Fahrrad, Polizei, Weizenbier, Kinderrechte, Harfe, generationenübergreifend, Bürgergarten – man braucht wohl viel Kreativität, damit diese Begriffe alle in derselben, glaubwürdigen Reizwortgeschichte vorkommen. Könnte man meinen. Doch die Verbindung dieser Worte ist weder abstrus, noch abwegig. Diese wahre Geschichte erzählt von den „Festspiel-Préludes“, einer Veranstaltung mit klassischer Musik als Teil eines renommierten Festivals. Die Geschichte erzählt von Fitness und Kunst, von einer Labung für die Sinne.
Bietigheim-Bissingen Wer hören will, muss strampeln
Die Ludwigsburger Schlossfestspiele radeln in die neue Saison: Ausverkaufte Fahrrad-Konzerte sorgen für großen Erfolg schon vor der offiziellen Eröffnung.
Konzerte zum Mitradeln
Vor dem offiziellem Eröffnungskonzert der diesjährigen Ludwigsburger Schlossfestspiele stand bereits ein Höhepunkt der Saison an: zwei Konzerttouren zum Mitradeln. Das französische Ensemble „Les Forces Majeures“ ist bekannt für seine unkonventionellen Konzertformate. Unter dem Motto „Accordez vos vélos“, zu Deutsch etwa „Stimmt eure Fahrräder“ – in Anlehnung an das Stimmen der Instrumente vor dem Musizieren – radelt das Orchester seit 2021 durch die Gegend. Damit ist es nicht nur klimafreundlich unterwegs, sondern erreicht auch ungewöhnliche Orte für ein musikalisches Stelldichein.
Erstmals bei den Schlossfestspielen zu Gast, radelte der Trupp samt Publikum gleich an zwei Tagen durch Ludwigsburg. Führte die Tour an Himmelfahrt vom Forum über das Schloss Monrepos zum Marktplatz, fuhr die andere Kolonne am Freitag weiter nach Bietigheim-Bissingen, wo das Kammerorchester am Abend in der Alten Kelter auftrat. Bereits kurz nach Veröffentlichung des Programms waren die beiden kostenlosen Konzerte zum Mitradeln ausverkauft. Nachdem die Verantwortlichen zunächst mit Wartelisten arbeiteten, erhöhten sie die maximale Teilnehmerzahl auf 100. Auch diese Marken wurden an beiden Tagen geknackt. Ein großer Erfolg, sodass der neue Festspielintendant Lucas Reuter bereits durchblicken ließ, dass eine Neuauflage in der Zukunft sehr wahrscheinlich sei.
Nach und nach trudelten die Teilnehmer am Freitagmittag auf dem Platz der Kinderrechte vor dem Forum ein, stellten ihre Drahtesel ab und suchten sich ein schattiges Plätzchen. Da bog plötzlich unter eifrigem Klingeln eine große Gruppe um die Ecke. Sie trugen ihre Posaune, ihr Cello und Co. auf dem Rücken, nur Kontrabass und Harfe wurden in einem Begleitfahrzeug transportiert.
Jazz vor dem Forum
Bei traumhaftem Wetter begann die Veranstaltung mit einer Jazz-Session vor dem Forum. Ein Quartett aus Posaune, Schlagzeug, Kontrabass und dem musikalischen Leiter Raphaël Merlin am E-Piano spielte Standard-Hits wie „Fly Me To The Moon“, „Afternoon in Paris“ und „Summertime“. Nach dem etwa halbstündigen Auftritt begann die Reise: Über 100 Radler traten in die Pedale. Das Orchester mit seinen sonnengelb leuchtenden T-Shirts fuhr an der Spitze des Feldes, die Teilnehmerinnen und Teilnehmer folgten ihnen lückenlos. Darum hatte nicht nur die Polizei gebeten, die an Hauptverkehrsstraßen für eine reibungslose Überquerung sorgte, sondern auch die Schlossfestspiel-Organisation, damit niemand verloren geht. Begleitet wurde der Korso vom Allgemeinen Deutschen Fahrrad Club (ADFC). Alle Festspiel-Besucherinnen und -Besucher trugen vorbildlich einen Helm.
Eis oder Weizenbier
Während das Orchester an einem lauschigen Plätzchen vor dem Schloss Monrepos das Equipment aufbaute, nutzten zahlreiche Besucher die Zeit und besorgten sich ein Eis oder Weizenbier, setzten sich auf mitgebrachte Decken oder ins Gras. Dann lauschten sie dem 19-köpfigen Orchester unter Merlins Leitung sowie den Harfen-Soli von Jean-Baptiste Haye –atmosphärisch und klanglich traumhaft.
Abschluss im Bürgergarten
„Ja freilich sind wir da dabei“, sagte Marion Reidel der BZ voller Begeisterung. Die Bietigheimerin und ihr Mann besuchen einerseits gerne klassische Konzerte und legen andererseits alltägliche Wege in Bietigheim meist mit dem Fahrrad zurück, erzählen sie. Das „Festspiel-Prélude“ empfanden die beiden als ideale Kombination ihrer Interessen.
Und auch eine Besucherin aus Sachsenheim, ebenfalls mit ihrem Mann vor Ort, schwärmte vom Format: „Ich hab gleich gesagt: Des isch was für uns.“ Dass dieses Format generationenübergreifend attraktiv wirkt, zeigte die Reaktion eines weiteren Teilnehmers aus Sachsenheim: „Ich wurde durch meine Tochter zu dieser Tour motiviert. Aber die Idee, die Musik und das Ambiente waren ganz toll – ich bin froh, dass ich dabei war.“+
Die Schluss-Etappe führte in den Bietigheimer Bürgergarten, wo der dritte Konzertteil auf der Wiese stattfand. Dabei zwängten sich die Musiker für ein schattiges Plätzchen unter das provisorisch errichtete Zelt. Und da wurde es in der Sonne erstmals richtig schweißtreibend für die Besucher. Doch als ein reines Relax-Konzert waren die „Festspiel-Préludes“ ja sowieso nicht gedacht: Wer hören will, muss strampeln. Ein großer Gewinn zum Auftakt der Festival-Saison.