Zu schnelles Fahren, Lärm, Feinstaub – wer kennt sie nicht, die Last von Anliegern, die zunehmend aufbegehren. Insbesondere trifft dies auf die Antonia-Visconti-Straße im Westen Bietigheims zu. Seit 1994 klagen Betroffene über den Verlust an Lebensqualität und fahren inzwischen schweres verbales Geschütz gegen die Stadtverwaltung auf.
Bietigheim-Bissingen Verkehr: „Raser“ machen Anlieger rasend
In der Antonia-Visconti-Straße kehrt keine Ruhe ein, es gibt massive Vorwürfe gegen Stadtverwaltung. Diese spricht von deutlicher Übertreibung.
Hunderte von Dokumenten, Briefen, Recherche-Ergebnissen und anderen Fakten füllen inzwischen Ordner von Klaus Balm. Der ehemalige IT-Fachmann wohnt in der besagten Straße und ist offensichtlich mit den Nerven fertig. Er leidet an Tinnitus, andere Anlieger an psychischen und organischen Erkrankungen, wie er sagt.
Wunsch nach Kontrollen
„Unsere Balkone sind nicht mehr nutzbar, unsere Lebensqualität ist dahin“, klagt der 75-Jährige der BZ gegenüber wegen des sehr häufig viel zu schnellen Fahrens, wegen Gefahren – im Bereich der Bäckerei habe es bereits zwei schwere Unfälle gegeben, Betonpoller würden gerammt – und diesbezüglich erst recht über „das Nichtstun, die Abwiegelungstaktik seit Jahrzehnten“ in Rathaus und Stadtrat. Man möge doch bitteschön endlich mal die Mess-Protokolle der letzten sechs Jahre vorlegen – „die es aber überhaupt nicht geben wird“, argwöhnt der Kritiker. Täglich nutzten seinen Recherchen zufolge um die 3000 Fahrzeuge diese Straße.
Nach einer Zählung auf eigene Faust an einem Werktag zwischen 11.50 und 13 Uhr waren in dieser kurzen Zeitspanne exakt 233 Fahrzeuge auf Achse – und genau zehn Prozent davon überschritten die vorgegebene Höchstgeschwindigkeit von 30 Stundenkilometern, wie eine Geschwindigkeitsanzeige mit Smileys jeweils bestätigte.
„Wir Bürger werden seit über 30 Jahren vom Rathaus systematisch belogen und hingehalten. Und es wird dauernd versucht, uns mundtot zu machen. Uns werden permanent mobile Kontrollen zugesagt, die dann niemals stattfinden“, wettert der Rentner. Schon nach der letzen Messung im Dezember 2019 mit dem Trailer einer hier ansässigen Bäckerei habe man auf Nachfrage von Amtsleiter Volk die klare Aussage erhalten, dass man hier „eine überraschend hohe Zahl von Geschwindigkeitsübertretungen festgestellt“ habe. Passiert sei daraufhin freilich bis heute nichts.
Sind Poller sinnlos?
„Kaum einer hält sich korrekt an die Vorschrift. Vor allem im unteren Bereich an einer Bäckerei geben Raser nochmals unverschämt viel Gas, um möglichst noch vor knallrot die Ampel zur Löchgauer Straße zu erreichen. Die von der Stadt geschaffenen Schikanen wie Poller und Straßenverengungen bringen genau das Gegenteil vom Angestrebten, sind völlig sinnlos. Denn diese werden rasant umfahren, die Autolenker geraten dadurch in die Straßenmitte, in der es dann zu gefährlichen Situationen mit dem Gegenverkehr und zu Unfällen kommt“, schildert Klaus Balm.
Permanent habe man im Rathaus um Abhilfe gebeten, sich um Gespräche bemüht, 55 Unterschriften vorgelegt – „aber effektiv ist letztlich nichts passiert“. Die Situation sei eine Katastrophe, mäkeln laut Klaus Balm die Betroffenen an den zuständigen Verantwortlichen der Stadtverwaltung vom Oberbürgermeister bis hin zu Amtsleitern und dem Gemeinderat. Eine Klage vor dem Verwaltungsgericht wegen Untätigkeit, obwohl alle Übel bekannt seien, sei jedenfalls beabsichtigt.
Der Anlieger fordert mit Hinweisen auf Nachbar-Kommunen wie Tamm neben regelmäßigen mobilen Geschwindigkeitskontrollen per „VW-Caddy“ an unterschiedlichen Zeiten und Stellen eine stationäre Blitzer-Säule im Bereich Antonia-Visconti-Straße/ Mergenthaler-Straße/Erwin-Bälz-Straße und beispielsweise angesichts einer Verfünffachung an Belastungen „endlich die verschärften Forderungen des Lärmschutz- und Feinstaubplans auch umzusetzen“. Die Stadtverwaltung indes meint, dass sich eine einzelne Bürgerin seit Jahren beschwere, damit aber die tatsächliche Belastung der Straße deutlich übertreibe. Es lägen tatsächlich nur sehr vereinzelte Beschwerden von Anwohnern vor.
Stadt: Nur wenige Raser
„Die Stadt nimmt die Hinweise der Anwohner wie an anderen Stellen in der Stadt natürlich ernst und kontrolliert. Die Kontrollen und Erhebung von Verkehrszahlen zeigen, dass die Straße zwar eine hohe Zahl von Fahrzeugen aufweist, weil sie eine der beiden Haupterschließungsstraßen des Wohngebiets ist, aber nur wenige ,Raser‘ auftreten und die dargestellten Maßnahmen zur Reduzierung der Tempo-Verstöße auch wirken“, so die offizielle Stellungnahme. Ganz verhindern ließen sich wie überall in der Stadt die Verkehrsübertretungen nicht, sie lägen in dieser Straße aber im Bereich dessen, was auch anderswo normal sei. Das Ordnungsamt werde, heißt es in der Stellungnahme abschließend, auch weiterhin in regelmäßigen Abständen überwachen.