Das ehemals teils spöttische Belächeln ist längst einem anerkennenden Nicken gewichen – die Rede ist von den ersten Funden von Nachgeburtstöpfen, die Kurt Sartorius 1984 in einem Keller in der Bönnigheimer Michaelsbergstraße freilegte. „Neue Forschungsthemen stoßen häufig auf Skepsis, so auch im Fall der Nachgeburtsbestattung“, sagt der Heimatforscher, ehrenamtlicher Museumschef und Vorsitzender der Historischen Gesellschaft 40 Jahre später im Rückblick.
Bönnigheim Erst belächelt, heute anerkannte Forschung
Vor 40 Jahren entdeckte Kurt Sartorius die ersten Nachgeburtstöpfe in der Stadt. Inzwischen ist diese Ritual ein weltweites Forschungsgebiet.
Funde in ganz Deutschland und weltweit
Es sind jetzt vier Jahrzehnte her, dass er in Bönnigheim zum ersten Mal im Keller vergrabene Töpfe gefunden und diese mit dem Brauch der Nachgeburtsbestattung in Verbindung gebracht habe. Ein vergleichbarer Fund war damals unbekannt. „Zwischenzeitlich liegen Funde aus ganz Deutschland vor“, erklärt Sartorius.
Seit dem ersten Fund begleitet die Bietigheimer, Sachsenheimer, Bönnigheimer die Forschungen von Sartorius zu den Nachgeburtsbestattungen und er erinnert sich gegenüber unserer Zeitung an den Jahresbeginn 1984: „Im Januar untersuchten wir in Bönnigheim das Gebäude Michaelsbergstraße 17/19, das abgebrochen werden sollte. Zufällig stießen wir dabei auf vergrabene Töpfe im Kellerboden.“ Zufällig hatte er kurz vorher im Buch „Volkstümliche Überlieferungen in Württemberg“ von Karl Bohnenberger (1904) vom Brauch der Nachgeburtsbestattung im Keller gelesen. „Deshalb brachte ich die Töpfe mit diesem Brauch in Verbindung. Anfragen bei den entsprechenden Fachbehörden zeigten, dass in Deutschland kein vergleichbarer Fund bekannt war“, so Sartorius weiter. Die Ausgrabung des Kellers brachte 50 Töpfe ans Tageslicht. Funde in 38 weiteren Kellern folgten. „Seitdem wir den Fund und unsere Interpretation bekannt gemacht haben, werden in ganz Deutschland solche Töpfe ausgegraben“, erklärt der Bönnigheimer Heimatforscher durchaus mit Zufriedenheit: „Erst völkerkundliche Vergleiche erhellten den Hintergrund. In der Plazenta wird ein geistiges Wesen vermutet, das eine Verbindung zum Kind hat. Wird dieses Wesen schlecht behandelt, rächt es sich am Kind. Dieses wird krank und stirbt. Deshalb war das sorgfältige Bestatten, das Zurückgeben an die Mutter Erde, eine wesentliche Voraussetzung für das Gedeihen des Kindes.“ Dieser Hintergrund lasse sich heute weltweit belegen, in vielen Völkern wird die Nachgeburt heute noch bestattet. „Der Nachweis von Hämoglobin und Östrogenen im Topfinhalt an der Universität Mainz brachte eine eindrucksvolle Bestätigung unserer Hypothese“, merkt er an.
Die Frage, wie es möglich ist, dass ein allgemeiner Brauch völlig verschwindet und vergessen wird und auch die Wissenschaft kaum etwas davon weiß, lässt sich für Sartorius „wohl nur mit einem Tabu erklären, das in unserer Gesellschaft Themen um die Geburt umgab“.
Kolloquium mit internationalen und deutschen Referenten am 21. und 22. September
Zum Thema Nachgeburtsbestattung gab es bereits 1997 ein Kolloquium in Bönnigheim. Zum 40-jährigen Jubiläum der Forschung werden am 21. und 22. September in den Räumen der Hohenstein Institute erneut Themen zur Nachgeburtsbestattung präsentiert.
Das Kolloquium wird vom Förderverein Museum in Steinhaus und der Historischen Gesellschaft veranstaltet und beleuchtete das „Tabu Nachgeburtsbestattung“ aus vielerlei Richtungen, von der Forschungsgeschichte, Volkskunde über die Völkerkunde, Archäologie, Theologie, Soziologie bis zum alten Ägypten.
Internationale und deutsche Referenten werden neue Erkenntnisse zum „Tabu Nachgeburtsbestattung“ vorstellen. Kurt Sartorius (Museumsleiter): Nachgeburtsbestattung – Entdeckung, Forschung, Folgen; Dr. Dorothee Ade (IKU – Institut für Kulturvermittlung, Rottenburg): Die Verbreitung von Nachgeburtsbestattungen in Südwestdeutschland ; Dr. Birgit Kulessa (Landesamt für Denkmalpflege, Esslingen): Sozialtopgrafische Aspekte der Nachgeburtsbestattung; Ines Beilke-Voigt (Archäologie Manufaktur, Wustermark): Forschungsstand in Berlin/Brandenburg; Professor Ronen Reichmann (Hochschule für jüdische Studien, Heidelberg): Nachgeburtsbehandlung in der jüdischen Tradition; Dr. med. Judith Kouenmatchoua Tchuitcheu (Hamburg): Nachgeburtsbestattungen in Kamerun; Bahaa Eldin Ahmed Mohmed Ahmed (Ägyptologe, Luxor, Ägypten): Die Bedeutung der Plazenta im alten Ägypten; Dr. Birgit Quitterer (Zirl, Österreich): Nachgeburtsbestattung in Japan; Nicole Bürkle (Heidelberg): Bräuche um die Nachgeburt; Cornelia Enning (Hebammenpraxis, Mühlacker): Heilmittel aus Plazenta; Mia Tragesser González Berducido (Guatemala): Plazentagarden; Professor Dr. Christel Köhle-Hezinger (Esslingen): Vergessen – Erinnern – Erforschen.