Bosch-Schließung in Bietigheim-Bissingen Betriebsrat bittet Regierung um Hilfe

Von Frank Ruppert
Dem Produktionsstandort Bietigheim von Bosch Automotive droht die Schließung. Künftig soll dort vermehrt auf Entwicklung gesetzt werden. Foto: Martin Kalb

In einem offenen Brief kritisiert der Bietigheimer Betriebsrat Bosch für die Schließung und wendet sich ans Land. Bosch weist den Vorwurf zurück, der Stellenabbau sei aus dem Nichts gekommen.

Knapp eine Woche nachdem bekannt wurde, dass Bosch Ende 2021 die Produktion Automotive Steering (AS) in Bietigheim-Bissingen schließt (die BZ berichtete), hat sich nun der Betriebsrat in einem offenen Brief an Ministerpräsident Winfried Kretschmann und das Wirtschaftsministerium Baden-Württembergs gewandt. „Wir möchten mit diesem Brief nicht nur auf die 290 Familien aufmerksam machen, die sich jetzt Sorgen um ihre finanzielle Zukunft machen müssen. Es geht uns auch um die Zukunft des Produktionsstandorts Baden-Württemberg“, schreibt der Betriebsratsvorsitzende Vincenzo Basile. Mitunterzeichner sind neben zwei weiteren Betriebsräten auch Matthias Fuchs, Geschäftsführer der IG Metall Ludwigsburg/Waiblingen.

Das Beispiel in Bietigheim-Bissingen zeige, dass man sich Sorgen machen müsse. „Baden-Württemberg droht nach der Corona-Krise kein relevanter Produktionsstandort mehr zu sein“, heißt es in dem Brief.

Es habe Anfang der Woche Betriebsversammlungen gegeben, erklärt Basile auf BZ-Anfrage: „Die Kollegen sind mehr als sauer.“ Die überraschende Mitteilung der Schließung habe vielen zugesetzt, auch weil man gerade von Bosch als Arbeitgeber anderes erwarte. Basile selbst arbeitet seit fast 44 Jahren am Standort in Bietigheim. „Erst für ZF und dann für Bosch nach der Übernahme. Ich hätte mir nie träumen lassen, kurz vor dem Ruhestand noch einmal so etwas durchmachen zu müssen“, sagt der Arbeitnehmervertreter.

Anfang Juli geht es in Klausur

Im Juli wolle der Betriebsrat mit Gewerkschaftsvertretern in Klausur gehen, um die weiteren Schritte zu besprechen. Man habe viele Ideen für die Zukunft des Standorts. „Unsere Region besteht nicht nur aus Ingenieuren, sondern auch aus Facharbeitern oder Angelernten. Für die muss man auch etwas tun“, fordert Basile. Deshalb habe man sich nun zu dem Schritt mit dem offenen Brief entschieden.

Darin heißt es weiter, dass das Beispiel in Bietigheim zeige, wie Unternehmen die Umstände der Corona-Krise ausnutzten, um Standorte zu schließen. So seien dort konkrete Planungen über die Produktionsstilllegung verdeckt gehalten worden und ohne vorherige Information des Betreibsrats der gesamten Belegschaft und Öffentlichkeit verkündet worden. „Die Arbeitnehmervertreter wurden in Bietigheim mit einem Perspektiven-Dialog so lange hingehalten, bis sich für die Unternehmensleitung ein geeigneter Zeitpunkt ergab, um die Schließung des Produktionsstandorts möglichst geräuschlos einzuleiten“, lautet der Vorwurf.

Die Arbeitnehmervertreter schließen den Brief mit Bitten an die Landesregierung: Diese solle sich dafür einsetzen, dass das Land ein Produktionsstandort bleibt. Außerdem sollen Kretschmann und Co. dafür eintreten, dass gesetzliche Vorschriften am Standort Bietigheim eingehalten werden. Damit spielen sie auf den aus ihrer Sicht erfolgten Verstoß gegen das Betriebsverfassungsgesetz an, weil Wirtschaftsausschuss und Betriebsrat vorab nicht informiert waren. Im dritten Punkt fordert der Betriebsrat, dass sich die Regierung dafür stark macht, dass Bosch mit ihm über das Ob der Schließung verhandelt.

Am Mittwochnachmittag reagierte Bosch auf Vorwürfe der Arbeitnehmerverteter: „Der Umbau des Standorts Bietigheim zu einem Entwicklungsstandort und die schwierige wirtschaftliche Lage der dortigen Fertigung sind seit Jahren ein Thema“, sagt Hanns Bernd Ketteler, Mitglied der Geschäftsführung der Robert Bosch Automotive Steering GmbH. In vielen Betriebsversammlungen habe man das immer wieder offen besprochen. „Wir haben zahlreiche Versuche gemeinsam mit den Arbeitnehmervertretern unternommen, mit der Fertigung am Standort wieder wirtschaftlich zu werden. Wir haben intensiv nach Produkten gesucht, die in Bietigheim wirtschaftlich gefertigt werden können – jedoch erfolglos“, so Ketteler weiter.

Bosch weiter gesprächsbereit

Von Unternehmensseite sei man weiter gesprächsbereit. Man wolle die Vermittlung von Mitarbeitern an andere Bosch-Standorte und benachbarte Unternehmen, wie dies in der Vergangenheit schon unterstützt wurde, fortsetzen. Die Corona-Krise sei für die Entscheidung nicht ausschlaggebende gewesen, der Umbau in Bietigheim sei eine langfristie strukturelle Maßnahme. „Bietigheim kann durch den frühzeitig eingeleiteten Umbau zum Entwicklungsstandort als ein wichtiger Zukunftsstandort der Bosch-Gruppe fortgeführt werden“, stellt Ketteler in Aussicht. Überhaupt habe das Unternehmen in den vergangenen Jahren 20 Millionen Euro in den Standort Bietigheim investiert. „Rund 270 Arbeitsplätze in der Entwicklung konnten so am Standort angesiedelt werden, zirka 190 mehr als ursprünglich geplant. Einen weiteren Ausbau prüfen wir derzeit“, erklärt Ketteler weiter.

Wirtschaftsministerium steht im Austausch mit Bosch wegen Bietigheim

Am Mittwochnachmittag reagierte das Wirtschaftsministerium auf den offenen Brief: „Ich bedaure außerordentlich die Ankündigung der Schließung des Produktionsstandorts von Bosch in Bietigheim für den Bereich Lenksysteme und den Verlust der Arbeitsplätze. Mit den Vertretern von Bosch befinde ich mich im Austausch“, erklärt Wirtschaftsministerin Nicole Hoffmeister-Kraut.

Wenn die Schließung nicht mehr verhindert werden könne, müssten sozialverträgliche Lösungen ohne Kündigungen gefunden werden. Die Entwicklungs- und Forschungseinheit am Standort Bietigheim müsste weiter gestärkt werden, so die Ministerin. Daraus könnten sich für einen Teil der Belegschaft Perspektiven für eine Weiterbeschäftigung ergeben. „Die aktuellen Auswirkungen der Corona-Krise treffen Unternehmen in der Automobilbranche, die sich ohnehin in einem schwierigen Transformationsprozess befinden, in besonderem Maße“, deshalb werde die Regierung alles für den Erhalt des Produktionsstandorts Baden-Württemberg und für neue Zukunftstechnologien im Land tun.

„Es überrascht mich, dass nach Angaben der Arbeitnehmerseite über die geplante Schließung anscheinend nicht rechtzeitig und offen mit den Beschäftigten gesprochen wurde. Gerade bei einem so wichtigen Arbeitgeber in unserer Region würde mich dieses Verhalten erstaunen“, sagt Hoffmeister-Kraut.

In der betrieblichen Mitbestimmung sei das eigentlich ausdrücklich geregelt. Nach ihrem Grundverständnis sollten Unternehmensleitung und Betriebsrat vertrauensvoll zusammenarbeiten. „Ich gehe davon aus, dass die bereits getroffenen und neu zu treffenden betrieblichen Vereinbarungen von allen Beteiligten in gutem Konsens vereinbart werden und in einer sozialverträglichen Umsetzung vorgenommen werden können“, schließt die Stellungnahme von Ministerin Hoffmeister-Kraut.

Das sagt die Stadt zur Schließung

„Die Stadt bedauert die geplante Schließung der Produktion und den Wegfall der rund 300 Arbeitsplätze“, teilt Sprecherin Anette Hochmuth auf BZ-Anfrage mit. OB Jürgen Kessing sei kurz vor Veröffentlichung der Pressemitteilung des Unternehmens über die Schließungsabsichten informiert worden. „Eine Gelegenheit zur Vermittlung zwischen Betriebsrat und Arbeitgeber bestand daher nicht“, so Hochmuth weiter.

Die Stadt tue generell viel, um den hiesigen Unternehmen gute Rahmenbedingungen zum Arbeiten zu bieten. Dazu gehörten niedrige Steuerhebesätze ebenso wie das Bemühen um ausreichend Gewerbeflächen und eine gute Infrastruktur. Allerdings könne die Stadt einzelne Unternehmensentscheidungen nicht direkt beeinflussen.

 

 

 
 
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