BZ-Sommerserie: Bönnigheim im Wandel der Zeit Mit Amann kommt die Industrialisierung

Von Jürgen Kunz
Noch heute wird die Bönnigheimer Altstadt überragt von der „im Gemming’schen Viertel gelegenen Pfarrkirche, ein sehr ansehnliches, massives, dreischiffiges Gebäude, das übrigens durch spätere Veränderungen verunstaltet wurde“, wie es in der Oberamtsbeschreibung von 1853 heißt.⇥ Foto: Werner Kuhnle

Die Bevölkerungszahl in Bönnigheim hat sich in den vergangenen 150 Jahren mehr als verdreifacht. Damals bäuerlich geprägt, gibt es heute 662 Gewerbebetriebe.

Auf einer freien, ackerreichen Ebene, aus der sich gegen Westen die östlichen Ausläufer des Strombergs erheben, hat der Ort eine angenehme, gesunde Lage am Saume des Zabergaus und gewährt, namentlich von der Südseite gesehen, mit seinem hohen Kirchthurm und dem Schloß im Vordergrunde einen schönen Anblick.“ An dieser Betrachtung Bönnigheims aus der Oberamtsbeschreibung Besigheim aus dem Jahr 1853 hat sich aus heutiger Sicht wenig geändert, ganz im Gegensatz zu der Einschätzung „Die aus Holz, häufig auf steinernem Unterstock erbauten Gebäude, sind mit Ausnahme der öffentlichen, meist klein und minder ansehnlich; die wenig reinlichen Ortsstraßen sind durchgängig macadamisirt und außer den beiden Hauptstraßen meist enge und winkelig.“ Doch wie hat sich das Landstädtchen an der Nordgrenze des Landkreises Ludwigsburg in den vergangen 150 Jahren noch verändert? Dies ist Thema des ersten Teils der BZ-Sommerserie „Der Jahrhundert-Check“.

Nur zwölf Katholiken

2536 Einwohner hatte Bönnigheim im Jahr 1853. Besonders bemerkenswert für die Oberamtsbeschreibung war die Tatsache, dass gerade einmal ein Dutzenden Katholiken darunter waren, die nach Stockheim im Oberamt Brackenheim eingepfarrt waren. Mehr als verdreifacht hat sich seither die Bönnigheimer Bevölkerung auf rund 8150 (Stand: 2019). Die heutige Kirchengemeinde Heilig Kreuz Bönnigheim ist nicht deckungsgleich mit der Stadt Bönnigheim, ihr gehören 3157 Katholiken an. Diese teilen sich auf: 1347 in Bönnigheim, 138 in Hofen, 93 in Hohenstein und 1029 in Kirchheim.

Auffällig ist, dass sich die Zahl der evangelischen Gemeindeglieder seit rund 150 Jahren nur unwesentlich auf 2971 in Bönnigheim mit Hofen und 217 in Hohenstein erhöht hat.

Die Zahl der jährlichen Geburten belief sich laut Oberamtsbeschreibung nach dem Durchschnitt der Jahre von 1836 bis 1846 auf 95,3 (51,4 männlich, 43,9 weiblich), gestorben sind in diesem Zeitraum jährlich 73,6 Personen, so dass die Bevölkerung jährlich um durchschnittlich 22 Personen wuchs. Fast halbiert hat sich das Bevölkerungswachstum nach den aktuellen Zahlen des Statistischen Landesamts: So gab es 2018 gerade einmal 13 Bönnigheimer mehr im Vergleich zum Vorjahr: 69 Geburten standen 56 Sterbefälle gegenüber. Der Zensus 2011 weist in Bönnigheim knapp 3000 Haushalte aus, in denen durchschnittlich 2,4 Personen leben. 1849 gab es in 531 Familien mit 4,6 Angehörigen.

662 gemeldete Gewerbetriebe in 313 verschiedenen Branchen nennt das städtische Ordnungsamt aktuell. Vor 150 Jahren beschränkte sich das örtliche Gewerbe, mit Ausnahme einer Pottaschensiederei und einer Ziegelhütte, auf die für den örtlichen Bedarf arbeitenden Handwerker. So gab es 22 Schumacher, 13 Metzger, 13 Leinenweber, neun Küfer und Kübler, neun Schneider, sieben Bäcker sowie jeweils sechs Wagner und Schreiner. Außer diesen „mechanischen Künstlern und Handwerkern“, wie es in der Oberamtsbeschreibung heißt, gab es im Ort vier Schildwirtschaften, eine Speisewirtschaft und sechs Kaufleute. „Bierbrauerei ist nur eine vorhanden, dagegen werden sechs Branntweinbrennereien betrieben“, heißt es weiter. 1900 zählte man sogar neun Schnapsbrennereien. Wohl auch ein Grund dafür, dass das erste Schnapsmuseum in Deutschland in der Stadt vor einem Vierteljahrhundert eröffnet wurde.

Beginn der Industrialisierung

Ein Jahr nach Erscheinen der Oberamtsbeschreibung, im Jahr 1854, gründeten Alois Amann und der Stuttgarter Kaufmann Imanuel Böhringer eine Nähseidenfabrik, zu einem Zeitpunkt, als in dem kleinen Städtchen am Rande des Strombergs das industrielle Zeitalter noch nicht angekommen war. Das Unternehmen entwickelte sich rasant. Es wurde in modernste Technik investiert, drei Jahre nach Gründung beschäftigte „Amann & Böhringer“ bereits 100 Mitarbeiter. 1882 verließ Böhringer das Unternehmen, das nun als „Amann & Söhne“ firmierte. Im Jahr 1965 arbeiteten rund 1000 Arbeiter in Bönnigheim „beim Amann“, Ende 1999 wurde die letzte Maschine angehalten und die Produktion nach Irland verlagert. Von 630 Arbeitern und Angestellten blieben 290 in Bönnigheim und im Zentrallager in Erligheim.

Und trotzdem prägte der Name „Amann“ weiter die Entwicklung der Stadt, durch das soziale Engagement in der Vergangenheit und die enge Verbindung zu Bönnigheim von Alfred Amann (und seinen Nachfolgern), der früh eine Betriebskrankenkasse installierte, aber vor allem zwei Schulen, die noch heute genutzte Turn- und Festhalle und ein öffentliches Schwimmbad stiftete.

Die Stadt hat sich als Schulstandort etabliert. Im Schuljahr 2018/19 besuchten 263 Kinder die Grundschulen, 23 die Hauptschule/Werkrealschule, 614 Schüler waren auf der Sophie-La-Roche-Realschule und 540 besuchten das Alfred-Amann-Gymnasium. Vor 150 Jahren nennt als „öffentliche Schulanstalten“ die Oberamtsbeschreibung, „eine lateinische Schule, an der ein Präceptor unterrichtet, fünf deutsche Schulen mit zwei Lehrern, einem Unterlehrer und zwei Lehrgehilfen; seit 1829 besteht eine Industrieschule für Mädchen unter der Leitung einer besonderen Lehrerin und seit 1850 eine Kleinkinderschule, welche von freiwilligen Beiträgen unterhalten wird. Eine Privat-Erziehungsanstalt für Knaben wurde im Jahr 1834 von dem dermaligen Diakonus Dr. Hahn und einigen Particuliers von Bönnigheim errichtet; der Unterricht an derselben umfaßt: die älteren und lebenden Sprachen, Religion, Geschichte, Geographie, Arithmetik, Geometrie. Die Anstalt, welche sich bald, sowohl im In- als auch im Auslande, eines bedeutenden Rufs erfreute, steht unter dem Königl. Studienrath und wird jedes Jahr durch das Dekanatamt Besigheim visitirt.“

Natürlich hat sich die Kommunikation in den vergangenen 150 Jahren komplett verändert. 1850  sorgten eine Postexpedition (ohne Stall), bei der jeden Abend die Post ankam und jeden Morgen wieder abging, für briefliche Verbindungen. Von zwei fahrenden Boten fuhr einer jeden Samstag nach Stuttgart, der andere jeden Mittwoch und Samstag nach Heilbronn. Ein Amtsbote ging täglich in die Oberamtsstadt.

Sommerserie In einer Reihe von Artikeln unter dem Titel „Der Jahrhundert-Check“, die jeweils in der Samstagsausgabe erscheinen, beschäftigt sich die BZ-Redaktion mit der Entwicklung der Städte und Gemeinde im Verlauf der letzten 150 Jahre.

 
 
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