Der Geschäftsführer der RKH-Kliniken im Gespräch "Weg von der Effizienzsteigerung"

Von Gabriele Szczegulski
In der Corona-Hochzeit waren vor allem Pflegekräfte auf den Intensivstationen und an den Beatmungsbetten sehr gefordert. Sie erhalten nun einen Bonus von 500 Euro.⇥ Foto: Martin Stollberg

Es muss sich einiges ändern im Gesundheitssystem, das ist das Fazit aus der Corona-Pandemie von Geschäftsführer Prof. Dr. Jörg Martin.

Im Klinikenverbund der Regionalen Kliniken Holding (RKH) Ludwigsburg hat „der Exit begonnen“, wie es Geschäftsführer Prof. Dr. Jörg Martin nennt. Zur Tagesordnung überzugehen, sei aber falsch: „Wir müssen jeder Zeit wieder in den Krisenmodus gehen können“, sagt er. Gemeinsam mit Nadja Schmidt, der Referentin für Pflege der Holding, resümiert er im Interview die Krise.

Prof. Martin, wie sieht die momentane Lage in den neun Kliniken des Verbunds aus?

Prof. Dr. Jörg Martin: Im Moment haben wir 32-Covid-19-Fälle in den RKH-Kliniken, davon werden fünf in Ludwigsburg beatmet.  In Spitzenzeiten hatten wir fast 40 belegte Beatmungsplätze. Offiziell haben wir 27 solcher Betten, haben aber auf 91 erhöht, wobei wir ja auch immer noch andere Nicht-Covid-Patienten haben, die beatmet werden müssen. Wir haben die Krise bisher gut bewältigt. Der Exit hat ganz vorsichtig begonnen, geplante Operationen werden wieder durchgeführt. Wir fahren jetzt in einen Modus hoch, den man schnell wieder in den Krisenmodus schalten kann. Zudem testen wir alle Patienten, die neu eingeliefert werden, auf Covid-19. Und auch wenn möglich, das Personal, sofern wir genügend Test-Reagenzien haben.

Und die haben Sie nicht? Es gebe doch, so heißt es vonseiten der Politik, genügend Tests?

Martin: Diese Aussage stimmt nicht, darüber ärgere ich mich. Wir kämpfen jeden Tag, um eine ausreichende Zahl von Test-Reagenzien zu haben. Es gibt Schwierigkeiten beim Nachschub. Deswegen können wir lange nicht so testen, wie wir wollen, vor allem nicht unser Personal. Deshalb bin ich schon verwundert, dass die Bundesliga-Vereine jeden Spieler mehrmals pro Woche testen können.

Reicht Klatschen zur Wertschätzung der Pflegemitarbeiter aus aus?

Nadja Schmidt: Nein. So freundlich diese Gesten der Bevölkerung sind, was wir brauchen, sind langfristige Lösungen. Zum Beispiel eine echte Honorierung der Leistung der Beschäftigten im Gesundheitssystem. Die Gesellschaft muss sich die Frage stellen, was ihr deren Arbeit wirklich wert ist.

Ist die Versorgung von Covid-19-Patienten auf Kosten des Personals auf anderen Stationen gegangen?

Schmidt: In der Krisenzeit kam es fast täglich zu Veränderungen in den Stationsstrukturen. Während Covid-19 Patienten gebündelt auf Covid-Stationen versorgt wurden, mussten  andere Standorte wie Bietigheim auch fachrichtungsübergreifend die nicht infizierten Notfallpatienten versorgen. Das war für die Mitarbeiter natürlich belastend. Unser Ziel ist es, dass am Tag auf jeder Station eine examinierte Pflegekraft, unterstützt von Pflegehelfern und möglichst auch Stationsassistenten, zehn Patienten versorgt und in der Nacht 20. Wir wissen, dass dieser Personalschlüssel unbefriedigend ist und wir wissen auch, dass wir ihn nicht immer erreicht haben. Mitarbeiter, die auf Stationen und Bereichen arbeiteten, die während des Lock Downs weniger Patienten  zu versorgen hatten, haben teilweise Überstunden abgebaut, wobei niemand Minusstunden ansammeln musste. Zwangsurlaub haben wir keinen verhängt.

Martin: Wir müssen ehrlich zugeben, dass die Pflege ein paar harte Jahre hinter sich hat. Jetzt ist der Zeitpunkt, mit voller Kraft an der Verbesserung der Zustände zu arbeiten. Wenn ein Patient mit Covid, der bei uns eingeliefert wird, auf einen Schlag zu 20 Mitarbeiter Kontakt hat, die alle in Quarantäne müssen, bricht das einer Klinik fast das Genick und die übrigen Mitarbeiter gehen an ihre Grenzen.

Was kann eine Klinik tun, um dem Pflege-Notstand zu begegnen?

Schmidt: Es gibt nicht nur eine Antwort auf diese Frage. Eine Strategie ist, selbst so viel wie möglich auszubilden.  Wir bilden zur Zeit zehn Pflegefachkräfte und 25 Pflegehelfer aus. Übrigens auch in Teilzeit, um den Einstieg in den Pflegeberuf für Eltern mit kleinen Kindern zu erleichtern. Diese Zahl wollen wir in den nächsten Jahren drastisch erhöhen. Aber auch verlässliche Dienstpläne und die Arbeitsbedingungen auf den Stationen sind wichtig. Unser Ziel ist, als guter Arbeitgeber bekannt zu werden. Eine finanzielle Aufwertung erhoffen wir uns aus den Tarifverhandlungen.

Ist die Finanzierung von mehr Pflegekräften ein Problem?

Martin: Nein. Seit Januar 2019 werden die Pflegefachkräfte von den Krankenkassen voll refinanziert. Die Refinanzierung der Pflegehelfer und Hilfskräfte auf Station wird derzeit diskutiert und wahrscheinlich durchgeführt. Wir haben also kein Interesse daran, an Pflegekräften zu sparen. Wir suchen händeringend nach Fachkräften, wie die anderen Kliniken auch. Es ist uns aber auch klar,  dass ohne Aufwertung des Pflegeberufes der Markt weiterhin leer bleiben wird.

Ist ein steuerfreier Boni eine Lösung, die Wertschätzung zu zeigen?

Martin: In dieser Krise, zeitweise, ja. Wir haben eine Pandemie-Betriebsvereinbarung mit dem Betriebsrat geschlossen. Alle Mitarbeiter, die in definierten Corona-Bereichen arbeiten,  erhalten eine Zulage je nach Beschäftigungsumfang.  Ging eine Versetzung von einem anderen Standort voraus, erhöht sich diese.

Warum nur diese Pflegekräfte, ist das nicht ungerecht?

Martin: Ich fände es ungerecht, wenn die Mitarbeiter, die in den Corona-Bereichen dem Risiko einer Ansteckung oder Mehrarbeit ausgesetzt waren, keine herausgehobene Anerkennung erhalten würden. Die geforderte Prämie von 1500 Euro für alle Mitarbeiter würde uns  10 bis 14 Millionen Euro  kosten.  Die Refinanzierung der Covid-Krise sieht einen Bonus nicht vor, das würden wir aus eigener Tasche zahlen.

Können die Krankenhäuser und die Gesundheitspolitik aus dieser Krise etwas für die Zukunft lernen?

Martin: Wir müssen daraus lernen. Wir müssen neu nachdenken: Ist es wirklich richtig, Schutzkleidung oder Medikamente aus China und Indien zu importieren, müssen wir nicht schon aus Gründen der Solidarität europäischer denken? Wir haben frühzeitig Medikamente bevorratet.  Meiner Meinung nach müssen wir auch Visionen umsetzen und das System ändern oder weiterentwickeln.

Was sind das für Visionen?

Zurzeit ist Prävention für Kliniken und andere Leistungserbringer eher geschäftsschädigend, wir alle verdienen an Krankheit. Dieses Prinzip gehört auf den Kopf gestellt. Man sollte an Gesundheit der Bevölkerung verdienen, dies bedeutet aber andere Anreizsysteme. Indem jedes Krankenhaus, jeder Arzt und Leistungserbringer für jeden Bewohner eines Landkreises unabhängig, ob er gesund oder krank ist,  eine Summe X bekommt. Mit dieser Summe wird  die gesamte Behandlung der Menschen finanziert. Je mehr ein Krankenhaus in Präventionsarbeit investiert, desto  kostengünstiger arbeitet es, da gesunde Menschen keine Kosten verursachen. Wird wirklich jemand krank, geht ambulant vor stationär. Muss ein Bewohner stationär behandelt werden, muss das Krankenhaus qualitativ so gut sein, dass der Patient auch in das Heimatkrankenhaus kommt. Geht er in ein anderes Krankenhaus, muss das Heimatkrankenhaus diesen Aufenthalt bezahlen. Das Anreizsystem ist: je gesünder die Bevölkerung, desto besser geht es den Kliniken wirtschaftlich. Ich bin überzeugt davon, wenn man jetzt neu denkt, weg von der reinen Effizienzsteigerung und das Gesundheitswesen neu strukturiert, ist die Krise eine Chance.

 
 
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