Boogie-Woogie-Konzert im Bietigheimer Kleinkunstkeller Taktvoller Übergang zur Viruspause

Von Heike Rommel
Wenig Publikum, beste Stimmung: Boogie-Woogie-Konzert mit Frank Muschalle (Piano) und Stephan Holstein.⇥ Foto: Martin Kalb

„Hören Sie Musik“ rieten Frank Muschalle (Klavier) und Stefan Holstein (Saxophon, Klarinette) am Freitagabend im Kleinkunstkeller.

Kurz vor der Coronavirus-Pause haben es noch zwei europaweit bekannte Musiker in den Bietigheimer Kleinkunstkeller geschafft: Frank Muschalle am Flügel und Stefan Holstein am Saxophon und an der Klarinette kamen mit einem Boogie-Woogie an, der das geschmälerte Publikum kaum auf den Stühlen hielt. Es war richtig heimelig mit den beiden gebürtigen Schwaben und Wahlbayern, die instrumental und emotional rüber brachten, was ein Benny Goodman Ende der 1920er-Jahre empfunden haben muss. Zu einer Zeit, in der sein Swing so weiter entwickelt wurde, dass etliche Zuhörer in der New York Carnegie Hall auf die Kronleuchter kletterten.

Kronleuchter gibt es ja im Kleinkunstkeller bekanntlich keine, aber Schwung kam mit Frank Muschalle featuring Stefan Holbein allemal in die Bude. Die Musiker verstanden es, das nicht gerade zahlreich erschienene Publikum mit Stücken von den ganz Großen des Boogie-Woogie wie Meade Lux Lewis, Albert Ammons oder Sonny Thomson für einen Abend nicht mehr an Corona denken zu lassen. Sie spielten verstärkt und brauchten nicht einmal ein Mikrophon vor den wenigen Leuten. Dafür war die Atmosphäre umso vertrauter.

Wie im guten alten Chicago

Muschalle und Holstein stiegen mit einem Swing ein, aus dem der Boogie-Woogie bekanntlich entstanden ist. Der Titel ließ ahnen, wie die beiden im Tempo noch zulegen. Den Boogie-Woogie spielte der Pianist dann unter großen Sprüngen auf der Klaviatur mit fliegenden Fingern, worüber der Saxophonist frei improvisierte. Für ihn war das Boogie-Woogie-Tempo mit Blasinstrument eine große Herausforderung, die er so brillant meisterte, dass es immer wieder Zwischenapplaus gab.

Ein Pianist wie ein Dampfzug

Bei „Clan! Clan! Clan!“ von Sonny Thomson konnte das Publikum die Füße nicht mehr still halten und an den Stühlen vor der Bühne wippten die Fußspitzen in Barstimmung wie im guten alten Chicago. Muschalle holte anschlagstechnisch von weit oben aus und Holstein machte die Sache mit Tremoli rund.

Am „Honky Tonk Train Blues“ aus 1920 in der Version von 2020 spielte Muschalle Piano solo „Musik von Schwarzen für Schwarze“. Auf den Tasten mimte er den Dampfzug der afroamerikanischen Eisenbahnarbeiter, indem er mit der linken Hand die Riffs so fundamental legte, dass er mit der rechten Hand originelle Off-Beat-Figuren zeichnen konnte. Pee Wee Russel, Chicago-Jazz-Klarinettist der ersten Stunde, ließ die Musiker den Kleinkunstkeller in eine Gangsterkneipe verwandeln. Pee Wees Blues kam so richtig aus dem Bauch heraus. Klavier und Klarinette sprangen so gut aufeinander an, dass anerkennende Rufe aus dem Publikum kamen.

Dass sie auch schöne Balladen drauf haben, stellten Muschalle/Holstein bei Charlie Palmieris „Take me in your Arms“ unter Beweis, allerdings nicht ohne heißen kubanischen Einschlag.

Der „King of Swing“ lässt grüßen

Eine legendäre Houserentparty, bei der von armen Menschen Eintritt für Musik genommen und hinterher die Miete damit bezahlt wurde, feierten Frank Muschalle und Stefan Holstein obendrein im Kleinkunstkeller. „In den nächsten Wochen hätten wir noch Termine frei“, scherzten sie über die virusbedingt abgesagten Kulturveranstaltungen und vergaßen dabei nicht, die Kulturamtsmitarbeiter der Stadt Bietigheim-Bissingen für ihre einfühlsame Organisation von Konzerten mit dem Cowcow-Blues von Hersal Thomas zu loben.

Eine musikalische Verbeugung in moll machten sie vor Teddy Wilson, bekannt geworden durch seine Zusammenarbeit mit dem „King of Swing“ Benny Goodman. Mit dem Klarinettenkönig haben Muschalle und Holstein übrigens etwas gemeinsam: Ersterer lernte sein Handwerk auf einem Ausflugsdampfer in Chicago und letztere trafen sich auf einem Kreuzfahrtschiff, wo sie lieber zusammen musizierten als an Deck zu flanieren. Der Keller tobte als Holstein auch noch zu singen begann. Die Zuhörer wollten das Duo bis zu dem äußerst verspielten Boogie „Petite Fleur“, aus dem Woody Allen-Film „Midnight Paris“ nicht mehr gehen lassen.

 
 
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