In diesem Jahr ist Jürgen Kessing 20 Jahre im Amt als Oberbürgermeister von Bietigheim-Bissingen. Die BZ sprach mit ihm beim traditionellen Jahresgespräch unter anderem über Bauprojekte, Finanzen und die Probleme bei den Stadtwerken.
Bietigheim-Bissingen „Wir werden alles auf den Prüfstand stellen müssen“
Oberbürgermeister Jürgen Kessing wirft beim BZ-Jahresgespräch einen Ausblick auf anstehende Projekte und die finanzielle Lage. Ziel ist die Bewahrung der Schuldenfreiheit.
Wie zufrieden sind Sie mit dem Jahr 2024? Konnten Sie alles umsetzen, was geplant war?
Jürgen Kessing: Wir haben auf lokaler Ebene vieles erreicht. Mit den Kindereinrichtungen sind wir fast durch. Die Gymnasien haben wir fertig saniert und konnten sie den Schulen wieder übergeben. Nicht zufrieden sein kann man mit der Entwicklung in der Welt, insbesondere damit, dass wir weiterhin heftige Kriege vor der Haustür haben. Die Bundesregierung ist zerbrochen, Neuwahlen stehen vor der Tür. Das ist eine riesige Herausforderung für die Verwaltung und ein ganz, ganz enges Zeitfenster. Und natürlich kann man auch mit der wirtschaftlichen Entwicklung nicht zufrieden sein. Wir verlieren im Moment gerade in Süddeutschland unheimlich viele Arbeitsplätze, und Baden-Württemberg muss aufpassen, dass es kein zweites Ruhrgebiet wird.
Merken Sie das in der Stadt schon an der Gewerbesteuer?
Die Anpassung der Vorauszahlungen für das kommende Jahr ist in vielen Bereichen erfolgt. Das heißt, wir müssen mit einem geringeren Steueraufkommen rechnen.
Dieses Jahr konnte aber das einkalkulierte Defizit im Ergebnishaushalt noch ins Positive gedreht werden. Wie kam es dazu?
Wir hatten mit einem Minus von sechs Millionen Euro im Ergebnishaushalt gerechnet, nun zeichnet sich ein positives Ergebnis ab. Das hängt damit zusammen, dass die Steuereinnahmen über Nachzahlungen ein bisschen besser gelaufen sind. Es handelte sich um Nachzahlungen aus der Pandemie-Zeit. Gleichzeitig konnten nicht alle Stellen besetzt werden, wie wir uns das vorgestellt hatten, insbesondere im Betreuungsbereich. Da mussten wir dann auch das Angebot ein bisschen reduzieren, was den zeitlichen Umfang betrifft. Und wir haben auch nicht alles umsetzen können, was wir uns an Unterhaltungsmaßnahmen vorgenommen hatten.
Was wurde beispielsweise verschoben?
Beispielsweise wollten wir hier am Rathaus mit der Sanierung der Außenhülle starten. Aber die Untersuchungen haben länger gedauert als ursprünglich kalkuliert. Das ist aber nicht schlimm, da gilt der Grundsatz Qualität vor Geschwindigkeit. Und aufgeschoben ist nicht aufgehoben, das wird dann in den Folgejahren umgesetzt werden müssen.
Längerfristig wird in der Finanzplanung ein Abschmelzen der Liquidität auf minus 75 Millionen Euro bis 2028 prophezeit. CDU und AfD stimmten deshalb dem Haushalt nicht zu. Wie schlimm wird’s denn?
Es wird nie so schlimm, wie man befürchtet, aber allerdings auch nie so gut, wie man hofft. Aber ich kann garantieren, dass die Stadt mindestens bis zum Ende meiner Amtszeit 2028 schuldenfrei bleiben wird. Es ist der absolute Worst Case, der angenommen worden ist. Doch es werden viele Dinge einfach nicht kommen. Wir werden alles auf den Prüfstand stellen müssen. Wir gehen wirtschaftlich schwierigen Zeiten entgegen, nicht nur bei uns, sondern in der ganzen Republik, vieles ist nicht mehr finanzierbar.
Wie wollen Sie gegensteuern, um keine Schulden machen zu müssen?
Zum einen muss man, wenn man Investitionen tätigt, immer die Folgekosten im Auge behalten. Es gibt eine Faustregel, wonach von der Investitionssumme ungefähr zehn Prozent pro Jahr als Folgekosten zu verzeichnen sind. Und die muss man sich leisten können. Dann ist es unter Umständen mal einfach, eine Sportanlage zu bauen, aber man kann dann die Folgekosten nicht mehr stemmen. Da macht es keinen Sinn, die Planungen voranzutreiben. Und man muss natürlich anfangen, für alle Leistungen, die erbracht werden, auch faire Preise vor Ort zu bezahlen. Das heißt, wir können nicht mehr alles kostenlos oder zu ganz niedrigen Entgelten anbieten, sondern die Leute müssen künftig tiefer in die Tasche greifen. Wir haben dieses Jahr die Musikschulgebühren angehoben, die Gebühren für die Kindertagesstätten werden wir im Herbst anheben. Aber ich denke, wir werden dabei eine vernünftige soziale Komponente finden.
Sind Steuererhöhungen auch eine Option?
Das haben wir bewusst nicht getan. Die neue Grundsteuer soll ja in der Summe aufkommensneutral sein. Es wird aber in Einzelfällen zu erheblichen Verschiebungen kommen. Das heißt, die Besitzer von Einfamilienhäusern und Zweifamilienhäusern mit großen Grundstücken werden deutlich mehr bezahlen müssen als bisher. Und die Gewerbesteuer haben wir auch bewusst nicht angefasst, weil wir gesagt haben, der Wirtschaft geht es im Moment so schlecht, die wollen wir jetzt nicht noch zusätzlich belasten. Aber ausschließen kann man das für die Zukunft nicht. Wir müssen aber zunächst unsere Hausaufgaben machen und bei den Ausgaben noch mal kritisch drüber schauen, ob wir uns alles leisten können und leisten wollen.
Muss man auch beim Klimaschutz abspecken? Die energetische Sanierung der städtischen Gebäude würde ja enorm teuer?
Ja, wir haben uns selbst unter unter Druck gesetzt, indem bis 2035 die Klimaneutralität angestrebt werden soll. Aber das Geld wird nicht da sein und wir werden auch das Personal nicht haben. Und es wird die Unternehmen nicht geben, die das alles umsetzen können. Also wird es da vermutlich deutlich langsamer gehen. Man muss nach dem ökonomischen Prinzip schauen, was man mit welchem Aufwand am besten erreichen kann.
Einen lang gehegten Wunsch in der Stadt – nach einer Ballsporthalle – will ja nun ein privater Investor im Ellental erfüllen. Wie ist der Stand der Planungen?
Mein Stand ist der, dass die Thesauros-Gruppe in intensiven Gesprächen ist und dass diese im Laufe des ersten Quartals abgeschlossen werden sollen, was die Vermietung, Verpachtung und Nutzung angeht. Auch alle Gutachten müssen dann vorliegen, Verkehrsgutachten, Umweltprüfung, alles, was dazugehört. Wenn das alles vorliegt, werden wir das Bebauungsplanverfahren im ersten Quartal des nächsten Jahres wahrscheinlich auch weiterführen können. Und dann geht es hoffentlich im Laufe des Jahres 2025 los.
Im Ellental war auch ein Hotel geplant, dann hieß es, dafür werde ein separater Standort gesucht. Gibt’s da schon etwas Neues?
Durch die Bürgerinformation und auch durch eine nochmalige bauliche Betrachtung hat sich ergeben, dass die Fläche dort im Ellental einfach zu klein ist, um alle Projekte zu realisieren. Der Investor hat Abstand genommen, das Hotel an der Stelle zu errichten, hat aber weiterhin Interesse, das Hotel woanders im Stadtgebiet zu errichten, wenn sich eine passende Fläche findet. Deutlich höhere Priorität hat aber die Halle.
Für Aufsehen haben im Herbst die Stadtwerke mit einem Arbeitsgerichtsprozess gegen Mitarbeiter gesorgt. Der Schaden wurde auf zwölf Millionen Euro, entstanden durch falsche Einkaufspolitik, geschätzt. Wie schätzen Sie als Vorsitzender des Aufsichtsrats die Lage ein?
Eigentlich geben wir zu laufenden Gerichtsverfahren keine Auskunft. Aber was mich bei der ganzen Berichterstattung schon gestört hat, ist, dass man nicht richtig gerechnet hat. Die Schadenssumme ist deutlich niedriger, obwohl sie immer noch hoch ist. Sie liegt etwa bei viereinhalb Millionen Euro. Man hat nämlich alle Verfahren addiert, obwohl es nur um einen Betrag geht, für den alle in Frage kommenden Personen im Sinne des Rechts gesamtschuldnerisch haften. Zudem gab es niemals den Hinweis unseres Anwalts, dass das Verfahren aussichtslos wäre. Im Übrigen sind wir auch aufgrund der Versicherungssituation gezwungen, den Sachverhalt rechtssicher durch ein Gericht feststellen zu lassen.
Was ist falsch gelaufen, dass es zum dem Schaden von 4,5 Millionen gekommen ist?
Das liegt liegt einige Jahre zurück und ist Gegenstand des Rechtsstreits. Aber dazu will ich nichts sagen. Mich hat auch nur gestört, dass da bewusst falsche Zahlen in den Raum gestellt worden sind.
Wie sind die Aussichten, wann schreiben die Stadtwerke wieder schwarze Zahlen?
Die Entwicklung in der Energiebranche ist sehr volatil. Wir sind jetzt im dritten Jahr mit negativen Ergebnissen. Aber wir sind auch zuversichtlich, dass das im Jahr 2025 deutlich besser wird. 2024 ist auch noch die Insolvenz der Landwärme GmbH (die Stadtwerke mit Biomethan belieferte, Anm. d. Red.) hinzu gekommen, sonst wäre es schon deutlich besser geworden. Auch wenn man herausrechnet, was die Stadtwerke von uns übertragen bekommen haben, nämlich die Verluste der Bäder und der Eishalle, dann würden sie schon jetzt positive Zahlen schreiben. Wir haben jahrelang sehr gut von diesem Konstrukt in der Holding profitiert. Im Moment durchlaufen wir ein Tal der Tränen. Aber so wie es sich im Moment darstellt, kann es gut sein, dass wir im neuen Jahr wieder Licht am Ende des Tunnels sehen.
Was steht sonst noch im neuen Jahr an?
Wir feiern 50 Jahre, also Goldene Hochzeit, von Bietigheim-Bissingen. Dazu ist einiges an Veranstaltungen geplant. Man merkt bei den Vereinen und Institutionen wie auch bei unserer Verwaltung, dass man sich darauf freut, das gemeinsam zu begehen. Es ist ja auch eine Erfolgsgeschichte. Den Zusammenschluss von Bietigheim und Bissingen wollen wir im kommenden Jahr gebührend feiern.