Bietigheim-Bissingen Vom Stall zum Gästezimmer

Von Petra Neset-Ruppert
Nur über eine Außentreppe gelangt man in das obere Stockwerk der Pfarrstraße 6. Das kleinste Fachwerkhaus Bietigheims hat eine bewegte Geschichte. Foto: /Oliver Bürkle

Das kleinste Fachwerkhaus von Bietigheim-Bissingen hat eine bewegte Vergangenheit. Die Besitzerin Kyra Münzenmaier schätzt ihr Haus in der Pfarrstraße sehr und hat sich die Geschichte des Hauses in das Obergeschoss geholt.

Ganz klein und unscheinbar kommt es auf den ersten Blick daher, leicht könnte man es übersehen, das Haus in der Pfarrgasse 6. Schließlich ist es auch das „kleinste Fachwerkhaus Bietigheims“ mit beachtlichen knapp 100 Quadratmetern Wohnfläche.

„Schaut man sich an, wer in diesem Haus wohnte, Schlosser, Schreiner und auch Weingärtner, so kann man davon ausgehen, dass es nicht die reichsten Leute waren. Es war eher ein Haus der Mittelschicht“, erklärt Dr. Christoph Florian, Leiter der Abteilung Stadtarchiv und Stadtmuseum.

Der früheste schriftliche Nachweis zu diesem Gebäude stammt aus dem Jahr 1610, dort sei es in einer Art „Besitzerliste“ aufgeführt. Zu früheren Zeiten war das Erdgeschoss als Stall für Tiere genutzt worden. Vor 1900 habe zu dem Haus auch noch eine Scheune gehört, die dann allerdings abgerissen wurde, so Florian.

Aus Gästin wird Freundin

Neben der Treppe, am Eingang zur unteren Etage hängt heute ein Schild „historisches Gästezimmer“. Was es damit auf sich hat, kann die Besitzerin des alten Fachwerkhauses, Kyra Münzenmaier erklären. 2013 kaufte sie das Haus und vermietete den unteren Stock als Gästezimmer: „Ich habe oben gewohnt und unten viele nette Gäste gehabt. Mit einer Besucherin, die dann auch länger unten wohnte, bin ich heute noch befreundet“, erinnert sich die Bietigheimerin. Die Vermietung sei immer schön gewesen, doch als sie dann immer wieder für längere Zeit in Südafrika war, konnte sie das Gästezimmer so nicht mehr vermieten. Nun sei im unteren Stock ein fester Mieter eingezogen.

Im oberen Stock ist Münzenmaiers Bereich. Dieser ist nur über eine Außentreppe zu erreichen, die es so Münzenmaier, „in sich hat“. Sehr steil führen die Holzstufen in den Oberen Stock des Gebäudes. „Eine solche Außentreppe gibt es in der Bietigheimer Altstadt sonst nicht“, betont Dr. Florian. Besonderes Glück hatte das Haus beim Stadtbrand 1721, als die benachbarte Stadtkirche und das Pfarrhaus in Flammen standen. Damals wurde das Haus zwar beschädigt, jedoch nicht völlig zerstört, so der Stadtarchivleiter.

/Oliver Bürkle

Doch nicht nur Glück war Teil der Geschichte des Hauses. Für die Familie Ziegelmaier war das Unglück in diesem Haus groß. Ein Stolperstein erinnert an die frühere Bewohnerin Frida Ziegelmaier, die 1901 in der Pfarrstraße 6 geboren wurde. Die Tochter des Korbmachers Christian Ziegelmacher und der Mutter Katarine Ziegelmaier hatte als kleines Kind eine Gehirnentzündung und litt seit dem unter epileptischen Anfällen.

/Oliver Bürkle

Ihre Eltern starben beide am 21. März 1928. Im Sterbebuch der Stadt wird extra vermerkt woran die Eltern starben. „Die Angabe der Todesursache im Sterbebuch war damals unüblich. Es ist daher auch der einzige Sterbefall des Jahres 1928, wo so etwas vorgenommen wurde. Das hängt wohl mit den außergewöhnlichen zeitlichen Umstände der Sterbefälle zusammen“, sagt Florian. Nachdem Tod ihrer Eltern wurde Frida Ziegelmaier in eine Anstalt nach Stetten gebracht, von wo sie 1940 erst nach Winnenden und danach nach Grafeneck deportiert und am 28. November 1940 ermordet wurde. Im oberen Stock hat Kyra Münzenmaier deshalb auch ein Porträt der verstorbenen Frida Ziegelmaier aufgehängt, das sie bei der Stolpersteinverlegung erhielt. „Ich wollte sie hier behalten, in ihrem alten Zuhause, vielleicht bin ich da ein wenig sentimental.“

Begeisterung für Antiquitäten

Wie es kam, dass Münzenmaier 2013 das Haus kaufte, weiß sie ganz genau: „Ich mag Antiquitäten. Schon seit der frühesten Jugend sammle ich. Als ich in Heidelberg lebte, kaufte ich mir meine erste Antiquität, einen original chinesischen Hochzeitsschrank“, erinnert sie sich. Auch alte Häuser sind für sie etwas ganz besonderes und so kam es, dass sie das Haus in der Pfarrstraße 6 kaufte, als dies auf dem Markt war.

„Ich finde das Haus einfach süß, es hat Charme. Doch ich merke, dass eine solche Immobilie heute nicht mehr so gefragt ist“, so die Bietigheimerin. Das Haus steht unter Denkmalschutz und daher seien Umbauten fast nicht möglich. „Außerdem gibt es keinen Parkplatz. Das geht in der heutigen Zeit ja nicht mehr“, sagt Münzenmaier und lacht. So lange es gehe, werde sie das Haus behalten, denn das Alte zu erhalten sei ihr wichtig.

Was die Zukunft für das Fachwerkhaus in der Pfarrstraße bereithalten wird, werde man noch sehen müssen. Die Vergangenheit dieser alten Mauern war in jedem Fall sehr bewegt.

 
 
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