Siedelt man das Motto des Bietigheimer Tages, „Risse überwinden – Begegnung und Akzeptanz als Basis für Gemeinschaft“, in der heutigen Zeit an, fällt es angesichts tagtäglicher Horrornachrichten schwer, an diese Überwindung zu glauben. Haben sich diese Risse doch inzwischen zu tiefen Gräben ausgebildet. Trotzdem war die 104. Veranstaltung des traditionellen Gesprächs zwischen der Evangelischen Kirche und der SPD ein gelungenes Beispiel dafür, wie Kirche, Politik und Zivilgesellschaft Räume der Begegnung schaffen können. Die gemeinsame Botschaft: Es ist nötiger denn je, sich über alle Grenzen hinweg aktiv für ein respektvolles Miteinander einzusetzen.
Bietigheimer Tag Respektvolles Miteinander ist nötig
Auch beim 104. Bietigheimer Tag in Bietigheim-Bissingen war es das Ziel der Veranstalter, eine Plattform der Begegnung für Kirche, Politik und Zivilgesellschaft zu schaffen.
Auftakt am Samstag
Der Auftakt fand in diesem Jahr bereits am Samstag mit einer Exkursion mit einer Begegnung im Buch statt. Von Kindergarten Fliederweg ging es zum Lothar-Späth-Carré bis zum Gemeinschaftsprojekt der Stiftung für die Diakoniestation und der Bietigheimer Wohnbau.
Der Sonntag begann dann um 10 Uhr mit einem festlichen Gottesdienst in der Stadtkirche, in dem Pfarrer Dr. Albrecht Haizmann, Geschäftsführer der Arbeitsgemeinschaft Christlicher Kirchen in Baden-Württemberg (ACK), die Predigt hielt. Zuvor wurden die zahlreichen Gäste von Pfarrer Thomas Reusch-Frey begrüßt. Die Liturgie lag in den Händen von Pfarrer Bernhard Ritter und seinem Team. Für den musikalischen Rahmen sorgte der 15-köpfige Gospelchor „Joyful Voices“ unter der Leitung von Edyta Müller.
Gemeinschaft als Stärke
In seiner Themenpredigt betonte Haizmann die Notwendigkeit, gesellschaftliche und kirchliche Gräben zu überwinden, um echte Gemeinschaft zu ermöglichen. Kleine Risse, zumal medial multipliziert, könne man durch Innehalten und Aufmerksamkeit entgegenwirken. Er zitierte den Prediger Paulus mit dem Wort „Nehmt euch aneinander an, wie Christus euch angenommen hat.“ Haizmann appellierte an die Kräfte der Gemeinschaft, die viel stärker als das Trennende seien. Im Anschluss an den Gottesdienst begrüßte Bietigheim-Bissingens Oberbürgermeister Jürgen Kessing die Gäste im Namen der Stadt. In seinem Grußwort hob er die Bedeutung solcher Begegnungen hervor. Man spreche über Themen, die die Bürger bewegen, bei allen Unterschieden sei dies auch eine wichtige Bereicherung für die eigene Anschauung.
Eine gemeinsame Sprache finden
Man müsse respektvoll eine gemeinsame Sprache finden, auch wenn die Interessen auseinandergehen, so OB Kessing.
Den viel beachteten Hauptvortrag hielt Dr. Frank Mentrup, Oberbürgermeister der Stadt Karlsruhe und Präsident des Städtetags Baden-Württemberg. In seinem Beitrag spannte er den Bogen von eigenen Erfahrungen bis hin zur kommunalen Verantwortung. Er sagte, man müsse vor allem Emotionen in einem zivilisierten Rahmen wieder zulassen. Ebenso müsse man akzeptieren, dass die Identität des anderen genauso wichtig sei, wie die eigene Identität. In den Städten sei es nötig, Freiräume zu erhalten, um Musik und Sport zu ermöglichen. Diese Freiräume seien prägend für die Entwicklung von Kindern. „Wir werden aber um eine Trennung freiwilliger und nicht freiwilliger Leistungen nicht herumkommen“, schränkte Mentrup ein. Jungen Menschen müsse man Optimismus vermitteln und auch nicht behaupten, früher sei alles besser gewesen.
Im anschließenden Podiumsgespräch im Gemeindehaus berichteten Schuldekan Dr. Andreas Löw und Barbara Hernández, Leiterin der Musikschule, darüber, wie Zusammenhalt konkret vor Ort gestaltet werden kann. Etwas durch Angebote an konfessionell getrennte Schüler, als auch durch die universelle Sprache der Musik.
Angebote in der Stadt
Bietigheim-Bissingens OB Kessing hob die vielen Angebote in Bietigheim-Bissingen hervor, an erster Stelle die kostenfreie musikalische Früherziehung und die Kooperationen mit den Sportvereinen.
Freilich gebe es Diskriminierung und Vorurteile, aber auch viel ehrenamtliches Engagement in der Stadt, etwa für die schnelle Sprachvermittlung. Wie Integration im Sportverein funktioniert, schilderten die Jugendleiter Francesco Di Constanzo und Kevin Paulick vom FSV 08 Bietigheim-Bissingen. Dort gibt es 366 Jugendspieler in 16 Jugendmannschaften. Verschiedene Kulturen sind vertreten, aber es würde wenig Unterschiede geben. „Man verliert als Team und siegt als Team“, so Paulick. Politische Äußerungen seinen untersagt und auch Eltern, Tanten und Onkels am Spielfeldrand trete man bei entsprechenden Bemerkungen entgegen.
In der Aussprache wurde die Frage aufgeworfen, wo es Orte der Begegnung geben könnte. Dazu sagte OB Mentrup, es müsse Orte geben, wo Jugendliche auch mal Blödsinn machen könnten. Jugendhäuser in Selbstverwaltung mit Regeln und Inhalten seien ein Weg, ebenso die Stadtbibliothek, wo sich „Nerds“ an 3D-Druckern ausprobieren und an Computern rumschrauben könnten. „Jugendlichen und Eltern sollte man auch Fehler zugestehen“, warb Frank Mentrup für mehr Verständnis in der Familie.