Bönnigheim Verliert die Stadt ihre Identität?

Von Jürgen Kunz
Auf dem Titel der aktuellen Ganerbenblätter 2024 sind die Umfassungsmauern des am 7. April 1945 ausgebrannten Rathauses zu sehen. „Ähnlich traurig und ausgebrannt sahen das Heilbronner und das Schwäbisch Haller Rathaus aus. Diese wurden saniert und sind heute Schmuckstücke ihrer Städte“, schreibt Kurt Sartorius dazu.   Foto: /Historische Gesellschaft

Im 47. Jahrgang sind die neuen Ganerbenblätter jetzt von Historischen Gesellschaft herausgegeben worden. Hauptthema sind „abgebrochene Gebäude“ in der Stadt.

In einer Auflage von 350 Exemplaren hat die Historische Gesellschaft Bönnigheim ihre neuesten Ganerbenblätter – im 47. Jahrgang – nun herausgegeben. Mit Blick auf die kommende Jahresausstellung „Bönnigheim unterm Hakenkreuz“, die am 6. April im Museum im Steinhaus eröffnet wird, hat das Redaktionsteam Helga Engster-Möck und Kurt Sartorius ein Gespräch von Hannelore Tiedke aus dem Jahr 2019 mit Erich Brodbeck unter dem Titel „Erlebnisse in der Kriegszeit“ veröffentlicht. Der 2022 verstorbene Erich Brodbeck (Jahrgang 1932) schildert darin eindrücklich, was eine Kindheit und Jugend während der NS-Zeit bedeutete und wie das Regime auf die Familien und das tägliche Leben Einfluss nahm.

Nicht nur Gebäude, sondern auch Einrichtung sind verschwunden

Ein Thema, das den Vorsitzenden der Historischen Gesellschaft und ehrenamtlichen Heimatforscher seit Jahren umtreibt, wird in den aktuellen Ganerbenblättern auf 22 Seiten dokumentiert und betrachtet: abgebrochene Gebäude in Bönnigheim. „Was ist los in Bönnigheim?“, fragt Sartorius im Vorwort der insgesamt 72 Seiten umfassenden Jahresbroschüre. In der Stadt habe es ein Krankenhaus gegeben, das geschlossen worden sei. Es habe dort einen Notar gegeben, der nach Kirchheim gezogen sei. Ebenso habe es ein WLZ-Lagerhaus gegeben, das nach Löchgau verlegt worden sei. Auch die Polizeistation sei nach Kirchheim verlegt worden. „Und unsere Strombergkellerei soll geschlossen werden und nach Brackenheim gehen“, listet er auf und fragt: „Geht die Entwicklung an Bönnigheim vorbei?“

Für den Vorsitzenden des Bönnigheimer Geschichtsvereins und ehrenamtlichen Leiter des Museums im Steinhaus ist klar, dass eine Stadt ihr Aussehen verändert. Dass dabei viel an Geschichte und Atmosphäre verloren gehe, das sei leider so. Der Stadtkern Bönnigheims habe am Kriegsende, am 7. April 1945, durch französische und deutsche Artillerie fast 50 Gebäude verloren, erklärt Sartorius: „Aber wir sind erstaunt, wie viele Gebäude seither noch abgebrochen wurden, um neuen Platz zu machen.“ In dieser Zeit sei etwa das Dreifache abgebrochen worden. „Darunter waren auch wertvolle, stadtbildprägende Gebäude. Wenn die Abbruchgeschwindigkeit so weitergeht, kann man ausrechnen, wann es in Bönnigheim keine historischen Gebäude mehr gibt“, befürchtet der Kenner der Stadtgeschichte.

„Gäste kommen zur Stadtführung wegen unseres historischen Stadtbildes, und nicht, um sich moderne Gebäude anzusehen“, sagt er als jahrzehntelanger Stadtführer in Bönnigheim. Sartorius ist sich bewusst, dass Gebäude manchmal heutigen Anforderungen nicht mehr gerecht werden,. Nach seiner Einschätzung sollte aber nicht nur wirtschaftliches Denken im Vordergrund stehen. Diese Gebäude hätten oftmals über Jahrhunderte das Stadtbild geprägt und „wurden nun durch ein geschichts- und gesichtsloses Aussehen ersetzt“. Als Beispiel nennt Sartorius die südliche Bebauung der Michaelsbergstraße. Die neuen Gebäude auf der Südseite der Michaelsbergstraße hätten nichts mit dem ausdrucksstarken Stadtbild einer historischen Stadt gemeinsam. „Ortsbilder und historische Stadtkerne sind unverwechselbare Kennzeichen einer Kulturlandschaft. Sie sind identitätsstiftend, auch für zukünftige Generationen“ betont er.

Akribische Liste mit 155 abgerissenen Häusern

In der aktuellen Ausgabe der Ganerbenblätter wird eine Liste mit 155 nach Kriegsende abgerissenen Gebäuden veröffentlicht. Sartorius: „Vermutlich ist sie nicht ganz vollständig, und von allen Gebäuden haben wir auch keine Fotos. Manchmal ist es schwer zu unterscheiden, ob ein Gebäude umgebaut oder abgebrochen und neu aufgebaut wurde. Natürlich können wir nicht alle abgebrochenen Gebäude abbilden.“

Am Ende seines Aufsatzes geht er auf drei Gebäude ein, „welche zwar noch stehen, deren Zukunft aber sehr ungewiss ist.“ Die 1948 erbaute Genossenschaftskelter am Burgplatz. Für Sartorius ist sie ein stadtbildprägendes Gebäude und Zeugnis der Bönnigheimer Weingeschichte. Sie spiegele die Nachkriegszeit wider. Kein anderes Nachkriegsgebäude habe „eine auch nur annähernde architektonische Qualität“. Sie war bis 1972 Mittelpunkt der Weingärtnergenossenschaft. Auch die Schillerschule von 1950 gehört für ihn zu den Gebäuden mit ungewisser Zukunft. Nach dem Krieg errichtet, hätten viele Bönnigheimer Kinder ihre erste Schulbildung hier erfahren. Erst kürzlich habe die Stadt viel Geld in Fluchtwege investiert.

Auch das evangelische Gemeindehaus, das 1954 eingeweiht wurde, ist für Sartorius ein Gebäude mit einem guten baulichen Zustand, ohne große Gebäudeschäden. „Es will mir nicht einleuchten, dass es heute nicht möglich ist, diese Gebäude thermisch und technisch so zu ertüchtigen, damit sie auch heutigen Anforderungen gerecht werden. Diese Gebäude wurden mit einem großen Aufwand im traditionellen Stil des 20. Jahrhunderts errichtet“, sagt er.

Sein Resümee ist bemerkenswert: „Wenn manche der abgebrochen Gebäude in Bietigheim gestanden wären, würde es keine Diskussion um den Erhalt geben. Was für ein tolles Stadtbild hat Bietigheim heute. Denken sie an unser Ratsstüble. Auch dieses stand zum Abbruch. Nur durch Eberhard Bürger wurde es erhalten und ist heute ein Schmuckstück für die ganze Stadt.“

 
 
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