Bietigheim-Bissingen Schulen kämpfen mit Folgen von Lockdowns und Migration

Von Walter Christ
Frank Schneider, Leiter der Schulsozialarbeit in Bietigheim-Bissingen, ließ mit seinem Bericht aufhorchen. Foto: /Martin Kalb

Die Schulsozialarbeit sieht teilweise besorgniserregende Entwicklungen bei Kindern und Jugendlichen, arbeitet aber auch schon an Lösungsansätzen. „Wir sind auf einem guten Weg“, sagt der Leiter der Sozialarbeit Frank Schneider.

Rathaus Bietigheim. Der Jugendausschuss des Gemeinderats tagt. Nach dem Jahresbericht über die Jugendförderung in der Stadt „Das Netz“ wird einmal mehr die Arbeit des Teams um Harald Finkbeiner-Loreth gelobt. Die geschilderten Herausforderungen ähneln denen der Vorjahre – hätte da nicht der Bericht von Frank Schneider über die 13-köpfige Schulsozialarbeit aufhorchen lassen. Konkret gemeint ist die aktuelle Entwicklung, insbesondere aber die Erkenntnis, dass inzwischen nun auch schon bei den Jüngsten – die Rede ist von Grundschülern – Probleme zu schaffen machen, die zum Teil besorgniserregend sind.

„Hohes Aggressionspotenzial auch schon bei den Kleinsten“, „stark zugenommene soziale Konflikte“, „gestiegene Gewaltbereitschaft zur Lösung von Konflikten“, „gestiegene Zahl von Schulabsentismus“, „psychologisch-therapeutische Auffälligkeiten wie Angstzustände, Panikattacken, selbstverletzendes Verhalten“, „gewaltfreie Kommunikation wird immer mehr zu einem Fremdwort“, „Sozialkompetenzen gingen verloren“, „mangelnde Belastbarkeit“ und so weiter bis hin zu enorm gestiegenem Mobbing, zu Respektlosigkeit gegenüber Lehrkräften und sogar Suizidgefahren, lauten die Diagnosen. In Einzelfällen handelt es sich demnach auch um dramatische Ausmaße.

Das Phänomen ist keinesfalls Bietigheim-Bissingen spezifisch und darf auch nicht für alle dortigen Schulen und Schüler pauschaliert werden. Außerdem ist laut Experten auch altersbezogen zu differenzieren. Stefan Ranzinger, Leiter des 2100 Schüler großen Berufsschulzentrums, beispielsweise spricht zwar auch von spürbaren Veränderungen, welche die praktischen Aufgaben in der Schulsozialarbeit zunehmen ließen. „Gott sei Dank kann aber bei uns von einer dramatischen Entwicklung keine Rede sein.“

Eltern mehr einbinden

Sein Kollege von der Realschule im Aurain, Claus Stöckle, berichtet auch von Einzelfällen an Problemschülern in seiner Schule. Zu anderen Schulen könne er – Geschäftsführender Schulleiter der Bietigheim-Bissinger Schulen – nichts sagen. „Die Eltern von auffälligen – oder auch problematischen – Kindern sind der wichtige Schlüssel. Beide Elternteile wieder mehr zur Schule zu bringen, verbindlich zu verpflichten, ist ein Muss in unserer veränderten Gesellschaft.“ „Keinesfalls“, betont der Schulleiter, „sind die jetzt gekommenen Migranten das Problem. Im Gegenteil!“

Je mehr es aufs flache Land geht, umso weniger schwerwiegend scheinen die Schwierigkeiten aufzutreten. Da hört man eher von Einzelfällen, Unkonzentriertheiten bei Kindern.

Dem stehen aber auch erheblich andere Aussagen gegenüber. „Die Lehrerinnen und Lehrer verbrennen.“ Die angesichts der Veränderungen betroffenen Pädagogen seien nahe am Resignieren und litten insbesondere darunter, „dass alles unter den Teppich gekehrt, schön geredet wird“, hieß es zum Beispiel.

Und weiter, dass man „gleich bequem in eine ganz bestimmte Ecke gedrängt wird, wenn man beispielsweise nur das Faktum nennt, dass von der Politik die Voraussetzungen für immer mehr Migranten bei immer weniger Personal einfach nicht geschaffen wurden und die Kommunen und deren Beschäftigte die Misere nun ausbaden müssen“.

Thesen, die sich fortsetzen ließen und explizit auch kreisweit auf frustrierte Erzieherinnen in Kindergärten bezogen werden können, denen eine dringend notwendige persönliche Zuwendung zu traumatisierten Kindern gar nicht mehr möglich sei.

Fachkräfte äußern sich anonym

Die zitierten Fachkräfte aus dem Landkreis haben eines gemeinsam: Sie wollen auf keinen Fall namentlich genannt werden. Ihr Anliegen: „Die Bevölkerung muss für die akute Situation endlich sensibilisiert werden“.

Den Hauptgrund für die eingangs genannten, „in der Tat bemerkenswerten Phänomene“ sieht Frank Schneider in den Corona-Lockdowns, die für die Kinder und Jugendlichen den Wegfall an Gemeinschaftsstruktur bedeuteten. Allerdings fügte er konsequent hinzu, dass neben den Pandemie-Maßnahmen wie etwa Schulschließungen ein ganzes Konglomerat an weiteren Gründen für die Auffälligkeiten ursächlich sein könne: Eltern/Familie, Religion/Dogmen, Medien, Herkunft/Migration, Sprache, mangelnde Konsequenzen.

„Eine Klasse mit 20 Schülern aus zwölf verschiedenen Kulturen zu führen, ist nun mal nicht einfach, aber möglich, wie das Beispiel einer hiesigen Schule beweist, in der wunderbar demonstriert wird, dass ein friedliches Miteinander von gleich 41 Nationen durchaus möglich ist“, betont Schneider.

Der Schulsozialarbeitsleiter kann in Bietigheim-Bissingen auf immerhin rund 35 Projekte verweisen, in den neben der vielfältigen Präventionsarbeit auch intensiv darauf hingewirkt wird, dass sich die Schülerinnen und Schüler wieder an eine geregelte Schulalltags-Struktur gewöhnen können, verloren gegangene soziale Kompetenzen wieder herstellen und somit Verhaltensweisen klar verbessert werden. Verstärkt wolle man dabei auch Familienväter miteinbeziehen.

Frank Schneider ist zuversichtlich: „Erste Erfolge sind erkennbar. Wir sind auf einem guten Weg.“

 
 
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