Bietigheimer in Shanghai Wie es derzeit ist, in China zu leben

Von Frank Ruppert
Shanghai: Polizisten versperren den Zugang zu einem Platz, an dem sich Demonstranten versammelt hatten. In China hat die strenge Corona-Politik am Wochenende zu Protesten geführt. Foto: dpa/ap

Mesut Dogan lebt und arbeitet seit Jahren in Shanghai. Der BZ berichtet der Bietigheim-Bissinger wie er die strengen Corona-Vorschriften und die Proteste dazu wahrnimmt. Außerdem erzählt er, warum er sich trotz aller Restriktionen als Chinafreund bezeichnet.

Seit 2016 lebt der Bietigheim-Bissinger Mesut Dogan mit seiner Familie in Shanghai. Er ist dort Geschäftsführer eines deutschen Mittelständlers. „Uns geht es recht gut. Besser als vor einem halben Jahr“, sagt er auf Nachfrage der BZ. Man habe sich an die strengen Corona-Vorschriften, die im Reich der Mitte immer noch gelten (alle 24 Stunden PCR-Tests, Reisebeschränkungen und die ständig lauernde Lockdown-Gefahr) gewöhnt. „Die Schulen haben wieder auf, wir gehen unserer Arbeit nach und auch die Versorgung mit Lebensmitteln ist sichergestellt“. berichtet Dogan. Nichtsdestotrotz habe der harte Lockdown zu Beginn des Jahres, als auch sein Familie die eigenen vier Wände wochenlang nicht verlassen durften, „bleibenden Schaden“ bei ihm hinterlassen und die Familie beobachte die Entwicklungen vor Ort ganz genau.

Ermüdungserscheinungen bei den Menschen

Im Gespräch mit der BZ berichtet der Familienvater davon, dass man auch im Alltag bei den Einheimischen angesichts der strengen Corona-Vorschriften und Einschränkungen „eine gewisse Ermüdungserscheinung“ erkenne. An einigen Orten gebe es wieder Lockdowns und Millionenstädte würden abgeriegelt. Teilweise aus Sicht Dogans völlig unlogische Maßnahmen. So habe am Wochenende der Shanghai-Marathon mit tausenden Teilnehmern stattfinden dürfen, aber Public Viewing in Kneipen wurde kurzfristig untersagt. „Das wird teilweise von Stadtteil zu Stadtteil unterschiedlich gehandhabt“, so der Bietigheim-Bissinger. Zu den Protesten derzeit (die BZ berichtete) kann er nur wenig sagen, weil man auch wenig mitbekomme. Es sei keinesfalls vergleichbar etwa mit der Situation, wie sie aus dem Iran geschildert würden.

„Wenn in einer 26-Millionen-Stadt wie Shanghai ein paar hundert Menschen auf die Straße gehen, um zu protestieren, dann wird das schnell im Keim erstickt und zwei Tage später spricht auch keiner mehr darüber“, sagt der Vater zweier Mädchen. Generell gebe es keine Protestkultur, wie man sie im Westen kenne. Das liege nicht nur an der strengen Regierung, sondern habe kulturelle und gesellschaftliche Gründe.

Akkus aufgeladen beim

Heimatbesuch

Persönlich haben er und seine Familie den Sommer nach dem Lockdown zum Besuch in der Heimat genutzt. „Es war wichtig, die Akkus wieder aufzuladen“, sagt er. Surreal seien die Erfahrungen in Europa gewesen, wo es ihm so vorgekommen sei, als gebe es kein Corona mehr. Die Rückkehr nach Shanghai nach den Wochen in Europa sei da wie das Heimkommen in die Realität „nach einem Ausflug nach Disney-Land“ gewesen. Dennoch habe er auch durch die zeitweise Heimkehr gemerkt, was er an China habe.

„Die Menschen und die Kultur“ ziehen ihn immer noch an. Seine Familie habe ein soziales Umfeld in dem sie sich wohlfühle und er sieht sich als Mitarbeiter einer deutschen Firma auch als Kulturmittler. Und dennoch sagt er, dass es auch möglich sei, dass sie die Zelte in China abbrechen, sollte es nun wieder zu einem harten Lockdown in Shanghai kommen. „Dann müssten wir uns überlegen, ob wir uns im Sommer verändern wollen. Letztlich zwingt uns ja keiner hier zu bleiben, wir könnten theoretisch jederzeit ins idyllische Bietigheim zurückkehren und die Enz entlang spazieren.“ Frank Ruppert

 
 
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