Bietigheim-Bissingen Mehr als 120 Jahre Ehrenamt für den Koronarsport

Von Yannik Schuster
Jeden Montagabend treffen sich die Koronarsportler in der Sporthalle des Beruflichen Schulzentrums. Vorne: (von links) die beiden Vorstände Wolfgang Hoffmann und Robert Hoss, daneben Kassier Werner Haas. Foto: /Martin Kalb

Die Trainingseinheiten für Menschen mit Herz-Kreislauf-Erkrankungen werden von ehrenamtlichen Ärzten überwacht.

Ich habe es damals als Aufgabe eines Kardiologen gesehen, sich um die Koronarkranken zu kümmern“, sagt Gerhard Merz. Mit „damals“ meint er 1982, so lange engagiert sich der 77-jährige Mediziner bereits im Koronarsportverein Bietigheim-Bissingen. Beim Koronarsport handelt es sich um eine Trainingsform, in der gezielt auf die Erkrankung des Herz-Kreislauf-Systems eingegangen wird. Die Teilnehmer haben eines gemeinsam: Sie sind Herzpatienten. Zusammen mit den Ärzten Firuz Sadr und Elisabeth Bichl, die bereits seit 1980 im Verein tätig sind, überwacht Merz die wöchentlichen Trainingseinheiten der Herzpatienten in der Sporthalle des Beruflichen Schulzentrums. Mehr als 120 Jahre Ehrenamt kommen so mittlerweile zusammen.

Profitiert hätten über die Jahre viele davon, sagt Merz. Denn als medizinischer Beirat führe er mit den Teilnehmern zweimal pro Jahr Reanimationsübungen durch, übe Notfallszenarien und greift bei Notfällen während des Sports, die laut Vorstandsmitglied Wolfgang Hoffmann regelmäßig vorkommen, ein. Auch überwacht er das medizinische Equipment des Vereins, darunter Defibrillatoren, Sauerstoffflaschen und mehr.

Für die Einteilung der Teilnehmer in Leistungsgruppen sind die Ärzte ebenfalls verantwortlich. Dabei gelte es das richtige Maß für den Einzelnen zu finden, um diesen nicht zu überlasten.

Reha vom Hausarzt verordnet

Der Koronarsport wird in aller Regel vom Hausarzt verordnet. Meistens handle es sich um 90 Einheiten, also zwei Jahre regelmäßiges Training, sagt Hoffmann. Die Herzpatienten gehen finanziell in Vorleistung, die Krankenkasse übernimmt die Kosten jedoch in der Regel. So verhindere man, dass der Verein in Finanznöte gerate, sollte ein Patient regelmäßig nicht erscheinen, sagt Hoffmann.

Als „Sport auf sanfte Art“, beschreibt er die Einheiten. Dabei gehe es einerseits um Bewegung, aber auch um Koordinations- und Konzentrationsübungen. An diesem Montagabend etwa laufen die Sportler im individuellen Tempo Slalom oder werfen einen Ball in die Höhe, klatschen und fangen ihn anschließend wieder auf. Zwischendurch wird der Puls gemessen. Die Übungsleiter seien gezielt für den Herzsport ausgebildet.

Eine Vorschrift, dass es beim Koronarsport einen betreuenden Arzt benötigt, gebe es zwar nicht mehr, erklärt Hoffmann, froh sei man dennoch über die Ehrenamtlichen im Verein. Auch bei Verletzungen, die nicht das Herz betreffen, könne der betreuende Arzt direkt eine erste Diagnose stellen – bei Sportlern zwischen 50 und 90 Jahren keine Seltenheit. Ob das Modell auch in Zukunft aufrecht erhalten werden kann, sei jedoch fraglich. „Immer weniger Ärzte haben daran Interesse“, so Hoffmanns Erfahrung.

Soziale Komponente wichtig

Dabei sei die Anwesenheit eines Arztes gerade für neue Teilnehmer oft beruhigend, sagt sein Vorstandskollege Robert Hoss. Aber auch die soziale Komponente und die Geselligkeit spiele eine große Rolle im Vereinsleben. Deshalb organisiere man zusätzlich zum Sport auch ein Jahres- und Sommerfest und ermögliche den Gruppen Ausflüge.

Seine Ursprünge hatte der Verein 1979, damals war man jedoch noch in der Versehrten- und Behindertensportgemeinschaft organisiert. Gerhard Merz erinnert sich: „Ein Defibrillator hat damals 25 Kilo gewogen. Deshalb hat man immer einen Träger benötigt.“ 1988 machte sich der Koronarsportverein schließlich selbstständig. Zwischendurch stand der heute 167 Mitglieder zählende Verein einmal kurz vor dem Bankrott, mittlerweile habe sich die Finanzsituation aber stabilisiert, sagt Hoffmann.

Merz stellt fest: Damals war das Durchschnittsalter der Patienten 50, heute sei es 70 Jahre. Das liege vor allem an dem medizinischen Fortschritt der vergangenen 40 Jahre. Früher habe es mehr schwere Infarkte gegeben, heute könne man jedoch schon bei kleineren Beschwerden eingreifen, sodass der Verlust der Lebensqualität für den Patienten überschaubar bleibe.

 
 
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