Wenn Lisa Knaus und Romy Bischof mit der Familie in den Urlaub fahren, dann müssen sie sich um nichts kümmern. Es geht ins Hotel, wenn gecampt wird, dann im komfortablen Wohnmobil, sagt die 14-jährige Romy Bischof. Und die gleichaltrige Lina Knaus fügt hinzu: „Und Geld ist kein Problem“.
Bietigheim-Bissingen Radtour als pädagogische Mutprobe
Lisa Knaus und Romy Bischof nehmen an dem Projekt „Herausforderung einfach machen“ teil. Die 14-Jährigen machen – fast alleine - eine Radtour durchs Taubertal.
In der letzten Woche vor den Sommerferien aber werden die beiden Mädchen eine ganze Menge „erste Male“ haben, wie ihre Klassenlehrerin Nadine Zachmann sagt. Zwei neunte Klassen der Ellentalgymnasien beteiligen sich an dem Projekt „Herausforderung einfach machen“ der „Herausforderer GmbH“ Potsdam.
Von der Idee einer Herausforderung über die Planung und die Umsetzung müssen die Teilnehmer alles alleine machen, sie werden lediglich von Coaches betreut und beraten. „Bei uns machen die Gruppen alle etwas Sportliches, was sie noch nie gemacht haben, eine Radtour oder eine Wanderung“, so Zachmann. Allerdings seien auch soziale Projekte möglich. Nur die Hälfte von zwei neunten Klassen machen bei der Aktion mit. „Wir können niemanden zwingen und viele trauen sich auch nicht“, sagt die Lehrerin.
Lina Knaus und Romy Bischof haben sich für eine Radtour durchs Taubertal bei Rothenburg entschieden. An acht Tagen geht es 310 Kilometer mit dem Rad an dem Fluss entlang. Alleine die Entfernung, die radfahrend zurückgelegt wird, ist neu für die Mädchen. „Wir üben aber schon dafür“, sagt Lina Knaus. Geübt wird auch das im Zelt schlafen, im heimischen Garten, aber auch das Kochen. Die Campingplätze haben die beiden schon gebucht, denn sie mussten ihre konkrete Planung mit Buchungen, Tagestouren und Route schon den betreuenden Lehrern vorstellen. Begleitet werden sie auf der Tour von einem Companion, in ihrem Fall ist es die Studentin Amelie Morgenroth. Aber sie soll sich möglichst im Hintergrund halten, schließlich müssen die beiden 14-Jährigen die Herausforderung wuppen. „Es kam wohl schon mal vor, dass sich Teilnehmer verfahren hatten, die Begleiterin wusste das, ist aber nicht eingeschritten“, erzählt Romy Bischof.
Dosensuppen und Wasser wird die Verpflegung
Die Mädchen haben jeweils zehn Euro pro Tag zur Verfügung, so haben es die bezahlenden Eltern entschieden. Nachdem die Campingplätze bezahlt waren und sogar zwei Nächte bei Bekannten von Lina Knaus’ Familie in deren Garten umsonst gezeltet wird, haben sie noch 50 Euro für die Verpflegung, also Essen und Trinken. „Das wird knapp“, sagt Lina Knaus.
Und genau das ist es, so sagt Nadine Zachmann, was das Projekt bewirken soll: „Zuhause gibt es einen vollen Kühlschrank, alles ist organisiert, die Schülerinnen müssen sich keine Gedanken machen. Nun müssen sie genau planen.“ Dosensuppen und Wasser aus dem Hahn sei eigentlich nicht so ihr Ding, sagt Lina Knaus. Aber für mehr wird am Schluss das Geld nicht reichen. Sie nehmen einen Kocher mit, mit dem sie demnächst Probe kochen, da sie das noch nie gemacht haben. Auch das Zelt aufschlagen müssen sie üben.
Das Handy soll nur als GPS und für Notfälle benutzt werden. „Auch das ist eine Herausforderung, denn unsere Schüler daddeln sonst stundenlang“, sagt Zachmann. Acht Tage draußen sein, so sagen auch die Mädchen, davor hätten sie Respekt. „Das Wetter kann unsere Route durcheinanderbringen und auch die gebuchten Campingplätze“, so Lina Knaus. Und dann komme wieder das Thema Geld zum Tragen, denn zusätzliche Kosten für die Übernachtung können sie sich nicht erlauben, „Ich glaube, dass das Geld unser größtes Problem ist“, sagt Lina Knaus. Dann unkonventionelle Lösungen finden, ist auch Teil des Projekts. Beide erhoffen sich durch das Vorhaben mehr Selbstständigkeit, Selbstbewusstsein und Mut zu bekommen.
Herausforderung einfach machen“ ist eine Projektidee der Herausforderer gemeinnützige Gmbh in Potsdam. In den Herausforderungsprojekten werden die Lernenden zu ihren eigenen Herausfordern. Sie geben selbst die Richtung vor und werden von Coaches und Companions in einem zieloffenen Prozess begleitet. Die Jugendlichen wachsen nachhaltig an der Erfahrung, da sie durch Eigeninitiative und einem hohen Grad an Partizipation weder über- noch unterfordert werden, heißt es auf der Website des Vereins, auch wenn sie in den Projekten Dinge machen, die sie noch nie gemacht haben.
Die selbst gewählten Projekte folgen einem fundierten Bildungsansatz und sind erwiesenermaßen wirksam. Ein ganzheitlicher Bildungsansatz und Motivation gelten als Schlüssel zu Persönlichkeitsentwicklung, Resilienz und individuellem Erfolg. Die Herausforderungen bieten Jugendlichen den Raum, grundlegende Problemlösungskompetenzen zu erleben, die sie in der Schule und im späteren Berufs- und Privatleben dringend benötigen. Anders als bei einer Klassenfahrt handelt es sich nicht um ein „Event“, sondern um ein wirkungsorientiertes Bildungsprogramm mit nachhaltiger Wirkung.
Es gibt Infoabende für Schulen, in denen der Verein über das Projekt informiert. Ein Projekt besteht aus fünf übergeordneten Phasen: Inspiration, Planung und Vorbereitung, Umsetzung, Reflexion, Transfer auf die eigene Lebenswelt. Für die Umsetzung einer jeden Phase bietet der Verein Unterstützung, Workshops und Fortbildungen in unterschiedlichem Umfang an.
Der Verein übernimmt zwar nicht die Kosten des Vorhabens, das müssen die Eltern machen, aber er stellt die Aufsichtspflicht, Haftung und Versicherung, Lernmaterialien, Leitfäden und Videos, Checklisten, Elternbriefe, Fortbildungen, Workshops und Ausbildung der Begleiters bereit.