Bis Juli 2009 stand er als Vorstandsvorsitzender an der Spitze der Porsche Automobil Holding, seitdem ist es ruhiger um ihn geworden. Jetzt haben Äußerungen von Dr. Wendelin Wiedeking (72), der in Bietigheim-Bissingen lebt, zur allgemeinen politischen Lage für Schlagzeilen gesorgt. Auch eine geplante Spende an das Bietigheimer Krankenhaus sorgt für Diskussionen. Die BZ sprach mit ihm darüber.
Bietigheim-Bissingen Wiedeking: „Die Regierung fährt das Land vor die Wand“
Ex-Porschechef Dr. Wendelin Wiedeking hat heftige Kritik an der Ampel geübt. Im BZ-Interview erläutert er seine Beweggründe. Ebenfalls Thema: die geplante Spende ans Krankenhaus.
Herr Wiedeking, Sie haben sich unlängst sehr pointiert zur derzeitigen politischen Lage in Deutschland geäußert. Was hat Sie dazu bewogen?
Dr. Wendelin Wiedeking: Ich bin mit Leib und Seele Bürger dieses Landes, und ich finde es erschreckend, wie eine Regierung ein ganzes Land, die Arbeit von Jahrzehnten, mit Volldampf vor die Wand fährt. Die Ampel-Regierung ist eine Katastrophe. Deshalb habe ich mich, als ich von der Bild-Zeitung zu einem Interview gebeten wurde, dazu geäußert.
Woran machen Sie Ihre Kritik an der Bundesregierung vor allem fest?
Wir haben uns bei der Klimapolitik einen Zeitplan vorgegeben, der unrealistisch ist. Wir lassen die Menschen liegen, die diesen Weg nicht mitgehen können. Die Industrie wird vor Tatsachen gestellt, die sie gar nicht erfüllen kann. Sie erhält Vorgaben, die unerreichbar sind. Eine Großindustrie wie die Automobilindustrie wird komplett zerlegt und mit Strafzahlungen bedroht.
Sie halten die Fixierung auf die Elektromobilität für einen Fehler?
Wir verlassen etablierte Technologien und wandern in neue, die wir gar nicht kennen. Und diese Technologien, in die wir reingehen wollen, kontrollieren wir nicht mal. Wenn wir die Lieferantenkette anschauen bei Batteriesystemen, so kontrollieren die Chinesen den größten Teil. Damit sind wir den Chinesen ausgeliefert – das haben wir einfach so gemacht. Wir haben alles auf eine Karte gesetzt, und jetzt sieht man langsam, das funktioniert nicht.
Die Vorgaben für die Automobilindustrie kommen ja teilweise von der EU...
Wir sollten uns in Deutschland nicht hinter der EU verstecken. Auch in der EU sind natürlich die Grünen ziemlich stark geworden, bei der jüngsten Wahl war das Gott sei Dank nicht mehr der Fall. Die haben an allen Hebeln gedreht, und es hat sich keiner gewehrt – auch nicht die Autoindustrie. Sie hat alles akzeptiert, was aus Brüssel und aus Deutschland kam. Jetzt merkt man, was da passiert. Ich finde es nicht richtig, dass wir uns das weiter bieten lassen. Zu meiner Zeit hätte ich meine Arbeiter nach Brüssel geschickt und hätte die Herrschaften da richtig aufgerüttelt.
Welche Reaktionen haben Sie auf Ihre Kritik an der Regierung bekommen?
Ich habe wahnsinnig viele Zuschriften, Mails und Anfragen für Interviews und Talkshows erhalten. Das hatte ich nicht erwartet. Aber offensichtlich muss ich da den Nerv getroffen haben.
Sie haben speziell Bundeskanzler Olaf Scholz ins Visier genommen. Was bemängeln Sie an ihm?
Ich kann ganz einfach sagen, ich halte von dem Kanzler gar nichts. Ich kenne ihn ja persönlich und kann Bilanz ziehen und sagen: Er kann nicht Kanzler. Gerd Schröder konnte Kanzler, Scholz kann es nicht.
Wünschen Sie sich Neuwahlen?
Ja, so schnell wie möglich, um diesem Tollhaus ein Ende zu machen.
Welche Entscheidungen kritisieren Sie noch?
Zum Beispiel das Energieeffizienzgesetz. Da redet heute keiner drüber. Das wird uns strangulieren, noch schlimmer als wir es heute wahrnehmen. Oder das Heizungsgesetz. Diese Regierung hat nur Gesetze gemacht, die uns strangulieren. Wir müssen aufhören mit diesem Wahnsinn.
Jetzt gab’s ja bei den Grünen und bei der SPD Rücktritte an der Parteispitze. Wie beurteilen Sie diese Entwicklung?
Ich hatte sowohl Ricarda Lang von den Grünen als auch Kevin Kühnert von der SPD kritisiert. Ich hatte gesagt, die haben nichts gelernt, sie haben nur ein großes Mundwerk. Beide sind jetzt weg nach meinem Interview – vielleicht war der letzte Nagel von mir. Ob es jetzt besser wird, weiß ich nicht. Ich glaube, dass man noch mehr aufpassen muss. Es gibt dort durchaus gescheite Leute, die wissen, an welchen Stellhebeln sie drehen müssen, um ihrer Ideologie den Weg freizumachen. Das sind Ideologen, die interessiert die Wirtschaft gar nicht. Die interessiert nur der ideologische Kampf für ihre Weltvorstellungen.
Welche Auswirkungen befürchten Sie durch die Krise der Automobilindustrie für die hiesige Region?
Ich befürchte, dass unsere Region, Baden-Württemberg, das nächste Ruhrgebiet wird. Die Auswirkungen können drastisch sein: sowohl für die Automobilzulieferer wie auch für den einfachen Bäcker, der nicht mehr liefern kann, wenn das Werk geschlossen ist. Ich glaube, dass noch nicht alle verstanden haben, was da passiert in der Wirtschaft. Schauen Sie sich die geplanten Stellenstreichungen bei ZF an: Wenn sich ein Unternehmen wie ZF, das ja eine Stiftung ist, zu solch dramatischen Entscheidungen durchringen muss, dann brennt es in Deutschland.
Was müsste aus Ihrer Sicht jetzt getan werden?
Man muss sich fragen, welche Pläne sind das Richtige, welche müssen mal verlangsamt werden. Die Vorgaben sind unrealistisch. Wenn man schon eine Wende will, muss man sie realistisch angehen. Die Menschen werden ja genötigt, ein Elektroauto zu kaufen. Es gibt keine Technologieoffenheit mehr, alles basiert auf Zwang. Der Kunde muss entscheiden, was er in der Zukunft für eine Mobilität wählt und haben will.
Ein anderes Thema, das Sie derzeit umtreibt, Herr Wiedeking, ist die Krankenhausversorgung. Sie wollen dem Bietigheimer Krankenhaus eine neuartige Herz-Lungen-Maschine für das Behandlungsverfahren „CARL“ zukommen lassen, durch das sich die Überlebenschance nach einem Herzstillstand verdoppelt (die BZ berichtete). Doch die Verantwortlichen wollen das Gerät dort gar nicht haben. Wie ist der aktuelle Stand?
Es wird argumentiert, was auch nicht ganz verkehrt ist, dass ein Zentralkrankenhaus eine bessere Gesamtversorgung bietet. Aber: Je entfernter der Mensch von diesem Zentralkrankenhaus liegt, desto geringer ist seine Überlebenschance, wenn er in eine kritische, lebensbedrohliche Situation kommt. Deswegen sage ich, man muss solche Krankenhäuser wie Bietigheim-Bissingen zumindest in der Notfallversorgung erhalten. Dazu gehört natürlich auch, dass man moderne Technologien einsetzt.
Was kann die neue Technik leisten?
Früher war es undenkbar, dass man Menschen, die 40 Minuten oder eine Stunde mit Herzstillstand dalagen, überhaupt noch mal ins Leben zurückholen kann. Und dann noch ohne Gehirnschäden. Dieses Gerät kann das. Die Argumente, die beispielsweise Landrat Allgaier hat, sind ja alle gut. Aber ich glaube, die Politiker müssen dafür Sorge tragen, dass eine Gesellschaft, der es sehr gut geht, auch eine ordentliche Krankenhausversorgung hat.
Es wird argumentiert, dass man für die Nutzung von „CARL“ dann auch noch einen Herz-Katheder-Platz für bis zu 2,5 Millionen Euro und geschultes Personal braucht.
Das darf kein Kostenthema sein, sondern es ist ein ethisches Thema. Wenn man mit der heutigen Technologie Menschen retten kann, dann muss man dies auch tun. Wenn die Politiker das nicht wollen, müssen sie das den Leuten auch vermitteln. Ich fände das unfair. Bietigheim-Bissingen mit seinem großen Hinterland muss eine gute Notfallversorgung haben. Wir geben für andere Dinge so viel Geld aus, aber für unsere eigene Gesundheit geben wir das Geld nicht aus? Ja, wo sind wir denn hingekommen? Ich will jedenfalls, wenn mir so etwas einmal passiert, gerettet werden können und nicht tot in Ludwigsburg ankommen. Das Gerät, das wir spenden wollen, kostet immerhin über 250.000 Euro, was ja ein beachtlicher Geldbetrag ist.
Gibt es weitere Gespräche darüber, sehen Sie noch Chancen?
Ich habe bereits eine Reihe von Gesprächen geführt und werde auch noch viele führen. Mein Gedanke ist, dass wir die neuen Technologien auch nutzen müssen. Diesen Vorteil muss man den Menschen hier auch zukommen lassen. Die Wiedeking-Stiftung möchte den Menschen in Bietigheim-Bissingen die Chance geben, dass sie auch nach 40 Minuten Herzstillstand noch gerettet werden können, ohne Gehirnschäden. Wenn man das nicht will, ist das eine ziemliche Brutalität den Menschen gegenüber.
In Ihrem Brief an die Bietigheim-Bissinger Stadträte haben Sie die Befürchtung geäußert, das Krankenhaus werde heruntergefahren. Welche Indizien sehen Sie dafür?
Ich weiß definitiv, dass es eine solche Strategie gibt. Das wollte man leise machen, jetzt ist es laut geworden, weil ich das an die Öffentlichkeit bringe. Die Politiker müssen aufhören, die Bürger in Bietigheim-Bissingen und im Hinterland für dumm zu verkaufen. Sie sollen sagen, was sie vorhaben, dann können die Bürger auch mitentscheiden. Wir brauchen eine öffentliche Diskussion darüber, ob wir die Versorgung vor Ort haben wollen oder nicht.
Wäre es für Sie denkbar, die geplante Spende zur Anschaffung von „CARL“ dem Ludwigsburger Klinikum zukommen zu lassen?
Nein, das würde das Bietigheim-Bissinger Krankenhaus noch weiter schwächen.
Vielen Dank für das Gespräch.