Daheim bleiben: Radfahren mit dem Programm „Zwift“, Beamer und Leinwand Virtuell unterwegs in New York

Von Andreas Eberle
Der Bissinger Jörg Weiner vom Radsportverein Besigheim tritt im heimischen Keller kräftig in die Pedale und macht die Straßen der Metropole New York unsicher – zumindest virtuell. Mit ihm sind viele andere Fahrer aus der ganzen Welt auf der Strecke. ⇥ Foto: Martin Kalb

Jörg Weiner hält sich im heimischen Keller auf seinem Rennrad fit und nutzt dabei die weltweite Online-Plattform „Zwift“. Beim Vor-Ort-Termin erklärt der Bissinger, wie das Ganze funktioniert.

Jörg Weiner tritt kräftig in die Pedale seines Rennrads, während er durch New Yorks Straßen rollt. Der 45-jährige Diplom-Ingenieur aus Bissingen überholt trotz Steigung mehrere Fahrer, die aus allen Ecken der Welt kommen – aus Frankreich, Spanien und den Niederlanden, aus den USA und Brasilien, aus Japan und Neuseeland. Unter das Reifengeräusch mischt sich Vogelgezwitscher. Doch real ist das alles nicht – das Szenario ist vom Computerprogramm „Zwift“ erzeugt. Weiner befindet sich nicht etwa im Big Apple, sondern im heimischen Bissingen, wo er im Keller seines Reihenmittelhauses auf einem Rennrad trainiert – und mit und gegen andere Teilnehmer fährt.

„Für mich geht’s in erster Linie darum, dass ich zumindest daheim Sport treiben kann, wenn aus irgendwelchen Gründen Sport draußen nicht möglich ist“, sagt Weiner, der beim Radsportverein Besigheim Mitglied ist und beim „Punkt-8-Team“ mitfährt. Selbst Stars der Szene wie André Greipel oder Edvald Boasson Hagen nutzen die weltweite Online-Plattform für virtuelles Radfahren.

Eine gewisse Ausrüstung ist für das Vergnügen freilich unabdingbar: Das Hinterrad seines Rades ersetzt Weiner vor den Einheiten durch einen smarten Rollentrainer, der über einen Bremsantrieb und eine Steuerplatine verfügt. Per Funk ist das Trainingsgerät mit dem Laptop verbunden. Ein Beamer projiziert die Strecke auf eine zweimal zwei Meter große Leinwand.

Pulsgurt misst die Herzfrequenz

Die App „Zwift“, die die Touren simuliert, hat etwa 30 verschiedene Trainingsprogamme in petto und stellt dem Sportler viele nützliche Informationen zur Verfügung. So werden Leistung, Tempo, zurückgelegte Distanz, Steigung und Gefälle ebenso angezeigt wie die Herzfrequenz, die via Pulsgurt übertragen wird. Und natürlich sieht man die Avatare, Spitznamen und Nationalitäten der Mitstreiter. „Um sechs Uhr morgens sind besonders viele Asiaten unterwegs, dann kommen immer mehr Neuseeländer und Australier dazu, und gegen Abend steigen die Fahrer aus den USA und Kanada ein“, hat Weiner beobachtet. 2068 Fahrer sind an jenem Donnerstagvormittag beim Vor-Ort-Termin zur gleichen Zeit im System. Andere Anbieter liefern, gegen einen entsprechenden Obolus, sogar maßgeschneiderte Trainingspläne für „Zwift“ – nach einer zuvor erfolgten sportmedizinischen Untersuchung und Leistungsdiagnostik.

Für Weiner ist das allerdings dann doch zu viel des Guten. Seit drei Jahren greift der dreifache Familienvater auf „Zwift“ zurück, um sich fit zu halten, wenn das Fahren im Freien durch die Witterung – Schnee, Regen, Eis, Kälte oder aber auch Hitze bei Temperaturen über 35 Grad – nicht möglich oder angenehm ist. Im Schnitt legt Weiner pro (Winter-) Saison in seinem Keller 2000 Radkilometer zurück.

Mit Kumpels, etwa aus dem RSV Besigheim, verabredet er sich aber nicht zum Um-die-Wette-Fahren via Smarttrainer und Computer. „Es bringt mir nichts, wenn ich weiß, dass neben mir jemand fährt, den ich kenne. Ich will da auch nicht telefonieren müssen“, sagt Weiner. Gruppenausfahrten mit den Teamkollegen macht er lieber in der realen Welt. Das sei auch wesentlich kommunikativer, so der VfB-Fan.

Die Systemtöne und Umgebungsgeräusche, die das Computerprogramm bereitstellt, hat Weiner normal ausgeschaltet. Stattdessen hört er bei seinen virtuellen Ausfahrten lieber Hardrock und Metal, zum Beispiel Metallica, eine seiner Lieblingsbands. Im Cyberspace darf er tun, was im Freien untersagt ist. Daheim ist mangels Gefahrenlage auch kein Helm nötig oder Pflicht. Dafür trägt Weiner eine Unterhelmmütze für den tropfenden Schweiß, und auf dem Lenker liegt stets ein Handtuch parat. „Draußen hat man den Fahrtwind zur Kühlung. Der fehlt zu Hause natürlich, darum kommt man schon ordentlich ins Schwitzen“, berichtet der Bissinger.

Außer für New York haben die Software-Entwickler auch für Innsbruck und London Radtouren entwickelt. Damit bei den Nutzern keine Gewöhnungseffekte auftreten, werden die Kurse regelmäßig modifiziert. Die fiktive Insel Watopia ist Weiner besonders in Erinnerung geblieben: „Da fährt man in einer Vulkanlandschaft an Lavaströmen entlang.“

Programmierte Gags

Mitunter haben die Macher auch Gags eingebaut, etwa Dino-Skulpturen am Straßenrand. Veranstaltet werden auch Wettbewerbe, bei denen die Sieger reale Preise – etwa ein Fahrrad – gewinnen können. Darüber hinaus existiert ein Bonussystem. Mit Punktegutschriften können die Teilnehmer im virtuellen Shop einkaufen und zum Beispiel das Standard-Trikot durch ein Wunsch-Dress ersetzen. Für Weiner wird das computergestützte Hometraining aber immer eine Notlösung bleiben: „So aufwendig und gut die Systeme auch sind – es geht nichts über das Fahren im Freien.“

 
 
- Anzeige -