Bei ihren Sondierungsgesprächen haben sich CDU/CSU und SPD auf einen 500-Milliarden-Sonderschuldentopf für Infrastruktur und eine Lockerung der Schuldenbremse bei der Verteidigung für alle Ausgaben, die über ein Prozent des Bruttoinlandsprodukts hinausgehen, geeinigt – für viele überraschend, denn die CDU hatte im Wahlkampf anderes versprochen. Der alte Bundestag soll dies noch beschließen. Seitdem sorgt das Thema für Diskussionen. Am Montag erteilten zudem die Grünen, deren Zustimmung für die notwendige Zwei-Drittel-Mehrheit gebraucht wird, den „Sondervermögen“ eine Absage. Die BZ fragte die wiedergewählten Abgeordneten der hiesigen Wahlkreise Neckar-Zaber (Fabian Gramling) und Ludwigsburg (Steffen Bilger, Macit Karaahmetoglu, Sandra Detzer und Martin Hess) nach ihrer Meinung.
Bietigheim-Bissingen Wenig Jubel über das Schuldenpaket
Von den hiesigen Abgeordneten aus dem Kreis Ludwigsburg wollen nur zwei im Bundestag in jedem Fall für die schwarz-roten „Sondervermögen“ stimmen. Zwei lehnen dieses ab, einer stellt Bedingungen.
Wie stehen Sie zu den beiden geplanten „Sondervermögen“?
Steffen Bilger (CDU) folgt der Einschätzung seiner Partei wie auch der SPD, dass sich die außenpolitische Lage durch die jüngsten Ereignisse grundlegend geändert habe. „Deshalb geht es darum, so schnell wie möglich so entschlossen wie möglich zu reagieren.“ Er könne daher die vorgesehene Änderung des Grundgesetzes zur Finanzierung der Verteidigung auch guten Gewissens mittragen. Das 500-Milliarden-Paket für Infrastruktur sei für ihn hingegen schon „ein harter Brocken“, so Bilger, „weil ich seit meiner Zeit in der Jungen Union immer aus Verantwortung für die kommenden Generationen für Haushaltskonsolidierung und für die Schuldenbremse eingetreten bin“. Es werde nun darum gehen, „dass die Mittel verantwortungsbewusst eingesetzt werden“ und es gleichzeitig strukturelle Reformen und Einsparungen gebe.
Sein Parteifreund Fabian Gramling spricht von einem „Befreiungsschlag“, der nötig sei, der für ihn aber nicht mit neuen Schulden beginne, „sondern mit einem effizienteren Staat und weniger Bürokratie“. Er sei weiterhin überzeugt, dass alle Ausgaben grundsätzlich auf den Prüfstand gehörten. Mit Blick auf die Verteidigungsfähigkeit brauche es dagegen mehr finanzielle Ressourcen. Die Politik müsse hier entschlossen handeln.
Der SPD-Bundestagsabgeordnete Macit Karaahmetoglu unterstützt das Ergebnis der Sondierungen. „Um unser Land wieder auf Vordermann zu bringen, benötigt es dringend massive Investitionen in unsere Infrastruktur. Das Gleiche gilt für die Bundeswehr und unsere Verteidigungsfähigkeit“, steht für ihn fest.
Aus Sicht von Sandra Detzer (Grüne) konnte es „niemand bei klarem Verstand überraschen, dass große Investitionen in Sicherheit und Infrastruktur notwendig sind in diesem Land“. Die Grünen hätten der Union in den letzten Jahren immer wieder Angebote gemacht, die Schuldenbremse zu reformieren. Doch: „Diesen Erfolg wollten CDU/CSU der Bundesregierung offensichtlich nicht gönnen“, glaubt die Grünen-Abgeordnete. Das habe dem Land geschadet.
Mit scharfer Kritik reagiert Martin Hess (AfD). Er halte das Schuldenpaket „für völlig inakzeptabel“. Die geplante „horrende Staatsverschuldung“ würde die zukünftigen Generationen belasten. „Wir brauchen eine verantwortungsvolle und nachhaltige Haushaltspolitik, die den Staatshaushalt wieder in den Griff bekommt und dabei die Interessen der eigenen Bevölkerung in den Mittelpunkt stellt“, fordert Hess.
Ist es richtig, das noch mit dem alten Bundestag zu beschließen?
„Ich gebe zu, dass es nicht leicht fällt, so weitreichende Entscheidungen in der bisherigen Zusammensetzung anzustreben, aber die Zeit drängt“, sagt Steffen Bilger. Verfassungsrechtlich sei das Vorgehen aus seiner Sicht aber nicht zu beanstanden.
Gramling betont, dass der alte Bundestag bis zur konstituierenden Sitzung des neuen Parlaments nicht nur vorübergehend oder geschäftsführend im Amt sei. Die Wahlperiode des Bundestags dauere bis zur ersten Sitzung des neu gewählten Parlaments, die spätestens am 30. Tag nach der Bundestagswahl stattfinden müsse.
Ähnlich sieht es Karaahmetoglu: „Der aktuelle Bundestag ist noch handlungsfähig, dann sollte er auch handeln. Wir haben keine Zeit zu verlieren.“
Für Hess handeln CDU/CSU und SPD indes durch die Einberufung des alten Bundestages „ausdrücklich gegen den Wählerwillen“, denn ein solches Vorgehen sei mit der Sitzverteilung nach der Wahl nicht mehr möglich. Zudem werde dem neuen Bundestag „ein in der Geschichte der Bundesrepublik einmaliger, fast eine Billion Euro teurer zusätzlicher Schuldenberg aufgebürdet“. Damit werde direkt in das Haushaltsrecht des neuen Bundestages eingegriffen.
Auch eine Eilbedürftigkeit sei nicht zu begründen, meint der AfD-Abgeordnete, da die Neukonstituierung des Bundestages bereits vor dem geplanten 25. März erfolgen könne. Das Vorgehen von CDU/CSU und SPD dürfte im Ergebnis verfassungswidrig sein, weshalb die AfD-Fraktion auch den Klageweg beschreiten werde.
Inwieweit hat die CDU die Wähler getäuscht?
Steffen Bilger räumt ein, im Wahlkampf immer das CDU-Programm vertreten zu haben, in dem die Einhaltung der Schuldenbremse gefordert wird. Er habe aber auch nicht außen vorgelassen, „dass man in einer Demokratie kompromissfähig sein muss“. Mit einem Stimmenanteil von 28,5 Prozent könne die CDU nicht alles so umsetzen, „als wären wir auf keinen Koalitionspartner angewiesen“. Die SPD sei der CDU bei der Migration, beim Bürgergeld und bei anderen Themen weit entgegengekommen. „Dafür mussten wir bei den Finanzen schmerzhafte Kompromisse machen.“
Gramling argumentiert geopolitisch. „Die letzten Wochen haben gezeigt, wie fragil unsere Sicherheitsarchitektur ist.“ Friedrich Merz erkenne die Probleme und setze sich entschlossen für Lösungen ein. Er habe sich ein besseres Ergebnis für die CDU und eine andere politische Weltlage gewünscht.
Karaahmetoglu findet es nicht überraschend, dass die CDU bei dem Thema eingelenkt hat. Es sei bedauerlich, „dass der vergangenen Bundesregierung diese Handlungsspielräume verwehrt wurden“. Gleichzeitig sei „die Lage zu ernst und unsere Verantwortung zu groß, um sich länger darüber zu ärgern“, so der SPD-Politiker. Deutschland brauche eine stabile Regierung, die in der Lage sei, den Investitionsstau der vergangenen Jahre aufzulösen.
Sandra Detzer erinnert an viele Diskussionen mit Steffen Bilger im Wahlkampf, bei denen er auf die Einhaltung der Schuldenbremse bestanden habe und Mehrausgaben durch Kürzungen beim Bürgergeld gegenfinanzieren wollte. Detzer: „Heute wissen wir: alles Theater, die Wähler wurden bewusst getäuscht.“ Für sie sei das „kleinkarierter Machtpoker, ausgetragen auf dem Rücken unseres Landes“.
Martin Hess hat die Wende bei der CDU überrascht. Die Schuldenbremse sei eine der zentralen Forderungen von Kanzlerkandidat Merz gewesen: „Angesichts des jetzigen Agierens kann man hier nur von massivem Wählerbetrug sprechen.“ Durch die Schulden werde die Schuldenbremse „vollumfänglich für obsolet erklärt, um nicht zu sagen pulverisiert“. Die CDU habe offensichtlich „jedes politische Rückgrat verloren“.
Wie werden Sie persönlich im Bundestag abstimmen?
Steffen Bilger will dem Schuldenpaket zustimmen, „weil ich es in der aktuellen geopolitischen Lage in der Abwägung für richtig und verantwortungsbewusst halte“. Fabian Gramling will dies nur dann tun, „wenn ich in den nächsten Tagen bei der SPD den Willen zu strukturellen Reformen erkennen kann“. Geld allein löse keine Probleme. Macit Karaahmetoglu hofft auf ein Einlenken der Grünen. Für ihn ist klar: „Ich werde das Vorhaben meiner Fraktion selbstverständlich unterstützen.“
Die Grünen-Politikerin Sandra Detzer erklärt, sie wolle gern einem Vorschlag zustimmen, der Deutschland stärke. Doch: „Die bisherigen Vorschläge von Union und SPD tun das nicht.“ Sie wirft diesen Partein vor, für Konsumausgaben wie die Mütterrente Schulden machen zu wollen und verweist auf den Gesetzesentwurf der Grünen, der die Gesamtverteidigung ermögliche und teure Wahlgeschenke auf Pump unterbinde. „Für sinnloses Schuldenmachen ohne Maß bin ich nicht angetreten und nicht zu haben“, so die Abgeordnete.
Für Martin Hess ist klar: „Selbstverständlich werde ich gegen dieses Vorhaben stimmen. Unsere Partei steht klar für eine Politik der Haushaltsdisziplin.“