Bietigheim-Bissingen Wirtschaftsvertreter diskutieren über die Energiewende

Von Dietmar Bastian
Wirtschaftsgespräch in der Bietigheimer Kelter (von links): Landrat Dietmar Allgaier, Spediteur René Große-Vehne, Moderatorin Nicole Krieger, Andreas Schell (ENBW), Thomas Fritz (Ensinger Mineral-Heilquellen) und Dr. Thomas Pauer (Bosch) Foto: /Martin Kalb

Landrat Dietmar Allgaier initiiert die Reihe „Wirtschaft im Gespräch“. Die Auftaktveranstaltung fand am Montagabend in der Historischen Kelter in Bietigheim statt. Weitere Netzwerk-Treffen zu anderen Themen sollen im Kreis Ludwigsburg folgen.

Kaum ein Thema beschäftigt derzeit Bevölkerung und Unternehmen mehr als die Energiewende – weg von fossilen Energieträgern und Kernkraft, hin zu regenerativen, klimaneutralen Technologien. Während die einen Angst um ihre Existenz haben und die Abkehr von Benzin, Gas und Atomstrom für grundfalsch oder überzogen halten, geht den anderen, zum Beispiel Klima-Aktivisten, die Entwicklung nicht schnell genug. Das Thema liegt unzweifelhaft in der Luft, und so ist es naheliegend, einen Dialog anzuregen.

Erstes Netzwerktreffen

Zu einem ersten Netzwerktreffen mit dem Titel „Die Energiewende – Chance oder Risiko?“ hat Dietmar Allgaier, der Landrat des Kreises Ludwigsburg, als Keynote-Referenten den Vorstandsvorsitzenden der Energie Baden-Württemberg (EnBW), Andreas Schell, gewinnen können. An der sich anschließenden, vertiefenden Podiumsdiskussion nahmen hochrangige Wirtschaftsvertreter der Region teil: Dr. Thomas Pauer, Leiter des Bosch-Standortes Schwieberdingen, René Große-Vehne, Inhaber und Geschäftsführer der LKW-Flotte Große-Vehne, und Thomas Fritz, Geschäftsführender Gesellschafter der Firma Ensinger Mineral-Heilquellen GmbH. Moderiert wurde die mehrstündige Veranstaltung von der TV-Moderatorin und Trainerin Nicole Krieger.

„Die Energiewende wird die wirtschaftliche Zukunft Baden-Württembergs maßgeblich mitbestimmen“, so der Landrat in seiner Begrüßung vor der voll besetzten Kelter, und weiter: „die Energiewende und Verkehrswende gehören zusammen.“

„Wie sicher ist die Energieversorgung in Deutschland?“, fragte Krieger rhetorisch und bat Thomas Schell von der EnBW um sein Referat. Dieser bezeichnete die Energiewende als das „größte Innovationsprojekt der Gegenwart“ und hielt es für geboten, jeden verfügbaren Euro dafür einzusetzen, um den Kohleausstieg bis 2028 und die Klimaneutralität bis 2035 zu erreichen. Schell sagte auch: „Die EnBW sucht mit großer Konsequenz und enormen Mitteln den Anschluss an die Zukunft, ich sehe aber einige Hemmnisse.“ Diese seien: lange Genehmigungsverfahren bei Windkraft, eine 94-Prozent-Abhängigkeit von China bei Photovoltaikanlagen und ein Rückstand bei der Übertragungs- und Verteilnetzinfrastruktur.

Den deutschen Investitionsbedarf in die Energieinfrastruktur bezifferte er mit 150 Milliarden Euro. „Es tut sich viel“, so der EnBW-Vorstandsvorsitzende, er meinte aber gleichzeitig, dass manche Anstrengungen ins Leere liefen – zum Beispiel die Fokussierung auf Wind und Sonne. Hier müsse man im Blick behalten, dass diese Technologien viel Input brauchten, aber im Verhältnis zu wenig Strom lieferten. Klug sei es, mit digitaler Hilfe die Bedarfssteuerung der Kunden zu optimieren und die Wasserstoff-Technologie als zukunftsfähigste Energieform voranzubringen.

Vor der sich anschließenden Podiumsdiskussion gab es eine Umfrage unter allen Anwesenden im Saal, ob sie in der Energiewende mehr Chancen oder mehr Gefahren sehen. Ergebnis: Knapp die Hälfte sieht mehr Vorteile, etwas mehr als die Hälfte ist in dieser Frage gespalten.

Aus der Gesprächsrunde lassen sich sechs Punkte herausarbeiten. Erstens: Der Verbrenner hat ausgedient. Keiner der Diskutanten wünschte sich eine Fortsetzung dieser veralteten Technologie. Ähnlich verhält es sich mit der sehr teuren Kernenergie.

Zweitens: In der Runde herrscht die Sorge, Deutschland könne den Anschluss verpassen und dieses Nachhinken den Standort – und damit den Wohlstand – gefährden. China und die Vereinigten Staaten seien deutschen Unternehmen „himmelweit“ voraus. Und „billig wird die Wende nicht, es bleibt uns aber keine Wahl“ (Pauer).

Wasserstoff für den LKW-Verkehr

Drittens: Während der Privat-PKW künftig mit Strom betrieben werden wird, sei dies für Langstrecken-LKW keine Option, der „Wasserstoff für den LKW-Verkehr wird und muss kommen“ (Große-Vehne).

Viertens: Überaktionismus schade eher, als dass er helfe. Große-Vehne plädierte für die Politik der kleinen, aber stetigen Schritte. HVO-Treibstoffe (Biotreibstoff) würden seiner Flotte erst mal helfen.

Fünftens: Deutschland brauche als wind-, wasser- und eher sonnenarmes Land Mischlösungen. Immer wieder fällt der Begriff Wasserstoff: „Wir glauben an den Wasserstoff“, so Pauer.

Sechstens: Der Staat kann mit Subventionen längerfristig keine Unternehmen am Leben erhalten und soll sich aus den Märkten heraushalten (Schell).

Die Energiewende, so die einhellige Meinung der Runde, sei nur ein Problem unter vielen anderen, wie zum Beispiel dem Fachkräftemangel oder dem demografischen Wandel. Nicht diskutiert wurde, was finanzschwächere Unternehmen oder Privatpersonen, die um ihre Autos oder Heizungen fürchten, tun können, um die Energiewende zu überstehen. Dietmar Bastian

 
 
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