Bietigheim Neuanfang nach dem Großbrand

Von Uwe Mollenkopf
Dieses Foto des Bie­tig­hei­mer Fo­to­gra­fen Otto Schick zeigt den win­ter­li­chen Bie­tig­hei­mer Markt­platz um 1930. Rechts das 1924 auf dem Platz des Großbrands gebaute Zwei­gie­bel­haus, vor dem ein Bus des „Bie­tig­hei­mer Stadt­ver­kehrs“ steht. Links das Rat­haus, im Hin­ter­grund die Stadt­kir­che. Die west­li­che Hälf­te des Ar­ka­den­ge­bäu­des war zu diesem Zeitpunkt ebenfalls schon fertig, in der Lü­cke ­zwi­schen diesem und dem Zweigiebelhaus entstand bis 1933 die öst­li­che Hälf­te des Ar­ka­den­ge­bäu­des. Foto: Fotograf Otto Schick/Stadtarchiv Bietigheim-Bissingen

Vor 100 Jahren begann die Neubebauung des Areals zwischen Rathaus und Kirche, auf dem 1921 ein Feuer gewütet hatte, mit dem Zweigiebelhaus. Vereine wollten hingegen ein Denkmal.

Wer heute dem wunderschönen, altehrwürdigen Rathaus in Bietigheim einen Besuch abstattet, ist beim Betreten des Marktplatzes überrascht von der Schönheit des durch die Brandkatastrophe vom August 1921 freigelegten Platzes“, stellte der Stuttgarter Architekt Eugen Mäckle in einem Beitrag im Enz- und Metterboten vom 27. Februar 1924 fest. Mäckle wollte diesen Platz auch in Zukunft gerne frei halten und stand damit nicht allein: Er agierte als Sachverständiger eines Komitees aus Vertretern von mehr als einem Dutzend Bietigheimer Vereine. Sie wollten statt einer Neubebauung ein Kriegerdenkmal auf dem Brandareal errichten lassen und traten damit vor 100 Jahren einen großen kommunalpolitischen Streit los.

Rückblick: Neun Wohnhäuser, darunter das Mesnerhaus der Stadtkirche, und vier Scheunen brannten damals ab. Für die Neubebauung schrieb die Stadt, die inzwischen alle Bauplätze erworben hatte, Ende 1921 einen Wettbewerb aus, bei dem sich im Januar 1922 der Entwurf des Stuttgarter Architekten Adolf Abel als Sieger durchsetzte.

Er sah ein zweigiebeliges Haus vor, das den Platz nach Norden abschließen sollte, an der Pfarrstraße den Westflügel des sogenannten Arkadengebäudes mit Wohnungen, einem Konsumladen im Erdgeschoss und dem neuen Mesnerhaus sowie als Abschluss den Ostflügel des Arkadengebäudes, das sogenannte „Stadthaus“.

Feuerwehr und Wohnungen

In seiner Sitzung am 24. Januar 1924 beschloss der Bietigheimer Gemeinderat, als ersten Schritt zur Umsetzung der Abelschen Pläne mit dem Bau des Zweigiebelhauses baldmöglichst zu beginnen. Die Räumung des Brandplatzes von den Trümmern lief damals noch. Das Stadtbauamt erklärte, der Bau biete auch eine Arbeitsgelegenheit für Erwerbslose, und das Erdgeschoss des Gebäudes könne als Feuerwehrmagazin verwendet werden. Im ersten Stock sollten Wohnungen entstehen. Die Wehr befand sich damals im Rathaus, wo es insbesondere nach Anschaffung einer Motorfeuerspritze zu eng geworden war. Die Entscheidung für den Bau, für den mit Kosten von rund 34 800 Mark gerechnet wurde, fiel mit einer Gegenstimme.

Doch es dauerte nicht lange, bis sich zeigte, dass die Entscheidung noch mehr Gegner hatte. Diese trafen sich am 12. Februar im Gasthaus Adler und bestanden laut Berichten des Enz- und Metterboten neben einigen Gemeinderäten aus Vertretern „von etwa 14 hiesigen Vereinen“ – darunter der Gewerbeverein, Militärverein, Soldaten- und Veteranenverein, Sängerkranz, Turnerbund, Ziegenzuchtverein und Musikverein. Ihre Kritik entzündete sich an der damals ebenfalls diskutierten Frage nach einem Standort für ein Kriegerdenkmal für die Gefallenen des Ersten Weltkriegs – angesichts von etwa 160 Toten in der Stadt eine emotionale Angelegenheit.

Wunsch nach Kriegerdenkmal

Der Gemeinderat plante damals, das Denkmal am Turmeingang der Stadtkirche zu errichten, die Kritiker, darunter Feldzugsteilnehmer und Angehörige von Gefallenen, hielten dies nicht für ausreichend. Sie forderten ein monumentales Denkmal auf dem Brandplatz, der dazu ganz oder teilweise freigelassen werden müsse. Als Ergebnis des Treffens wurde vom Gemeinderat verlangt, mit den Arbeiten für das Zweigiebelhaus, wo mit der Absteckung des Baugeländes begonnen worden war, so lange zu warten, bis eine Bürgerversammlung zu der Frage Stellung genommen habe.

Am 14. Februar lehnte der Gemeinderat die Einberufung einer solchen Versammlung jedoch mit einer knappen Mehrheit von neun zu acht Stimmen ab, ebenso wurde mehrheitlich, bei fünf Gegenstimmen, eine Einstellung der Bauarbeiten zurückgewiesen. Architekt Abel fürchtete eine schwere Schädigung des Stadtbilds, sollte der Platz freigelassen werden. Ganz außen vor lassen wollte man die Meinung der Bürger aber auch nicht, und so wurde Stadtschultheiß Christian Schmidbleicher ermächtigt, die Einwohner dazu aufzufordern, eigene Vorschläge für ein Kriegerdenkmal einzureichen.

Alternativplan vorgelegt

Die Kritiker blieben aber auch nicht untätig. Das Komitee der Vereinsvorstände beauftragte den Stuttgarter Architekten Eugen Mäckle, einen Plan für ihre Vorstellungen von der Platzgestaltung mit Denkmal zu entwerfen. Dieser wurde in Schaufenstern gezeigt und auch im Enz- und Metterboten veröffentlicht. Er sah auch einen Platz für die Feuerwehr vor. Beim Oberamt Besigheim legten die „Rebellen“ zugleich Beschwerde ein, weil sich der Gemeinderat weigere, den Bau des Giebelhauses zu stoppen.

Der Gemeinderat zeigte sich indes unbeeindruckt, beschloss am 28. Februar mehrheitlich, an seiner Entscheidung festzuhalten und die Arbeiten für das Zweigiebelhaus zu vergeben. Das endgültige Aus für den Mäckle-Plan kam dann am 10. April, als im Gemeinderat ein Gutachten des Landesamts für Denkmalschutz präsentiert wurde. Darin wurde der Plan als „unharmonisch und unbefriedigend“ bezeichnet und empfohlen, ihn unbedingt fallen zu lassen. Damit stand der Neubebauung nichts mehr im Weg.

Ende 1924 legte schließlich Architekt Abel einen Entwurf für die Errichtung des Gefallenen-Denkmals an der Peterskirche vor, wo dieses am 7. Juni 1925 eingeweiht wurde und sich bis heute befindet.

Das Zweigiebelhaus wurde wie geplant fertiggestellt, und 1925 bezog dort die Feuerwehr ihr neues Domizil. Sie blieb dort bis zum Wechsel an den heutigen Standort 1975. Danach wurde das Gebäude kurzzeitig von den Firmen Raumausstattung Elbe und Stahlwaren Fritz genutzt, so Sonja Eisele vom Stadtarchiv. Anschließend wechselten sich italienische Restaurants ab, aktuell befindet sich dort die Gaststätte „La Piazza“.

Abschluss bis 1933

Der von Abel geplante Westflügel wurde bis 1927 fertiggestellt, der Ostflügel des Arkadengebäudes, das „Stadthaus“, erst 1933. Auch ohne Denkmalplatz entstand mit dieser Neubebauung ein großer Marktplatz, der das Gesicht der Altstadt nachhaltig veränderte und die vorherigen kleinteiligen Strukturen überwand.

 
 
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