesem Tag nicht in einem Museum, sondern auf der Straße vor einer Hauswand. Einige Linien und Details arbeitet Stephens akribisch aus, um dann mit schnellen, impulsiven Bewegungen von oben nach unten über die Figuren und auch zwischen diesen hin und her zu pinseln. Ab und an setzt er sein Werkzeug ab, um mit gezielten Würfen hier und dort Farbspritzer zu platzieren.
Indem er vorsichtig auf den Kopf einer Spraydose drückt und sie an der Wand entlang kratzt, was für klare, gepunktete Linien sorgt, erweitert er die Vielfalt des Bildes um ein zusätzliches Element. Dass seine Bewegungen häufig von der Musik, die im Hintergrund läuft, inspiriert zu sein scheinen, kann der Künstler nicht bestätigen: „Das wirkt nur für euch Zuschauer so“, sagt er.
Seine Art, abstrakte Elemente und realistische, figürliche Darstellungen zu verbinden und auch die Impulsivität, mit der er das tut, gefällt vielen im Publikum. So auch Birgit Krasselt, die aus Plochingen nach Bietigheim-Bissingen gekommen ist, um Stephens malen zu sehen: „Ich glaube, die besten Bilder entstehen, wenn nicht jeder Strich durchgeplant ist“, sagt sie.
Freundschaft und Verbindung
Nach nicht einmal drei Stunden ist ein Großteil des Bildes bereits fertiggestellt. Das Geheimnis, wofür es stehen soll, hat Stephens schon im Voraus gelüftet: „Die Frauen stehen für die beiden Partnerstädte Bietigheim-Bissingen und Sucy-en-Brie. Die Freundschaft und Verbindung der Städte sollen durch die gleichen dynamischen Bewegungen der Tänzerinnen ausgedrückt werden“, erklärt der 41-Jährige.
Als Stephens das vergangene Mal in Bietigheim zu Besuch war, hatte seine Mutter einen Tanzauftritt in der Stadt. Damals war er erst acht Jahre alt. Heute selbst die Gelegenheit zu haben, vor Publikum zu malen, freut den Künstler: „Ich bin sehr stolz und es war mir eine Ehre. Ob tot oder lebendig, dass meine Kunst einmal in Museen hängt, ist mein großes Ziel.“
Zumindest vorerst hat Stephens dieses Ziel auch in Bietigheim erreicht. Neben seinem vor Ort gemalten Werk können bis zum 27. April auch noch weitere seiner Bilder in der Städtischen Galerie betrachtet werden.