In vielen Bietigheim-Bissinger Haushalten hängen Werke von ihm: Der Maler Paul Reichle lebte von 1927 bis zu seinem Tod 1981 in Bietigheim und zählt zu den wichtigsten hiesigen Künstlern. Aus Anlass seines 125. Geburtstags zeigt die Städtische Galerie eine Ausstellung über ihn, die an diesem Freitag, 19 Uhr, offiziell eröffnet wird.
Bietigheim-Bissingen Nach dem Ruhestand begann seine produktivste Phase
Zu dessen 125. Geburtstag zeigt die Städtische Galerie Werke von Paul Reichle – als Doppelausstellung mit Kunst von Katharina Trudzinski.
„Vom Bauhaus nach Bietigheim“ steht im Eingangsraum der Ausstellung im Erdgeschoss, und das ist auch der Titel der gesamten Schau. Denn die Anregungen, die er 1924/25 während eines Wintersemesters am Weimarer Bauhaus erhalten hatte, blieben für den 1900 in Stuttgart geborenen Künstler ein Leben lang prägend. Das Bauhaus galt als wichtigstes Zentrum für abstrakte Kunst in der Zwischenkriegszeit. Reichle, der zuvor eine Malerlehre gemacht und dann an der Kunstgewerbeschule in Stuttgart studiert hatte, nahm dort unter anderem am Unterricht von Paul Klee und Wassily Kandinsky teil. „Er hat alles in ein Semester reingepackt“, sagt Galerieleiterin Dr. Isabell Schenk-Weininger. In der Ausstellung sind einige Werke Reichles aus dieser Zeit zu sehen, auch ein Foto von ihm mit anderen Personen aus Weimar.
Meist aus eigenem Bestand
Für die Ausstellung konnte die Galerie größtenteils auf eigene Bestände zurückgreifen. Rund 150 Reichle-Bilder befinden sich hier, von denen zwei Drittel gezeigt werden, ergänzt durch einige externe Werke.
In Bietigheim fand Reichle eine Anstellung bei den Deutschen Linoleumwerken, wo er von 1935 bis bis zum Ruhestand 1965 als Kolorist und Farbberater arbeitete. Die Ausstellung zeigt einen für die DLW entworfenen Umschlag von 1957, der von Reichle stammt, und Artikel, die er für die Zeitschrift „Wir vom DLW“ verfasste. Daraus sei zu erkennen, dass er damals „total am Puls der Zeit“ war, sagt Dr. Petra Lanfermann, die stellvertretende Galerieleiterin.
Weitere Anregungen als Maler erhielt Reichle laut Schenk-Weininger in Paris, wo er während des Zweiten Weltkriegs als Soldat war und wo er auch Kandinsky wieder traf. Nach dem Krieg habe er den entscheidenden Schritt in die Abstraktion gewagt, so die Galerieleiterin.
Reichle habe ein Repertoire an abstrakten Formen entwickelt, die sich zunächst – vom Gegenstand abgeleitet – geometrischen Formen annähern, später einen gegenständlichen Kern nur noch erahnen lassen, beschreibt Isabell Schenk-Weininger seine Kunst. Aus den 50er-Jahren sind Kreidezeichnungen in Schwarz-Weiß zu sehen, mit Nuancen von hell zu dunkel. Sein Ziel sei es gewesen, das Ganze zu einer Ausgewogenheit zu bringen.
Ebenfalls aus den 50ern gibt es auch farbige Bilder mit Titeln wie „Wunderland“ oder „Kafka“. Sein Werk sei damals noch heterogen gewesen, so Schenk-Weininger. Er sei noch auf der Suche nach seinem Stil gewesen.
Malen als tägliche Routine
In den 60er-Jahren werden Reichles Werke strenger, die Fläche spielt eine größere Rolle. Er beginnt, mit Dispersions- und Acrylfarbe zu experimentieren. Erstmals verwendet er jetzt einen Abklatsch von Druckerzeugnissen wie Zeitungen, um Strukturen auf den Flächen zu erzeugen.
Nach Beendigung seiner beruflichen Tätigkeit habe sich Reichles Produktivität nochmals gesteigert, sagt Schenk-Weininger. Bis zu seinem Tode seien sogar der Großteil seiner Hunderte von Kreidezeichnungen und insgesamt über 700 Gemälde entstanden. Malen sei für ihn nun zur täglichen Routine geworden. Die Ölkreidezeichnungen von damals sind kleinformatig und sehr farbig. Zu Reichles Spätwerk gehören dann hochformatige Gemälde in Acryl, von denen viele Rot-, Orange- und Brauntöne haben. „Hier ist er absolut bei sich angekommen“, stellt Schenk-Weininger fest.
Karo- und Streifenmuster
Weil die Abstraktion nichts Abgeschlossenes sei, sondern in die Gegenwart reiche, haben die Ausstellungsmacherin die Reichle-Werke durch Zeichnungen, Reliefs und Rauminstallationen der Berliner Künstlerin Katharina Trudzinski (geboren 1977) unter dem Titel „Slalom“ ergänzt, womit es eine Doppelausstellung ist. Die Künstlerin arbeitet ebenfalls abstrakt – in einer teilweise geometrischen, teilweise gestaltlosen Formensprache. Auffallend in ihren Aquarellen und Zeichnungen sind viele Karo- und Streifenmuster. In den Ausstellungsräumen platziert sind außerdem Skulpturen der Künstlerin, die aus flachen, aber großen farbigen Elementen bestehen, die zusammengeklemmt werden. Durch Farbverläufe wirken sie dreidimensional. Sie lehnen in Ecken und umspielen Pfeiler.
Trudzinskis Kunst „knüpft wunderbar an Reichle an“, findet die Galerieleiterin. Die Doppelausstellung ist bis zum 6. Juli zu sehen.
Aktionstag in der Galerie
Fotos gesucht Die Galerie sucht weiterhin Fotos von Reichle-Gemälden in Privathaushalten, die diese in ihrem Umfeld zeigen. Bisher gingen rund 30 Fotos ein, die in einem separaten Raum zu sehen sind. In einem weiteren Raum können kleine und große Besucher mit bunten geometrischen Formen selbst im Stile Reichles kreativ werden.
Am Sonntag, 6. April, von 14 bis 18 Uhr bietet die Galerie zur Eröffnung der neuen Ausstellung einen Tag der offenen Tür mit vielen Veranstaltungen für Groß und Klein an: Es gibt Führungen und Workshops, dazu Tanzperformances in Kooperation mit der Kunstschule Labyrinth. Die Teilnahme ist kostenlos.
Zur neuen Ausstellung gibt es wieder ein umfangreiches Programm. Die erste Führung ist am Montag, 7. April, um 17 Uhr für Lehrer und Erzieher.