Bönnigheim Ein Bäckermeister im Auftrag der EU

Von Jennifer Stahl
Reiner Stolzenberger hat im Rahmen von „Food 2030“ vor dem Europäischen Parlament in Brüssel Brot gebacken. Foto: /Oliver Bürkle

Reiner Stolzenberger ist für verschiedene Projekte weltweit unterwegs. Im Gespräch mit der BZ berichtet er von der Forschung für eine nachhaltige Zukunft.

Man muss sich nur die Bilder von meinen Reisen ansehen – auf jedem davon sieht man mich fröhlich lachen, weil ich genau das tue, was mich begeistert.“ Reiner Stolzenberger ist Inhaber der Bäckerei Stolzenberger in Bönnigheim. Der gelernte Bäckermeister mit Weiterbildung zum Betriebswirt geht nicht nur hier im Kreis seiner Leidenschaft nach: Im Auftrag der EU reist er nämlich als Praktiker zum Thema Nachhaltigkeit um die Welt. „Es ist toll, mit Menschen von überall her zusammenzusitzen und für die gleichen Ziele zu forschen.“

Doch von Beginn an: Reiner Stolzenberger übernahm 1989 den Bönnigheimer Betrieb, sechs Jahre später reiste er zum ersten Mal mit einem Investor nach Rumänien. „Dort habe ich mitgeholfen, ein ländliches Backhaus aufzupäppeln, indem ich mein Wissen zur deutschen Brotkultur weitergab.“ Die Bäckerei entwickelte sich laut Stolzenberger tatsächlich zu einer der größten vor Ort, auch heute noch erhält sie Förderung von der EU.

Daraufhin half der deutsche Bäckermeister in den 2000er-Jahren unter anderem in Ungarn, Südamerika, Brasilien und Japan mit, überall brachte er sein Fachwissen ein. „Ich habe auch in Saudi Arabien Brot gebacken, wo es tagsüber bis zu 60 Grad hat“, erinnert er sich. 2014 wurde die deutsche Brotkultur zum UNESCO-Weltkulturerbe erklärt.

Brot-Botschafter im Namen der EU

Stolzenberger ist außerdem als Brot-Botschafter Teil der EU-Initiative „Food 2030“, die die Frage thematisiert, wie sich die Menschheit in sechs Jahren ernähren wird. „Der hohe CO2-Ausstoß ist alles andere als nachhaltig, genau wie der erhöhte Druck auf die Wasserreserven. Wir können für eine nachhaltige Zukunft nicht unendlich viele Tiere züchten“, sagt Stolzenberger. Dabei sei unter anderem die Frage wichtig, wie wir unserem Körper auch ohne großen Fleischkonsum die nötigen Proteine zuführen können.

Im Rahmen des Projekts wurden Erbsen, die einen hohen Proteinanteil haben, als Ersatz für Rindfleisch genutzt: „Da es sich um den gleichen Baustein handelt, haben wir mit den Proteinen aus den Erbsen Brot gebacken – heraus kam ein hochproteinreiches Produkt“, meint er. So werde experimentiert, wie proteinreiche Bausteine in anderen Produkten verarbeitet werden können, neben Brot können sie auch in Nudeln verarbeitet werden. „Dadurch kann mehr auf Rindfleisch verzichtet werden, wenn die gleichen Proteine dem Körper durch ein Brot zugeführt werden können“, meint Stolzenberger.

Ihm fällt auch ein Beispiel aus der italienischen Stadt Triest ein: „In Röstereien fällt die Silberhaut ab und die wird eigentlich entsorgt. Dabei handelt es sich aber ebenfalls um einen proteinreichen Baustein.“ Also führte der Bäcker mit jener Silberhaut das Experiment durch – mit Erfolg. „Heraus kam ein Brot ähnlich wie Toast. Dass alles verwertet und nicht weggeworfen wird, spielt eben auch in den Nachhaltigkeitskreislauf hinein“, meint er.

Minister in Experimente einweihen

Stolzenberger reist im Rahmen des Projekts umher, auf kleinen Messen zeigen die Botschafter aus unterschiedlichen Ländern jeweils, was sie entwickelt haben. „Das erklären wir dann den verantwortlichen Ministern. Am Kreisverkehr ‚Luxembourg Square’ vor dem Europäischen Parlament in Brüssel habe ich an einem Stand Brot gebacken“, erinnert sich der Bäckermeister. Stolzenberger ist vor allem stolz darauf, der ganzen Kommission vor Ort seine Produkte zeigen zu können.

Seit der Pandemie finden zwar viele Konferenzen aus Brüssel online statt, trotzdem wird er auch in diesem Jahr wieder viel unterwegs sein. Unter anderem trifft er sich in Italien, Spanien, Portugal und Griechenland mit anderen Botschaftern im Rahmen von „Food 2030“.

Seit vergangenem Jahr ist er zudem Teil eines neuen Projekts mit dem Namen „Cipromed“. Dabei wird weiterhin die Verarbeitung pflanzlicher Proteine thematisiert. „Meines Wissens nach bin ich der einzige Bäcker aus Deutschland, der beim Projekt mitwirkt“, sagt Stolzenberger. Entwickelte Rezepte werden auch in andere Sprachen übersetzt. „Es geht uns um die Mittelstandsförderung, damit die Ergebnisse auch wirklich für jeden zugänglich sind.“ Das Deutsche Institut für Lebensmitteltechnik (DIL) und das Institut für Lebensmittel- und Umweltforschung (ILU) sind ebenfalls Teil des Projekts. „Deren Aufgabe ist es, die Ergebnisse zu prüfen. Zum einen auf den Proteingehalt, zum anderen natürlich darauf, ob das Endprodukt auch wirklich gesund ist.“ In Universitäten ist Stolzenberger im Rahmen des Projekts ebenfalls unterwegs. „Es macht großen Spaß, die Forschung in anderen Ländern zu beobachten und den Studenten auch etwas zum deutschen Brot zeigen zu können.“

Meist macht er sich alleine auf die Reise, auf dem Weg trifft er häufig die Vertreter von ILU und DLU sowie Studenten und Dozenten. Die weltoffene Atmosphäre gefalle ihm besonders: „Wir sitzen abends zusammen und da ist es vollkommen egal, woher alle kommen. Wir verstehen uns einfach gut und die Forschung für eine nachhaltige Zukunft verbindet uns miteinander.“

Jeden Tag Spaß an der Arbeit

Der Bäckermeister ist ein Optimist, auch daheim in Bönnigheim ist sein Motto: „Nicht ins Jammertal verfallen. Ja, wir haben ein allgemeines Fachkräfteproblem und das spürt auch jeder. Da sollte man aber auf keinen Fall den Kopf hängen lassen.“

Stolzenberger startet jeden Tag motiviert und voller Innovation in seinen Arbeitsalltag. „Es ist ein großes Privileg, dass wir als kleine Bäckerei Teil davon sein dürfen. Wir müssen uns für Forschungsprojekte gar nicht mehr bewerben“, meint er. Es freue ihn, mit seiner Arbeit so viele Menschen begeistern zu können. „Ich rate jedem, der die Chance hat, sich an solchen Projekten zu beteiligen, genau das zu tun.“

Reiner Stolzenberger möchte so lange er kann als Praktiker im Auftrag der EU forschen. Das liege ihm besonders am Herzen, denn: „Egal ob arm oder reich – Backwaren machen die Menschen glücklich. Und wenn es auch nur für einen kurzen Moment ist.“

 
 
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