Bietigheim-Bissingerin hilft Eichhörnchen „Es sind keine niedlichen Haustiere“

Von Rena Weiss
Ronja ist eines der Eichhörnchen, das durch die ehrenamtlichen Helfer der Eichhörnchenhilfe Stuttgart aufgepäppelt wurde, um wieder in der freien Natur zu leben.⇥ Foto: Joachim Dobler

Wir kommen nicht hinterher“, sagt Jeannine Maurer. Die Bietigheim-Bissingerin ist seit zehn Jahren bei der Eichhörnchenhilfe Stuttgart. Allein am Mittwoch erhielt sie innerhalb einer Stunde Meldungen von fünf hilfsbedürftigen Eichhörnchen. „Wir werden dieses Jahr locker 500 Tiere pflegen müssen.“ Vergangenes Jahr waren es rund 400 Tiere. Die Gründe für die Steigerung sind vielfältig.

Mehr Menschen in der Natur

Letztes Jahr beispielsweise haben die Ehrenamtlichen gemerkt, dass mehr Tiere gemeldet worden sind, weil aufgrund der Pandemie mehr Menschen draußen unterwegs waren, sagt Maurer. Hinzu komme der steigende Bekanntheitsgrad der Eichhörnchenhilfe. Doch ein weiterer, viel schwerwiegenderer Grund, warum mehr Eichhörnchen Hilfe benötigen, sei der Mangel an Lebensraum. „Es wird viel gerodet und die Gärten werden sehr rein gehalten“, sagt Maurer. Nirgends dürfe mehr ein Ast krumm hängen oder alte Vogelnester hängen bleiben, sagt sie überspitzt. „Eichhörnchen nutzen aber alte Vogelnester gerne und bauen sie zu einem Kobel um oder leben in alten Baumhöhlen.“ Kobel werden die Nester der Eichhörnchen genannt und sind hohlkugelförmige Bauten. Jeannine Maurer und die Eichhörnchenhilfe raten dazu, alte Bäume auch mal stehen zu lassen, und wenn sie doch gefällt werden müssen oder alte Nester entfernt werden, sollten diese ganz genau betrachtet werden. „Wir haben schon oft erlebt, dass Kobel zerstört worden sind, weil viele Menschen nicht wissen, was das ist.“

Es sei auch nicht selten, Eichhörnchen im eigenen Garten zu sehen. Denn die Tiere haben sich aufgrund des immer kleiner werdenden Lebensraums anpassen müssen und sind kreativ, was ihre Kobel anbelangt. „Sie gehen mittlerweile vermehrt auch an Häuser. Sie kommen prima den Putz hoch und bauen im Giebel ihre Kobel.“ Das sei zwar ein guter Schutz für die Jungtiere, wenn sie jedoch die ersten Gehversuche wagen, müssen sie auf einmal eine sechs Meter hohe Wand hinunterklettern. „Das sind dann Sturzopfer, die zu uns kommen“, sagt die Bietigheim-Bissingerin und ergänzt, „sie selbst kommen oft nicht mehr alleine die Wand hoch, weil sie die Kraft noch nicht haben, und ihre Mutter kann sie nicht mehr tragen, weil sie dafür schon zu groß und schwer sind.“

Die kleinsten, um die sich die zwölf Ehrenamtlichen mit jeweils eigener Auffangstation kümmern, sind teilweise nur ein paar Tage alt. Das können Sturmopfer sein. „Sehr häufig sind es aber auch Baumfällopfer“, nennt die 46-Jährige einen weiteren Grund für die Auffangstationen. Das liege mit daran, dass Eichhörnchen ihre Jungen im Januar schon bekommen und bis März gefällt werden darf. Auch natürliche Feinde wie Raubvögel, Katzen und Marder können zu Verletzungen führen, und damit werden die Tiere ebenfalls ein Fall für die Eichhörnchenhilfe. Vor allem Jungtiere seien nicht flink genug, um den Feinden zu entkommen. „Wenn Eichhörnchen von Katzen gejagt und gebissen werden, sind das meist recht schlimme Verletzungen. Katzenspeichel ist massiv aggressiv.“ Eine kleine Verletzung im Durchmesser eines Katzenzahns könne sich innerhalb einer Stunde zur Größe eines Zwei-Euro-Stücks ausdehnen, hat Jeannine Maurer bereits an den kleinen Tierchen sehen müssen.

Nie mit Spritze füttern

Doch was tun, wenn man selbst einen verletzten Nager entdeckt? „Das Wichtigste ist, das Tier zu wärmen.“ Findelkinder dürfen angefasst werden, das Muttertier wird das Baby deswegen nicht ablehnen. Kranke Tiere indes sollten mit Handschuhen oder einem großen Handtuch aufgenommen werden. Auf keinen Fall sollte man den Tieren Wasser oder Futter geben, das könne katastrophale Folgen haben. „Futter oder Wasser über eine Nuckelflasche oder Spritze eingeführt, läuft den Tieren im schlimmsten Fall in die Lunge. Sie bekommen dann eine Lungenentzündung und verrecken elendig“, so muss es Jeannine Maurer drastisch formulieren, weil sie dies schon zu oft bei unbedarften Helfern erlebt habe.

„Im Zweifel kann man uns immer anrufen.“ Und unter dem in München sitzenden Eichhörnchen-Notruf sogar 24 Stunden, sieben Tage die Woche. Dieser leite deutschlandweit die Notrufe an die zuständigen Helfer weiter. Die Stuttgarter Eichhörnchenhilfe ist mit ihren privaten Auffangstationen rund um Stuttgart, Ludwigsburg, Esslingen, Waiblingen, Heilbronn, Pforzheim, Karlsruhe, Reutlingen, Göppingen und Schwäbisch Gmünd aktiv.

Damit es gar nicht erst zum Einsatz der Helfer kommt, könne es oft schon ausreichen, wenn Menschen Nahrung und ein Zuhause zur Verfügung stellen. Eine Wasserschale und eine weitere mit Futter wie Wal- und Haselnüsse sowie Sonnenblumenkerne können den Nagern schon helfen. „Teures Eichhörnchenfutter braucht es gar nicht“, so die 46-Jährige. Davor Angst haben, dass man die Tiere ans Füttern  gewöhnt, brauche man nicht. „Jedes Jungtier, das vielleicht auch die Mutter verloren hat, und jedes verletzte Tier, das nicht im Stande ist, große Strecken zurückzulegen, ist froh und dankbar, wenn es Nahrung vor der eigenen Haustür findet.“

Wer darüber hinaus helfen möchte, könne die Organisation mit Sach- und Geldspenden unterstützen oder selbst ein Päppler werden. Doch hier gehört viel dazu: Je nach Alter müssen die Tiere alle zwei bis vier Stunden gefüttert werden, ist nur ein Beispiel für den großen Aufwand, den die Freiwilligen betreiben. „Mit wenig Schlaf und kulanten Chefs ist das möglich. Ich durfte beispielsweise meine Eichhörnchen mit in die Arbeit bringen.“ Des Weiteren benötigen Päppler große Innenvolieren. Denn: „Nie ist ein Eichhörnchen allein in unseren Stationen.“ Die Tiere benötigen sich gegenseitig, um beispielsweise das Trauma zu überwältigen und voneinander zu lernen. So sind die Auffangstationen oft von Mitte Februar bis September voll. „Wir können Helfer daher nicht während der Saison einlernen.“ So sollten Vorkenntnisse im Päppeln von Kleinsäugern vorhanden sein. Hinzu kommt noch die emotionale Belastung. „Es ist immer so, als ob man ein Kind gehen lässt“, sagt sie über die Auswilderung, aber auch über Todesfälle. Hier helfe die gute Unterstützung der Gruppe.

Obwohl alle bei der Eichhörnchenhilfe ihre Arbeit und ihre Tiere wie Haustiere lieben, stellt Jeannine Maurer klar: „Es sind keine niedlichen Haustiere, sondern Wildtiere.“ Das Ziel ist daher immer die Auswilderung und diese gelinge in acht bis neun von zehn Fällen.

Info Bei einem Eichhörnchen in Not kann der sogenannte Eichhörnchen-Notruf unter (0700) 20 02 00 12 angerufen werden.

www.eichhoernchenhilfe-stuttgart.de

 
 
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