Bietigheim-Bissingen Vom Sportidol zur „DDR-Verräterin“

Von Walter Christ
Díe ehemalige Weltklasse-Schwimmerin Renate Vogel hat über ihr Leben als Sportlerin in der ehemaligen DDR berichtet. Michaela Ruof, Leiterin des Kultur- und Sportamts, stellte ihr zahlreiche Fragen. Foto: /Martin Kalb

Die einstige Weltklasse-Schwimmerin Renate Vogel aus Karl-Marx-Stadt hat über ihre Karriere, über Doping und die Flucht aus der früheren DDR referiert.

Mit der ehemaligen Weltklasse-Schwimmerin Renate Vogel war am Donnerstagabend ein prominenter Gast beim Bietigheimer Geschichtsverein. Zahlreiche Zuschauer verfolgten den Vortrag zum Thema „Vom Sportidol zur Sportverräterin“. Das Publikum lauschte gebannt den Schilderungen der Sportlerin über die DDR.

Unaufgeregt sprach die 69-jährige dreifache Weltmeisterin und erfolgreiche Olympionikin bei dem über eineinhalbstündigen Event über heute noch Aufregendes und antwortete auf die insgesamt fast 30 Fragen der Kultur- und Sportamtsleiterin Michaela Ruof sowie aus dem Publikum.

Staatlich-gelenkte Kindheit

Die seit 1980 in Bietigheim-Bissingen lebende Spitzensportlerin spannte in ihrem mit Dokumenten illustrierten Vortrag den Bogen von ihren schon frühen sportlichen Leistungssprüngen bis in die 1980-Jahre. Vogels staatlich-gelenkte Kindheit begann in Schulen und Sportstätten mit perfekter Infrastruktur in Chemnitz. Über unzählige, durch sportspezifische Planwirtschaft auch geforderte, herausragende internationale Erfolge führte die Entwicklung hin zu den Schandtaten von der SED untergeordneten Stasi-Schergen. 650 Seiten umfasste Vogel zufolge allein ihre Stasi-Akte und mehrere Personen waren demnach allein auf sie angesetzt. Einschließlich der Spitzel auch in Westdeutschland.

Vogel nach zu urteilen entsprach das den Gepflogenheiten des Überwachungsstaates. Es basierte später vor allem auch auf der Tatsache, dass sie sich Doping widersetzt habe. Ausgerechnet ihr als DDR-Vorzeigesportlerin sei außerdem 1979 mit falscher Identität „und durch die eigene Dummheit der Stasi“ über Ungarn die Flucht per Flugzeug in die Bundesrepublik Deutschland gelungen.

Vermeintliche Vitamintabletten

Damit kam am Donnerstag auch das Thema Doping zur Sprache. Als Renate Vogel damals bemerkt hatte, dass die von Sportmedizinern und Trainern „zur Prophylaxe“ verabreichten angeblichen Vitamintabletten immer mehr und stärker wurden und man ihr 1974 auch noch mit Spritzen verabreichen wollte, stand für sie fest: „Ich mache das nicht mit, ich mache nix.“ Die Konsequenzen für den Seiten-Wechsel seien direkt erfolgt: „Von 100 auf 0“ war der Schwimmstar, dem man für die Silbermedaille 1972 in München noch satte 16.000 DDR-Mark bezahlt hatte, von allem ausgeschlossen worden. Später wurde die Wohnung der „Verräterin“ systematisch ausgeräumt. Ihr Geld auf dem Konto sei auf Nimmerwiedersehen verschwunden. Ganz schlimm sei für sie gewesen, dass sie nicht mal mehr abtrainieren durfte.

Was das Verabreichen von Doping anbelangt, bestätigte die frühere Hochleistungssportlerin, die in Bietigheim 35 Jahre lang das Modegeschäft „Renate B“ betrieben hatte, unmissverständlich, dass der DDR-Staat dahinter gesteckt habe.

Sie sagte aber auch, dass in der Bundesrepublik ebenfalls, wenn auch anders, gedopt worden sei und man nicht alles immer nur auf den Ostblock schieben könne. Sie riet dazu, das Spitzel-Unwesen differenziert zu sehen, da diese Leute oft selbst gewaltig unter Druck gestanden hätten, „mit dem Messer auf der Brust“ nicht selten genötigt worden seien.

Das beeindruckte Publikum erfuhr dann unter vielem anderem auch, wie relevant dem Staat bei den Sporttalenten ein sozialistischer Stammbaum gewesen sei. Oder, wie man, zuweilen abgeschottet, zur sozialistischen Persönlichkeit erzogen und einem Staatsraison indoktriniert worden sei, um mit internationalen Erfolgen angeblich die Werktätigen stolz zu machen.

„Nur“ Zweite geworden

Renate Vogel, die in der DDR nach dem Abi Kunst/Design studiert hatte, berichtete, wie die Sportmediziner und Trainer entschieden, wer welche „Mittelchen“ und in welcher Höhe bekommen sollte. Und sie erinnerte sich nur zu genau auch daran, wie sie plötzlich „wie eine Schwerverbrecherin behandelt“ wurde – nur weil sie 1974 bei der EM in Wien „nur“ Zweite geworden war, dann ausgerechnet die westdeutsche Siegerin umarmte und als I-Tüpfelchen dann auch noch das wunderbare deutsch-deutsche Bild ausgerechnet in der Bildzeitung.

 
 
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