Bietigheim klagt gegen die Lizenzverweigerung vor dem Schiedsgericht Jetzt haben die Juristen das Wort

Von Andreas Eberle
Der aus dem Fernsehen bekannte Anwalt Ingo Lenßen, hier bei der Aufzeichnung einer Talkshow, gehört seit März 2019 dem DEL-Schiedsgericht an – und könnte in dieser Funktion auch im Steelers-Lizenzfall urteilen. Früher spielte der 59-Jährige selbst Eishockey. ⇥ Foto: Imago

Die Bietigheim Steelers klagen vor dem DEL-Schiedsgericht gegen die Lizenzverweigerung. Dem fünfköpfigen Gremium gehört auch TV-Star Ingo Lenßen an.

Die Bietigheim Steelers haben am Mittwochnachmittag beim Schiedsgericht der Deutschen Eishockey-Liga (DEL) eine Klage gegen die Lizenzverweigerung eingereicht. Dies gab die DEL2 am Donnerstag bekannt. Als einziger der 14 Vereine hatte der Klub aus dem Ellental keine Lizenz für die Saison 2020/21 erhalten (die BZ berichtete). „Aufgrund des schwebenden Schiedsverfahrens können vor Abschluss dessen keine weiteren Informationen gegeben werden“, heißt es in einer Mitteilung der Liga. Mit einem Urteil ist bis Anfang August zu rechnen. Die Sportredaktion stellt vorab das Schiedsgericht und dessen Arbeit vor.

Was ist das DEL-Schiedsgericht?

Das Schiedsgericht ist eine unabhängige Institution. Es kann bei Streitfällen zwischen zwei oder mehreren Parteien – Spielern, Klubs und den beiden Ligen DEL und DEL2 – angerufen werden, wenn eine Partei mit einer Entscheidung der Vorinstanz nicht einverstanden ist. Voraussetzung ist eine Klage, die innerhalb einer bestimmten Frist – im Fall der Steelers war dies eine Woche – und mit einer entsprechenden Begründung eingereicht werden muss. Die Geschäftsstelle der Schiedsgerichts befindet sich im hessischen Altenstadt.

Wer sind die Mitglieder?

Fünf Juristen bilden das Gremium. Seit März 2019 hat Dr. Jörg Dauernheim, Anwalt aus Altenstadt, den Vorsitz inne. Als Beisitzer amtiert Dr. Jan F. Orth. Der Richter am Landgericht Köln ist obendrein Mitglied des Bundesgerichts beim Deutschen Fußball-Bund (DFB) sowie bei der Deutschen Vereinigung für Sportrecht. Prof. Dr. Anne Jakob hat in Frankfurt/Main eine eigene Kanzlei, die auf Sportrecht spezialisiert ist. Sie leitete bei vielen internationalen und nationalen Leichtathletik-Veranstaltungen das Dopingkontrollmanagement. Dr. Johan-Michel Menke kümmert sich in einer Hamburger Kanzlei vornehmlich um Insolvenz-, Arbeits- und Sportrecht. Er ist in der Fachwelt durch seine Tätigkeit für Sportfachverbände und Klubs im Profimannschaftssport ein Begriff.

Der prominenteste Richter ist aber Dr. Ingo Lenßen. Der 59-jährige Jurist wurde durch seine Rechtsanwalts-Rolle in der Sat.1-Serie „Richter Alexander Hold“ bekannt. Von 2003 bis 2009 hatte er eine eigene Vorabend- Krimiserie – „Lenßen & Partner“.

Lenßen bringt nicht nur rechtliche Expertise als Anwalt in Bodman-Ludwigshafen am Bodensee mit, sondern gilt auch als versierter Eishockey-Experte. Beim Krefelder EV spielte der TV-Star mit dem markanten Musketier-Bart einst in der Jugend, für den EC Konstanz stürmte er später in der viertklassigen Regionalliga. Nach seiner aktiven Zeit trainierte er das Konstanzer Amateurteam sowie den EHC Kreuzlingen.

Wie läuft das Verfahren?

Nach der Klageerhebung wird das Schiedsgericht aktiv. Dabei werden drei der fünf Richter mit dem Verfahren betraut. Prinzipiell infrage kommen ein schriftliches Verfahren oder eine Anhörung vor Ort. Die Entscheidung der Vorinstanz, im Steelers-Fall also des DEL2-Aufsichtsrats, wird sowohl juristisch als auch inhaltlich geprüft. Die Argumente beider Seiten werden erörtert und berücksichtigt. Unter Abwägung aller Gesichtspunkte führt das Schiedsgericht eine Klärung des Sachverhalts herbei und fällt ein endgültiges Urteil. Auch ein Kompromiss ist möglich.

Welche Fälle verhandelt das Schiedsgericht?

Die Gründe für ein Verfahren sind vielfältig. Lizenzstreitigkeiten sind eher selten. Oft resultieren die Verfahren aus dem Spielbetrieb. Wenn etwa der Disziplinarausschuss der Liga eine Sperre und/oder eine Geldstrafe gegen einen Spieler verhängt hat und der Verein das Strafmaß als zu hoch oder ungerechtfertigt ansieht, kann er vors Schiedsgericht ziehen – und dort versuchen, das Strafmaß zu reduzieren oder gar einen Freispruch zu erwirken.

Auch Spielwertungen können Gegenstand eines Verfahrens sein. Die Steelers waren im Januar 2019 indirekt an einem solchen beteiligt. Die Eishockeyspielbetriebsgesellschaft (ESBG) wertete damals das DEL2-Heimspiel gegen die Tölzer Löwen mit 5:0 Toren und drei Punkten für Bietigheim. Die Oberbayern hatten wegen Schneechaos auf die Auswärtsfahrt verzichtet und Sicherheitsbedenken geltend gemacht. Die für den 6. Januar in der EgeTrans-Arena angesetzte Partie fiel aus. Die ESBG monierte ein schuldhaftes Verhalten der Löwen. Der Klub sah’s anders und klagte gegen die Wertung am grünen Tisch vor dem Schiedsgericht – allerdings ohne Erfolg. Bei der Verhandlung in Köln folgten die Sportrichter der Liga und wiesen den Einspruch zurück. „Nach Auswertung der Wetterdaten, dem vorliegendem Videomaterial, dem dargestellten Ablauf und der Tatsache, dass am gleichen Tag drei Nachwuchsspiele und am Abend ein Dameneishockeyspiel in Bad Tölz mit auswärtigen Mannschaften stattfanden, konnte das Schiedsgericht der Argumentation bezüglich einer Gefahr für Leib und Leben für die Mannschaft der Tölzer Löwen nicht folgen“, so die Begründung.

Wie stehen die Chancen für die Steelers?

Das ist schwierig zu sagen. Formal konnten die Steelers die gemäß Lizenzordnung geforderte wirtschaftliche Leistungsfähigkeit bis zum Abschluss und innerhalb der vorgegebenen Fristen des Prüfungsverfahrens nicht nachweisen. Andererseits hat der Verein die monierte Deckungslücke, die aus Altlasten resultierte, in seiner Bilanz nach BZ-Informationen inzwischen geschlossen. Der Spielbetrieb für die neue DEL2-Runde gilt zudem als gesichert. Der Verein macht seit Jahren keine neue Schulden, wie Geschäftsführer Volker Schoch betont. Auch der Faktor Corona könnte bei der Verhandlung eine Rolle spielen. Möglicherweise gibt es eine Kompromisslösung: Die Lizenz wird erteilt, verbunden mit einem Punktabzug und/oder einer Geldstrafe.

Hoffnung macht das Beispiel ERC Sonthofen. Der Oberligist hatte vor einem Jahr aus wirtschaftlichen Gründen zunächst keine Lizenz für die Saison 2019/20 bekommen. Schließlich erteilte das Spielgericht des Deutschen Eishockey-Bundes (DEB) den Allgäuern dann doch noch die Spielerlaubnis – nachdem Sonthofen nachgebessert und einige Auflagen erfüllt hatte, schlossen beide Seiten einen Vergleich.

Was passiert, wenn Bietigheim vor dem DEL-Schiedsgericht scheitert?

Sollte das Schiedsgericht den Lizenzverlust bestätigen, müssen die Steelers die DEL2 mangels Spielerlaubnis verlassen und in einer unteren Liga einen Neuanfang starten – in der Oberliga Süd oder der Regionalliga Baden-Württemberg, wo bisher die Amateure des SC Bietigheim-Bissingen antreten. Alle Verträge der Profis und Trainer wären in diesem Fall hinfällig. Als letzter Ausweg wäre aber theoretisch auch noch der Gang vor ein ordentliches Gericht eine Option.

 

 

DEL2-Geschäftsführer zeigt sich irritiert über Akteneinsicht für Fan-Vertreter

Die Bietigheim Steelers haben nach der Lizenzverweigerung durch die Liga Fanvertretern Einsicht in die Prüfungsunterlagen gegeben. Jene Laien, wie sie sich selbst bezeichneten, kamen zu dem Urteil: „Die in der Nachfrist gestellten Forderungen wurden unser Erachtens fristgerecht eingereicht.“ Ein entsprechendes Statement trägt die Unterschrift der beiden Fanbeauftragten Heiko John und Harald Bosch.

Bei René Rudorisch hat das Vorgehen des Klubs Verwunderung ausgelöst. „Das von einem Gremium von Fans bewerten zu lassen, die selbst zugeben, sich mit der Materie wenig auszukennen, ist schon relativ befremdlich – um dann auch noch eine offizielle Wertung abzugeben“, stellte der DEL2-Geschäftsführer im Interview mit dem Fachblatt „Eishockey News“ fest. Die Bürgschaften der Steelers, die unter anderem fehlten, trügen das Ausstelldatum 3. Juli. Sie hätten demnach gar nicht vorgelegen haben können. „Man sollte sich inhaltlich solche Sachen genau anschauen und überlegen, ob man in der Lage ist, auf den sozialen Medien offiziell Stellung zu beziehen“, sagte Rudorisch weiter. ⇥ae

 
 
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