Bietigheim-Bissingen Poesie in der Schule verankern

Von Rena Weiss
Der Stuttgarter Harry Fischer besuchte die sechste Klasse der Schule im Sand, um sie auf eine poetische Reise zu nehmen.⇥ Foto: Helmut Pangerl

Die fünfte und sechste Klasse in der Schule im Sand bekamen Besuch von Dichter Harry Fischer. Der nahm sie mit auf eine poetische Reise.

Noch weiß die sechste Klasse der Schule im Sand nicht, was sie erwartet. Ein ihnen unbekannter Mann steht in Jeans und schwarzem Rollkragenpullover vor ihnen. Er spricht mit ihnen in einer ebenfalls unbekannten Sprache. „Verstehst du mich?“, fragt er einen Schüler plötzlich auf Deutsch. Keiner traut sich, etwas zu sagen. „Was könnte es denn für eine Sprache sein?“, fragt der Mann und ein Schüler antwortet: „Vielleicht haben sie rückwärts geredet.“ Nicht ganz, Harry Fischer hat die rund 15 Schüler am Mittwochvormittag auf Arabisch begrüßt. Der Poet war zu Gast in der Schule, um den Kindern Poesie näherzubringen, und das macht er auf seine ganz eigene Art.

Poesie näherbringen

Seit mehr als fünf Jahren schon kommt Harry Fischer aus Stuttgart an die Sandschule. In Stuttgart lernte er auch Ute Heinrichs kennen. „Das ist jetzt bestimmt mehr als zehn Jahre her“, sagt die Lehrerin, die damals an einer Schule in Stuttgart unterrichtete. „Er blieb mir nachhaltig im Gedächtnis“, sagt sie über die Begegnung. Als Heinrichs nach Bietigheim-Bissingen kam, schlug sie den Besuch von Fischer vor. Mittlerweile ist er in der Jahresplanung verankert. „Er bringt den Kindern Poesie von einer anderen Seite näher“, sagt die Lehrerin, deren fünfte Klasse bereits am frühen Morgen Gedichte mit dem Stuttgarter schrieb. Vormittags war die sechste Klasse von Ulrike Quass dran. „Ich nehme euch heute mit auf eine poetische Reise“, sagt Fischer zu der noch sehr zurückhaltenden Klasse. „Was ist Schönheit?“, fragt er kurze Zeit später. Schönheit lasse sich nur schwer erklären, weil jeder etwas anderes schön finde. Genauso sei es mit der Poesie. „Jeder weiß für sich, was Poesie ist.“ Alles könne Poesie sein. Als Beispiel liest Fischer das Gedicht „Geliebter Kieselstein“ vor. In der Poesie könne man sich die tollsten Sachen vorstellen, sagt der Dichter, deswegen könne ein Kieselstein auch geliebt sein.

Das nächste Gedicht folgt und in ihm ein Wort: betören. „Wisst ihr, was das Wort bedeutet?“ Zahlreiche Adjektive werden genannt. Immer wieder nimmt Harry Fischer einzelne Wörter aus seinen Gedichten heraus und fragt die Kinder nach deren Bedeutung. Nicht nur, um das Verständnis abzufragen. Ganz subtil zeigt er den Sechstklässlern, um was es in der Poesie eben auch geht: Wortspielereien und oft eben auch die Suche nach Wörtern und Synonymen. Das Mitmachen der Schüler sei für ihn wichtig. „Es ist unbefriedigend, wenn ich in die Klassen gehe und nur Gedichte vorlese.“ Sie sollen Poesie wahrnehmen, erleben und auch selbst verfassen.

Anfangs sind die Kinder noch zurückhaltend, aber mit jeder richtigen Antwort und jedem Lob werden sie mutiger und aufgeweckter, bis es zum Schluss an die eigenen Gedichte geht. Jeder Schüler darf alleine oder in der Gruppe ein Gedicht verfassen. Die Themen dürfen so unterschiedlich sein, wie die Erfahrungen der Kinder sind, erklärt Fischer und nennt Beispiele aus anderen Schulen, die erschüttern. Ein 14-Jähriger, der über seine Drogensucht schrieb, ein anderes Kind über den Missbrauch durch den eigenen Vater und ein drittes, das sich mit den Kriegen auf der Welt befasste. „Poesie kann einem helfen“, sagt Fischer dazu. Er will den Kindern helfen, aufzublühen, wie er sagt. Positives in der Welt zu sehen, aber sich auch erlauben, traurig zu sein.

Stolze Poeten

Es scheint zu funktionieren. Zwei Mädchen schreiben ein Gedicht über die Umwelt und wie sie versuchen möchten, die Welt vor den Menschen zu schützen, indem sie das Fahrrad nutzen, zu Fuß gehen und Plastik vermeiden. „Egal ob Hund, Katze, Maus – Ali macht ’nen Döner draus“, schreibt eine Gruppe von Jungs ein kleines, aber humorvolles Gedicht. Zwei Mädchen schreiben über ihre Freundschaft. Stolz zeigen sich die Kinder ihre Werke. Damit dieses Gefühl etwas länger anhält, werden die Gedichte in einem Büchlein zusammengefasst, ausgedruckt und in zwei bis drei Wochen den Kindern überreicht. Und wer weiß, ob am Mittwoch nicht der eine oder andere Poet geboren wurde.

Info Finanziert wird das Projekt durch den Friedrich-Bödecker-Kreis Baden-Württemberg. Weitere Informationen zu Harry Fischer und seiner „poetischen Reise“ gibt es online.

www.kinderpoesie.de

 
 
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