Geschichtenerzählerinnen lügen nie“, lernte man am vergangenen Donnerstag im Bietigheimer Hornmoldhaus. Als die Nacht über die Stadt hereinbrach, war hier die Zeit gekommen, weit in die Vergangenheit zu reisen: ein halbes Jahrtausend zurück, ins 16. Jahrhundert – mit einer, die sich auskannte: Die Tochter von Stadtschreiber und Vogt Sebastian Hornmold selbst, nicht die bekannte Hanna, sondern ein vergessenes Kind, streicht noch immer durch die Gänge des Fachwerkhauses. Denn bei ihrem Tod war das Fenster geschlossen und die Seele konnte nicht entweichen. Der Geist wird zum Hausgeist, klagte sie den 16 Besuchern ihr Leid.
Bietigheimer Hornmoldhaus Unterwegs mit dem „Hausgeist“
Eine neue Führung im Hornmoldhaus mit Märchenerzählerin Xenia Busam unternimmt eine Reise zurück in das 16. Jahrhundert – mit einer Prise Magie.
Geschichte mit Geschichten verbinden
450 Jahre „an das Haus gefesselt“ – „das ist langweilig.“ Auch wenn sich darin so interessante Dinge fänden wie römische Rüstungsteile und Schildbeschläge. „Wir stehen hier auf Geschichte“, stellte sie klar – sie wolle jetzt aber auf keinen Fall Daten und Fakten herunterbeten: „Aber wenn man Geschichte mit Geschichten verbindet, wird sie lebendig.“
Und das ist das Ziel der neuen Führung im Hornmoldhaus mit Geschichtenerzählerin und „Hausgeist“ Xenia Busam: Geschichten zu erzählen, die man sich in einer Zeit vor einem halben Jahrtausend schon erzählte, und die so oder so ähnlich geschehen sein könnten – in einer Welt mit einer Prise mehr Magie.
So wurde durch den Traum einer Geschichtenerzählerin auf der Schwelle des Hauses der Hornmolds ein Schatz gefunden, durch den Herzog Ulrich erst auf den jungen Sebastian aufmerksam wurde und ihn unter seine Fittiche nahm – nachdem er sich den Schatz gesichert hatte.
Von toten Katzen und unehelichen Kindern
Der Herzog verkaufte dann auch fast seine Seele an eine Hexe, als die Reichsacht über ihn verhängt wurde. Wie tote Katzen im Gebälk böse Geister vertrieben, wurde ebenso erzählt wie von einer unglücklichen Liebe, die dem Verliebten bis ins Grab folgte und ihn erst ruhen ließ, als ihm vergeben wurde.
Dass „Kegel“ uneheliche Kinder meint und dass man „in der Ehe keusch sei, auch wenn man nicht keusch sei, außer man sei außerhalb der Ehe nicht keusch“, konnte man von der Schwester von Hanna Hornmold lernen – die sich da auskennt, denn sie folgte, nach eigenen Angaben, ihrer keuschen Schwester nicht in allem. Ihr Tod, so ihre Geschichte, war dann auch eine Überdosis Schafswurz, das bei ungewollten Schwangerschaften eingenommen wurde. Vielleicht fiel sie deshalb in Vergessenheit.
Oder, weil ihre Person selbst eine der Geschichten war, die die Geschichtenerzählerin Xenia Busam ihren Gästen erzählte. „Mal eine andere Tour“, fanden diese, als sie die Geschichtenerzählerin in die Nacht entließ – „sehr schön.“
Alles hat einen wahren Kern
Bei einer guten Geschichte kommt es darauf an „innere Bilder zu erzählen“, verrät Busam nach der Führung: „Nicht zu viel und nicht zu wenig“ dürfe man erzählen, sich etwa nicht mit der Beschreibung der Kleidung der Hauptpersonen aufhalten. Sie erzählt die Geschichte so, wie sie sie vor ihrem inneren Auge sieht, empfindet mit ihrer Stimme die der Personen nach, achtet auf Tempo und Lautstärke.
Ihre Geschichten orientierten sich an den Fakten, der Geschichte des Hauses: der Schmalkaldische Krieg, bei dem das Hornmoldhaus samt seiner Weinvorräte geplündert wurde, die Reichsacht über Herzog Ulrich, der Mord an dessen Rittmeister Hans von Hutten und auch der „Lebensstein“, den man bei der Umbettung von Hanna Hornmold von der Kirche auf den Friedhof tatsächlich um ihren Hals fand – alles historisch. Sie habe die Geschichten weitergesponnen, gibt sie zu – einen wahren Kern haben sie aber alle. Denn: „Geschichtenerzählerinnen lügen nie.“