Champions-League-Final-Four Braiger auf Reisen: Ein Tagebuch aus Budapest

Von Niklas Braiger
Ein würdiger Abschied für die SG BBM Bietigheim. Mit Silber belohnen sie sich nach einem zehrenden Wochenende. Foto: /Marco Wolf

In diesem Tagebuch erzähle ich – Sportredakteur Niklas Braiger – von all dem drum und dran rund um das Champions-League-Final-Four. Über die nächsten Tage hinweg gibt es hier immer wieder Neues zu lesen.

Montag, 3. Juni 2024

Unausgeschlafen und müde geht es für mich heute aus dem Bett. Um 5 Uhr klingelt der Wecker. Ja, gestern habt ihr keine Updates mehr von mir bekommen, das tut mir auch ehrlich Leid, aber gestern war einfach zu viel. Erst das Spiel um Platz drei, bei dem Esbjerg seine erste CL-Medaille in der Vereinsgeschichte holt. Drei Stunden später ein Mix aus Enttäuschung und Stolz, auch bei mir. Die SG hat gerade das Finale gegen Györ verloren, aber unsere Herzen gewonnen. Im MVM Dome herrschte eine brutale Stimmung, die ich so noch nie erlebt habe. Am Ende gewinnen die Magyarinnen verdient mit 30:24 und dennoch feiert Bietigheim mit den Fans. In der Mixed-Zone warte ich auf die Spielerinnen, als Anne With in den Gang kommt, die Medaille um den Hals, den Kopf leicht gesenkt. Als sie mich aus der Ferne sieht, symbolisiere ich ihr, dass das Edelmetall um den Hals gut aussieht. Sie zeigt mir nur an: „So knapp war es.“ Scheiß egal, gefeiert wird trotzdem. Zurück im Hotel setze ich mich zu Gerit Winnen, dem Sportdirektor der SG. Mit ihm gibt es dieses Mal kein Feierabendbierchen, sondern ein Feierbierchen, um das ganze etwas sacken zu lassen. Wir beide können es noch kaum glauben, was da eben passiert ist. Irgendwann kommt Antje Döll mit in die Lobby, es werden immer mehr Spielerinnen, die Party nimmt ihren Lauf – das bleibt aber alles geheim.

Am nächsten Morgen sieht man die Nachwehen der durchzechten Nacht. „Laui“, wie Antje Döll genannt wird, sagte am Vorabend noch klar: „Bitte vergesst mich nicht.“ Tatsächlich tun wir das nicht, wobei sie ziemlich verklebt aussieht und nicht ganz anwesend wirkt – morgens um kurz vor 6 Uhr nach kaum bis kein Schlaf ist ihr das aber nachzusehen. Manche sind mental noch nicht ganz da, aber einer ist sogar überhaupt nicht da, physisch gesehen: Natürlich mal wieder einer der Physios. Dominic „Adalbert“ Boensch, so wurde er am Samstag neu getauft (fragt nicht, wir hatten es von Zweitnamen), hat wie bereits Kollegin Burghardt am Donnerstag verschlafen und verpasst den Mannschaftsbus. Im Gegensatz zu Burghardt schafft er es aber noch rechtzeitig, den Flug zu erwischen, tatsächlich ist er sogar gleichzeitig mit mir und dem Team am Flughafen. Er hatte das Glück, dass die Schiedsrichterinnen vom Finale am Abend davor parallel mit einem EHF-Shuttle an den Flughafen mussten und er freundlicherweise mitfahren durfte.

Dort angekommen wacht nicht nur die Welt, sondern auch das Team so langsam auf. Mit den ersten drölf Kaffees in der Kralle geht es ans Gate und in die Lüfte. Bei einem Kontrastprogramm zum Donnerstag fliegen wir dieses Mal bei wohligen 17 Grad und gutem Wetter los und landen in Stuttgart bei grauen Wolken und Herbst-Feeling, da war die Ankunft in Budapest in dem Punkt schöner. Einen fast schon irrwitzigen Dreh bekommt die Heimreise aber erst, als wir den Bus sehen, der uns aus Stuttgart nach Bietigheim befördert. Wo alle mit dem normalen schwarzen Mannschaftsbus der Frauen gerechnet haben, steht plötzlich der dunkelblaue Bus der Männer mit der großen Aufschrift „Handball Hochburg Bietigheim“ – latent dekadent und ab jetzt ja auch nicht mehr passend, die SG-Frauen ziehen ja nach Ludwigsburg, nicht war Herr Kessing? „Die anderen beiden Busse waren irgendwie nicht verfügbar“, erzählt uns der Busfahrer, wer auch immer sich da einen Scherz erlaubt hat, ist bestimmt nur neidisch auf das Edelmetall.

Als gefühlt einziger im Bus bin ich dann eingeweiht, dass ein paar Fans sich vor der Halle am Viadukt versammelt haben, um die Mannschaft zu empfangen. Also schicke ich schnell einem der Trommler einen Live-Standort, damit er schauen kann wo wir sind. Kurz vor der Halle dann die Frage, ob wohl OB Kessing auch da sei. UTOPIE! Was denken wir denn auch, das wäre ja zu schön gewesen. Eine Handvoll sind vor Ort, zünden endlich die zuvor so schmerzlich vermisste Pyrotechnik – die immer noch kein Verbrechen ist – und bestaunen die Silbermedaillen. Ich bin am Ende einfach nur froh, dass mein Auto noch an Ort und Stelle steht und nicht von Hochwasser weggeschwemmt wurde – wobei, so ein Aquarium auf Rädern wäre auch mal schick.

Damit ist dieses Kapitel für mich offiziell abgeschlossen. Mittlerweile sitze ich wieder in der vertrauten Redaktion. Ich möchte mich mit diesen abschließenden Worten des Tagebuchs bei denjenigen bedanken, die meine semi-geistig-kreativen Hirnrisse tatsächlich gelesen und eventuell stellenweise sogar für witzig befunden haben und auch bei allen, die nette Nachrichten über die Berichterstattung an mich geschickt haben. Das ganze auf Social Media und hier online zu begleiten war ein Heidenspaß, aber auch ein Heidenstress. Auch in der Arena haben mich einige angesprochen, dass bedeutet mir viel. Ich grüße meine Mama, meinen Papa und ganz besonders meine Eltern. Habe die Ehre, bis bald. Braiger out.

Sonntag, 2. Juni 2024

Ausgeschlafen und fit stehe ich... okay reicht jetzt, beim dritten Mal wird das ganze nicht witziger. Leider hat mich gestern Abend das Internet im Hotel im Stich gelassen, weshalb ich euch nicht sofort von den Feierlichkeiten nach dem gewonnenen Halbfinale gegen Metz erzählen konnte. Wenn ich das hier gerade so schreibe wird mir noch mal klar, dass die SG heute einfach im Finale steht. Da ist alles drin, die Karten sind neu gemischt. Wie heftig ist das bitte? Aber da es gestern keine Gute-Nacht-Geschichte für euch gab, dann heute ein kleiner Recap des Abends. Das Ende vom Lied aus dem Auszug vom Samstag war ja das Györ-Esbjerg-Spiel. Vor dem zweiten Halbfinale war noch etwas Zeit um mit den SG-Verantwortlichen zu quatschen und sich etwas zu trinken zu holen. Erneut startet die Show mit einer Tanz-Crew, die Mannschaften kommen rein und ab geht die wilde Fahrt. Gabriela Moreschi kann sich nach dem Halbfinale übrigens dem Karriereweg von Sandra Toft anschließen, vielleicht wäre eine Zaubershow im Stile der Ehrlich Brothers was ganz interessantes. Die „Gelbe Wand“, die leider in rot spielen muss, weil Metz’ Heimtrikots schon gelb sind, nimmt 16 Würfe weg, davon einige freie und wichtige.

15 Minuten zu spielen, die SG ist erstmals mit vier Toren vorne. Aber im Handball ist das noch viel Zeit, um zu verlieren, wer ein mal ein Spiel geschaut hat, weiß, wie schnell das kippen kann. Dann sind es plötzlich fünf und sogar sechs Tore Abstand, nur noch ein paar Minuten bis zum Schlusspfiff. Reicht das wirklich? Einfach nur überleben. Derweil orakle ich im Spielbericht schon vorsichtig und schreibe die Überschrift, dass die SG gegen Metz gewinnt – natürlich gefährlich, ich will es ja nicht verschreien. Doch die Minuten und Sekunden ticken runter. Mittlerweile habe ich es nicht länger auf der Pressetribüne ausgehalten, da sitzen ja sonst fast nur Spießer, die kaum mitgehen. Ich stehe im Fanblock der SG, die letzten Sekunden laufen ab. Eskalation! Auf dem Platz und der Tribüne brechen alle Dämme. Xenia Smits und Antje Döll liegen sich weinend auf dem Boden in den Armen. Teile der Lady Drummer sind emotional voll mit dabei. Auch ich kann meine Freude nicht verstecken und raste aus. Dann geht es für mich ans schreiben und heimfahren. Groß gefeiert wird ja nicht, in weniger als 24 Stunden steht schon das nächste Match an, gegen Györ im Endspiel um 18 Uhr.

Mittlerweile habe ich eine Nacht darüber geschlafen, wir sind wieder in der Gegenwart am Sonntag früh um halb zehn (ich hätte also noch Zeit für Frühstück) und ich kann es noch immer kaum glauben, dass ich hier bin und das miterleben durfte/darf. Ein wahnsinniger Kampf, der belohnt wurde. Doch wie hat es Kobe Bryant es 2009 bei den NBA-Finals sagte: „Job’s not finished! Job finished? I don’t think so!“ (Auf deutsch: „Die Arbeit ist noch nicht getan. Ist die Arbeit getan? Ich denke nicht.“)

Falls ihr euch übrigens fragt, was das Team so die ganze Zeit macht, da kann ich euch keine genaue Antwort geben. Manche sind bei Anna-Christina Burghardt oder Dominic Boensch, um sich auf dem Physiotisch ordentlich durchkneten zu lassen. Andere chillen mit Landsfrauen von anderen Teams in der Lobby und quatschen. Das Keeper-Duo sitzt gerne mal in der Lobby bei Torwart-Trainerin Jasmina Rebmann-Jankovic und schauen sich Videoszenen an. Natürlich steht auch für die SG teilweise noch ein Training an, aber am Sonntag nicht mehr. Da liegt der volle Fokus auf der Regeneration. Die Trainer wuseln in gewohnter Manier durch das Hotel und arbeiten an der Taktik für die Spiele. Inzwischen sitze ich schon wieder im Media Center des MVM Domes und schreibe ein paar Zeilen. Zu diesem Zeitpunkt geht in zwei Stunden das Spiel um Platz drei los, was ich mir natürlich nicht entgehen lasse.

Samstag, 1. Juni 2024

Ausgeschlafen und fit stehe ich auf, es ist 10 Uhr, das heißt, dass ich das Frühstück verpasst habe. Völlig egal, tue ich sowieso sonst auch nicht. Mit der ersten Amtshandlung des Tages geht es tatsächlich direkt an die Spielstätte, den MVM Dome... Moment... Hatten wir das nicht gestern schon genauso? Egal, denn Recycling ist ja auch etwas gutes. Zusammen mit Fotograf Marco Wolf geht es per Shuttle-Service an die Spielstätte. Warum so früh, fragt ihr euch? Das erste Spiel beginnt ja erst um 15 Uhr. Tja, einerseits muss Kollege Schnürschuh als Fotograf schon früher vor Ort sein, um sich einem intensiven Briefing zu unterziehen. Da ich nicht mit im Mannschaftsbus mitkomme, weil ich ja Presse bin und nicht die gleiche Akkreditierung habe, wie das Team, nutze ich also diese Chance, um für umme zur Halle zu kommen und nicht für ein Taxi oder den ÖPNV zahlen zu müssen. Andererseits ist um 14 Uhr ein Protestmarsch in der Hauptstadt angekündigt, der wohl genau bei uns auf der Insel gipfelt (symbolisch zwischen den beiden Stadtteilen Buda und Pest). Daher wird im Vorfeld hier die Hölle los sein und die Fahrt in Richtung MVM Dome erschwert sein. Und zu guter Letzt ist das Final Four ja auch kein Kindergarten-Elternabend, wo nur 20 Autos unterwegs sind, da ist mit Verkehrschaos zu rechnen. Also alles in allem nur sinnvoll, mich da unserem hochprofesionellen Paparazzi anzuschließen.

Am Dome angekommen plagt mich der Hunger, also wird kurzerhand die lokale Gastronomie unter die Lupe genommen. Nicht weit von der Halle ist ein Gasthaus zur goldenen Möwe, also schnell rein und bestellen. Doch ich bin etwas enttäuscht. Das Angebot ist im Vergleich zu den Standorten in Deutschland ausbaufähig, der Big Tasty Bacon hat außer dem aussehen nichts mit einem Big Tasty Bacon zu tun: Es fehlt der Bacon! Die Getränkeauswahl ist mau, die Mayo hab ich schon besser gegessen. Immerhin die Pommes sind gut. Zurück an der Arena geht es für mich ins Media Center, wo ich schon einmal den Laptop hochfahre und ein bisschen ins Tippen komme. Da sprechen mich auf einmal zwei junge Damen an und fragen mich nach irgendeinem Matteo. Maximal überfordert verstehe ich erst nicht, was die beiden von mir wollen, muss ihnen dann aber leider absagen, dass ich keinen Matteo kenne und verweise sie an den Infodesk. Anscheinend sehe ich entweder aus, wie ein Matteo, oder einfach nur hilfsbereit. Vielleicht war ich aber auch die erste Person die im Raum sitzt, die das Duo ansprechen konnte. Wer weiß.

Györer Fans machen das Ding zu einem Hexenkessel

Was ich auf jeden Fall weiß, ist, dass die Halle der Wahnsinn ist. 20.022 Plätze – mehr als jede Halle in Deutschland (die Lanxess Arena in Köln hat 22 Plätze weniger). Und noch dazu weiß ich, dass die ungarischen Fans von Györ abartig laut sind. Als die Spielerinnen zum Warmmachen die Halle betreten wird es im Dome ohrenbetäubend laut. Doch auch die SG braucht sich nicht verstecken. Bei der Frage der Moderatoren, welche Fans denn schon in der Arena sind, sind die Ellentäler Supporter die zweitlautesten hinter den Lokalmatadoren. Team Esbjerg, das im ersten Halbfinale steht, enttäuscht hingegen ein bisschen, hauptsächlich, da noch keine Trommeln im Block sind.

Und dann geht das Licht aus. Musik fängt an zu spielen, Destination Calabria (wahrscheinlich besser bekannt als dieses eine Lied mit viel Saxofon). Eine Eröffnungsshow mit Tänzerinnen und Tänzern, die Gänsehaut in mir auslöst. So langsam realisiere ich, dass ich wirklich beim Final Four sitze und gleich die vier besten Teams der Welt live erleben darf. Ich freue mich wie ein kleines Kind, bei dem die Mutter ausnahmsweise mal nicht gesagt hat, dass Brot zuhause ist, sondern, dass es jetzt zu McDonalds geht. Ich kriege ein Grinsen nicht aus dem Gesicht, es ist der pure Wahnsinn und dabei geht das Spiel noch nicht mal los. Als dann die Spielerinnen von Györ einlaufen wird es wieder unfassbar laut, die Fans der Ungarn haben in ihrem Fanblock ein riesiges Banner mit dem Vereinswappen gehisst. Mittlerweile finde ich keine Superlative mehr für dieses geile Event. So weit weg vom Amateursport ist die Veranstaltung aber doch nicht: Nach 18 Sekunden im ersten Halbfinale muss nämlich schon der erste Ball gewechselt werden, weil keine Luft drin ist.

Richtig Luft ist dafür im ersten Halbfinale. Alter Schwede, oder sollte ich sagen alte Norweger? Die beiden Schiedsrichter machen in der ersten Halbzeit leider kein gutes Bild und sind wie ein Fußballplatz, wo der Greenkeeper vor dem Spiel noch nicht mit dem Kreide-Wägelchen drübergefahren ist: Ihnen fehlt die Linie. Dafür ist richtig Stimmung in der Butze, die Györ-Ultras machen mächtig Rabatz und peitschen ihr Team nach vorne, als sie zu Beginn noch hinten liegen, drehen sie den Rückstand zur Pause auf 13:9. Zur Halbzeit ist dann auch die SG-Flotte in der Arena angekommen und Jakob Vestergaard liefert direkt einen druckreifen Spruch. Auf die Frage, ob das denn gegen Metz gut laufen wird, meint er nur: „Wenn das nichts wird, dann keine Ahnung, können wir Tischtennis spielen gehen.“

Das erste Halbfinale ist inzwischen vorbei und es ist klar, dass Györs Keeperin Sandra Toft sich nach der Zeit im Handball keine Sorgen machen braucht, um einen späteren zweiten Karriereweg: Sie tritt als Zauberin auf. Was die Frau in dem Spiel da hinten weggehext hat, war teilweise schon absurd. Drei Minuten vor Schluss kassiert sie bei einem Tor Vorsprung einen Treffer zentral auf die Fontanellen, schüttelt sich kurz und macht weiter, sodass sie in der letzten Sekunde der Partie einen Konter von Kristine Breistol wegnimmt, der das Spiel in die Verlängerung geschickt hätte. Nach der Parade wundert es mich, dass der MVM Dome noch ein Dach hat, die Györer Fans haben das nämlich schier abgerissen.

Freitag, 31. Mai 2024

Ausgeschlafen und fit stehe ich auf, es ist 10 Uhr, das heißt, dass ich das Frühstück verpasst habe. Völlig egal, tue ich sowieso sonst auch nicht. Mit der ersten Amtshandlung des Tages geht es tatsächlich direkt an die Spielstätte, den MVM Dome. Dort wartet nämlich die Akkreditierung auf mich – in anderen Worten, das Teil, das mir letztendlich Zugang zur Arena verschafft. Vor unserem Hotel warten die Taxen, rein und Abfahrt. Tatsächlich bin ich mir nicht sicher, ob mein Taxifahrer nicht Zslot Baumgartner ist (für alle, die nicht dieses nischige und unnütze Sportwissen besitzen: Zslot Baumgartner ist der einzige Formel 1-Fahrer, der 2003 und 2004 für Minardi und Jordan unterwegs war). In Budapest gibt es wohl für Taxen keine gesetzlichen Blinker, auch Geschwindigkeitsbegrenzungen scheinen nur ein Richtwert zu sein. Für mich umso besser, ich komme schneller an der Arena an und muss erst mal schauen, wo ich überhaupt hin muss. In einer Mail stand etwas von „Tor 11“, auf einem Lageplan der Arena sind allerdings die Tore 1 bis 10 eingezeichnet, sowie das Tor 12, von meinem Tor der Begierde ist allerdings nichts zu sehen. Also einmal halb um den Block rum und... da steht ein Zaun. Naja, vielleicht kann mir ja der Sicherheitsmensch weiterhelfen. Mit Händen und Füßen versuchen wir uns zu verständigen, bis er mich in den abgesperrten Bereich lässt und zeigt, dass ich wohl erneut halb um die Halle rum müsse. Gesagt getan laufe ich an der Arena vorbei, weiteres Personal scheint es nicht zu interessieren, dass ich hinter den Absperrungen durchlaufe. Bei Tor 11 endlich angekommen stehe ich auf einem riesigen Parkplatz, von einem Media Center ist aber nichts zu sehen. Es stellt sich heraus, dass die Tür, auf der „Nur Mitarbeiter“ steht, zur Akkreditierung führt. Wie konnte ich da nicht drauf kommen, ist ja klar beschildert.

Mit dem Taxi geht es wieder zurück ans Hotel, falls sich übrigens einer fragt, ob wir auf der Westseite der Stadt (also Buda) oder der Ostseite der Stadt (Pest) liegen: Weder noch. Da wir mitten auf der Donau sind, und die Donau die Grenze der beiden Stadtteile zieht, sind wir quasi die Schweiz – neutral. Wahlweise könnte man uns aber auch heimatlos nennen. Endlich am Hotel angekommen geht es auch direkt weiter mit dem Trubel. Media Calls, die Spielerinnen und Trainer müssen sich einem halben Duzend Kameras und TV-Teams stellen und dazwischen stehe ich mit meinem Handy, meiner Handyhalterung und ein paar Ansteckmikrofonen. Ich fühle mich, als würde ich in Jogginghose im Ritz-Carlton sitzen – etwas underdressed. Beim nächsten Mal nehme ich auch einfach eine große Kamera mit, auch wenn ich sie nicht brauche, nur um auch cool auszusehen. Trotzdem komme ich an alle Infos, die ich brauche und erfahre von Kelly Dulfer, dass Team Jung im Fußball wohl echt schlechter sein muss, als Schalke 04. 80:6 ging die Partie anscheinend aus, ein Trauerspiel. Anschließend geht es ans tippen. Insgesamt drei Artikel müssen heute noch fertig werden – zum Zeitpunkt, an dem ich das hier schreibe, sind sie das endlich auch. Hinzu kommt ja noch das Zeug für Social Media. Zeit für Essen bleibt keine, wird aber auch überbewertet. Das kann ich um viertel vor fünf dann endlich mal angehen, aber ausgiebig schlemmen ist nicht. Um 18 Uhr steht ja auch schon wieder das Opening am MVM Dome an, da muss ich schließlich auch dabei sein.

Dort trifft man bekannte Gesichter. Trommler, Ultras und viele Fans, die auch sonst überall mitfahren. „Hurra, Hurra, Bietigheim ist da“ schallt durch den MVM Dome. Die SG-Fans machen richtig Lärm und sind die lautesten beim Fan-Opening. Nur die Pyrotechnik, die bekanntlich kein Verbrechen ist, fehlt noch. Aber die kommt dann hoffentlich beim Finale. Doch nicht nur die Fans haben sich ins Zeug gelegt, auch das Team macht einen guten Eindruck. Die Frauen alle im dunkelblauen Hemd, die Männer in der weißen Variante mit zusätzlicher Fliege – sollten die Jungs öfter tragen. Den Tagesausklang macht – wie könnte es anders sein – erneut ein wohl verdientes Feierabendbierchen. Gerne würde ich hier mehr aus dem Nähkästchen plaudern und erzählen, was so alles im Team-Raum der SG gequatscht wurde. Leider ist das dort wie auf der Mannschaftsfahrt: Was im Team-Raum passiert, bleibt im Team-Raum! Also leider keine Geheimnisse für euch da draußen.

Donnerstag, 30. Mai 2024

2.30 Uhr. Der Wecker klingelt und reißt mich aus dem Schlaf. Wobei, so ganz stimmt das nicht. Einerseits klingelt mein Wecker nicht, sondern mein Handyalarm auf dem Nachttisch vibriert und spielt mir die Anfangsakkorde von „Junge“ von den Ärzten. Andererseits reißt es mich auch nicht aus dem Schlaf, da ich seit ungefähr halb eins wach liege. In eineinhalb Stunden ist Abfahrt in Bietigheim, da muss ich aber auch erst noch hinkommen. Also schnell aufgestanden und frisch gemacht. Erstaunlicherweise muss mich die Dusche nicht mal wachrütteln, das bin ich schon. Ein letzter Check durch alle Zimmer, dass ich auch ja nichts vergessen habe und dann gibt es kein Zurück mehr. Ins Auto gesetzt und ab in Richtung Ellental. Auf der Fahrt dahin fällt mir natürlich doch sofort eine Sache ein, die ich vergessen habe – eine Powerbank. Aber wer braucht das schon, ich habe ja nur kaum Technik dabei. Um 3.30 Uhr komme ich an der Halle am Viadukt an, ein einziges SG-Auto steht bereits da, da sitzt aber niemand drin. Ich bin tatsächlich der Erste, doch bleibe nicht lange der Einzige. Schnell füllt sich der Parkplatz, nicht nur mit Spielerinnen, sondern auch mit dem Trainer-Team und natürlich dem Mannschaftsbus, der gleich die gesamte Flotte zum Flughafen fahren wird. Die Stimmung ist verständlicherweise ruhig, sind die meisten Leute ja sonst nicht unbedingt um 4 Uhr in der Früh wach. Nur einer ist schon auf Betriebstemperatur: Teammanager Felix Bauer kümmert sich um alles und wuselt durch den Bietigheimer Nachtregen. Dabei ist er keineswegs hektisch, vielmehr kümmert er sich um die Organisation wie ein Sekretär im Landratsamt, der mit Sonnenbrille und kurzer Hose am Arbeitsplatz sitzt: Er verwaltet lässig.

Im Bus auf dem Weg Richtung Flughafen ist dann die ganze SG-Besatzung mit an Bord. Die ganze SG-Besatzung? Nein! Physiotherapeutin Anna-Christina Burghardt hat die Abfahrt verschlafen. Da sie dementsprechend nicht auf die duzende Anrufen von den Team-Mitgliedern reagiert, werden Szenarien ausgemalt. Vielleicht ist ihr Handy leer? Vielleicht hat sie es vergessen? Vielleicht schläft sie wirklich nur? Vielleicht ist ihr aber auch etwas passiert, es war ja durchaus starkes Aquaplaning in den frühen Morgenstunden. Alle Möglichkeiten der Kontaktaufnahme werden mobilisiert, egal ob Versuche im Telefonbuch, Social Media oder Leuten, die aus dem gleichen Dorf kommen. Am Ende stellt sich heraus, dass sie tatsächlich verschlafen hat, da war es aber schon zu spät und auch das Gehetze per Taxi zum Flughafen reicht nicht – sie verpasst den Flieger und fliegt abends nach.

Derweil sitzt die SG-Besatzung im Flieger. Die eine liest, die andere schläft, die nächste hört Musik. Nach leichten Turbulenzen kommt das gesamte Team (minus eins logischerweise) in Budapest an und wird mit 20 Grad und Sonnenschein empfangen. Nach kurzem Wartespiel auf das Gepäck und kurzem Tetrisspiel beim Einladen in den Bus – der bereits adäquat für das Final Four in Schale geworfen wurde – geht die Fahrt zum Hotel los. An unterschiedlichen Stadien und Arenen vorbei, bei denen Danick Snelder aus dem Nähkästchen plaudern kann (sie spielte von 2016 bis 2020 in der Hauptstadt), geht es über und dann auf die Donau. Ja, richtig gelesen: Das Hotel der SG BBM Bietigheim – und von allen vier Halbfinal-Teilnehmern – ist auf einer Insel auf der Donau. Während die Mannschaft bereits morgens um halb zehn eingecheckt ist, muss ich noch darauf warten, dass mein Zimmer frei wird. Ich habe nämlich nicht mit dem Team mitbuchen können, da die SG ein begrenztes Limit an Delegationsplätzen hat. Als Pressevertreter musste ich also alles selbst nachbuchen, Stand jetzt hat das aber gut geklappt.

Warten auf Godot... oder eben doch nur das Zimmer

Update, es ist mittlerweile kurz nach eins, ich sitze noch immer in der Lobby und warte auf mein Zimmer. In einer Stunde etwa habe ich ein Interview mit Youngster Anne With. Ob ich bis dahin mal mein Zimmer von innen gesehen habe, ist zu bezweifeln.

Nein. Habe ich nicht. Um 14 Uhr treffe ich mich mit Anne und wir haben ein klasse Gespräch, eine halbe Stunde später dann endlich die gute Nachricht: Nach fünf Stunden Wartezeit darf ich mein Zimmer beziehen. Das heißt Taschen in die Hand, ab in den achten Stock und... wow. Eine tolle Aussicht, ein schönes Zimmer und das Beste: Ein weiches, großes, einladendes Bett. Tatsächlich falle ich nach nur zwei Stunden Schlaf am Vorabend auf die Matratze und penne ein. Bis kurz nach sieben kann ich mich erholen und nach dem Aufwachen auch endlich mal etwas essen, das habe ich heute auch noch nicht getan (außer ein kleines Frühstück, das mir freundlicherweise von Fotograf Marco Wolf in die Lobby geliefert wurde). Mit einem Feierabendbierchen mit der SG-Besatzung wird der erste Tag ausgeklungen und um kurz vor zehn abends liege ich im Bett. Von dort schreibe ich auch gerade diese Zeilen und beende damit den ersten Abend des Abenteuers Budapest. Was morgen bringt weiß ich noch nicht.

Schau mer mal, was wird.

Mittwoch, 29. Mai 2024

Zum siebten Mal laufe ich durch meine Wohnung und suche beinahe panisch nach Dingen, die ich eventuell für den Trip brauchen könnte. In vier Tagen in der ungarischen Hauptstadt könnte man ja auch fast den gesamten Hausstand gebrauchen. Eine Sporttasche voller Klamotten inklusive Kulturbeutel und ein Rucksack mit aller Technik: Laptop, Ladekabel, Handy, Ladekabel, anderes Handy, noch ein Ladekabel, Gimbal, Ansteckmikrofone, ein zweiter Laptop und ihr habt es geahnt: Noch. Mehr. Ladekabel. Es könnte eines kaputt gehen und noch ein zweites und noch ein drittes. Dann würde ich ziemlich doof dastehen. Aber all das Grübeln bringt doch nichts, denke ich mir irgendwann nach vier Stunden Kopf zerbrechen und Sorgen machen, schließe den Reißverschluss beider Taschen und lege mich schlafen. Schließlich geht der Bus von der Halle am Viadukt zum Flughafen am nächsten Morgen ja bereits um 4 Uhr. Doch schlafen ist nicht. Zu sehr schwirren mir die Gedanken durch den Kopf: Was, wenn ich doch etwas vergesse. Was, wenn das Gepäck zu schwer ist. Was, wenn ich nicht durch die Kontrolle komme. Was, wenn irgendwas mit den Tickets oder der Hotelbuchung nicht stimmt. Von links nach rechts im Bett gedreht und wieder zurück. Irgendwann ist 22 Uhr und ich schlafe endlich ein. Morgen geht es los!

 
 
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