Bahnstreik, Busstreik, Pilotenstreik. Es rumpelt derzeit oft im Verkehrssektor. Immer wieder legen Arbeitnehmer die Arbeit nieder, um für mehr Lohn, flexiblere Arbeitszeiten oder bessere Arbeitsbedingungen zu protestieren. Viele Passagiere haben zwar Verständnis dafür, sind aber letztendlich die Leidtragenden.
Bodenpersonal am Flughafen Bietigheimer handelt Branchentarif aus
Thomas Richter aus Bietigheim-Bissingen arbeitet als ABL-Vorsitzender mit Verdi seit 2017 an einem allgemeingültigen Branchentarifvertrag für das Bodenpersonal an Flughäfen. Die Entscheidung fällt am 15. Februar.
Thomas Richter aus Bietigheim-Bissingen könnte zumindest was die Beschäftigten in der Bodenabfertigung an Flughäfen anbelangt, Abhilfe schaffen – und zwar bundesweit. Der hauptberufliche Steuerberater ist nämlich Vorsitzender des Arbeitgeberverbands der Bodenabfertigungsdienstleister im Luftverkehr e. V. (ABL) und handelt derzeit einen allgemeingültigen Tarifvertrag für die Branche aus. Im Gespräch mit der BZ erklärt der Bietigheimer die Zusammenhänge.
Was ist das Problem?
Die Dienstleistungen im Bereich Bodenabfertigung an Flughäfen können durch den Flughafen selbst beziehungsweise dessen Tochtergesellschaft erbracht werden oder werden vom Flughafen von Drittabfertigern eingekauft. Der Flughafen vergütet nach dem Tarifvertrag für den öffentlichen Dienst (TVöD), die privaten Anbieter nicht. Vereinfacht gesagt sind die Gehälter bei den Privaten deutlich niedriger. Dazu kommt, dass die Gewerkschaften der Drittanbieter in den einzelnen Bundesländern jeweils eigene Haustarifverträge ausgehandelt haben. Vergütung und Arbeitsbedingungen sind teils sehr unterschiedlich, was zu Unmut innerhalb der Belegschaft führt.
Welche Berufsgruppen sind in der Bodenabfertigung enthalten?
Alle luft- und landseitigen Leistungen rund um ein Flugzeug am Flughafen. Also alles, was mit Passagieren, Gütertransport, Gepäck, Catering, Dokumentenkontrolle, aber auch Reinigung und Wartung des Flugzeugs zu tun hat.
Wer ist im ABL?
Es gibt in Deutschland sechs große Bodendienstleister: AHS, Wisag, Aviapartner, Acciona, Losch und das Joint-Venture Swissport/Losch. Am Stuttgarter Flughafen etwa hat der Bodenabfertigungsdienstleister Losch die Lizenz, die jeweils für sieben Jahre vom Verkehrsministerium Baden-Württemberg erteilt wird. Losch hat die Lizenz 2017 zum dritten Mal erworben. Der Vergabe geht ein EU-weites Bieterverfahren voraus.
Was soll ein allgemein verbindlicher Branchentarifvertrag erreichen?
Früher hätten die billigsten Anbieter den Zuschlag bekommen, sagt Richter, daher seien „in Teilen die Airlines selbst schuld, es wurde zu viel gespart.“ Derzeit finde aber ein Umdenken statt. Ziel ist, Lohndumping zu verhindern und die Jobs attraktiver zu gestalten. Denn es herrscht Personalmangel in der Bodenabfertigung.
In den letzten Jahren wurde vergeblich versucht, Personal zu rekrutieren – auch im Ausland. Der ABL versucht daher seit 2017 mit allen Dienstleistern zu sprechen und einen allgemeingültigen Tarif auszuhandeln, der für die gesamte Branche in Deutschland gelten soll. Das soll die Löhne stabilisieren, Streiks vermeiden und die gesamte Branche stärken.
Was bedeutet das für die Bezahlung der Mitarbeiter/Mitarbeiterinnen?
„Die Kunst ist, die goldene Mitte zwischen der öffentlichen und privaten Vergütung zu finden“, sagt Richter. Schlechter werde jedoch keiner bezahlt, versichert der ABL-Vorsitzende. Alte Verträge hätten Bestandsschutz in der Vergütung, „alle neuen Mitarbeiter werden dann nach dem einheitlichen Branchentarif bezahlt.“
Sollte der Tarifvertrag gelingen, werden Flughäfen dann streikfrei?
Ganz so einfach ist es nicht. „Man braucht sich nicht in der Illusion zu wägen, alle Streiks seien nun beendet“, so Richter. Denn nicht nur private Dienstleister sind in der Branche zu finden, viele Beschäftigte der Bodenverkehrsdienste in Deutschland arbeiten für die Fluggesellschaften (zum Beispiel Lufthansa). Dieser Personenkreis ist vom Branchentarif ausgenommen. Auch wenn die Gewerkschaften Zusatzleistungen zum Branchentarif aushandeln wollen, kann es erneut zu Streiks kommen. „Der Vorteil ist, dass dann aber auf Bundesebene verhandelt wird“, sagt Richter.
Wie viel des Ticketpreises macht die Bodenabfertigung aus?
Drei bis sieben Prozent des Ticketpreises fällt auf die Bodenabfertigung. 70 Prozent davon wiederum sind Personalkosten. „Gehen wir von sieben Prozent aus. Würde man den Lohn verdoppeln, wären das bei einem 800-Euro-Flugticket 40 Euro. Das würden viele Passagiere gern bezahlen“, so Richter. Um eben faire Löhne zu garantieren, aber auch für einen guten Service.
Was fehlt noch zum Abschluss des Branchentarifvertrags?
Die Gewerkschaft Verdi muss dem Vertrag am 15. Februar noch zustimmen. „Wir gehen davon aus, dass sie das tut“, sagt der ABL-Vorsitzende. „Wir sind guter Dinge“, bestätigt auch Roberto Di Benedetto von Verdi, zuständig für die Bodenverkehrsdienste am Flughafen Stuttgart, gegenüber der BZ. Die Zusammenführung der verschiedenen Verträge sei langwierig, aber nur sinnvoll, sorge für eine Verbesserung der Arbeitsbedingungen und gebe den Mitarbeitern bundesweit mehr Sicherheit, so der Verdi-Sprecher.
Tarifvertragsverhandlung: Warum führt die gerade Thomas Richter?
Thomas Richter (Jahrgang 1964) ist Partner und geschäftsführender Gesellschafter einer Bietigheimer Steuerberatungsgesellschaft. Seit 1998 ist er als Steuerberater für die Losch Airport Service GmbH tätig.