Der Sachsenheimer Karl Heinz Siber prangert Rede- und Denkverbote an Grüner Vorstand tritt aus Partei aus

Von Mathias Schmid
Karl Heinz Siber ist bei den Grünen ausgetreten.⇥⇥ Foto: Sandra Bildmann

Karl Heinz Siber prangert Rede- und Denkverbote in der Partei an. Bei der Grünen Liste der Stadt will er aber weiter mitmachen.

Karl Heinz Siber ist in Sachsenheim dafür bekannt, zu seiner eigenen Meinung zu stehen. Auch jetzt in der Corona-Krise fühlt er sich zumindest von anderen gesehen als „einer, der mit den Querdenkern sympathisiert“. Für seine Partei, die Grünen, hat er nach eigenem Empfinden zu viel quer gedacht. Deshalb ist der bisherige Vorstand des Grünen Ortsverbands (OV) Sachsenheim jetzt aus der Partei ausgetreten.

„Die Grünen sind mittlerweile Teil des gesamtgesellschaftlichen Problems, das mir zu schaffen macht, und nicht Teil der Lösung“, bedauert der 71-Jährige. Auch innerhalb seiner bisherigen Partei nehme er eine „Verschlechterung der demokratischen Kultur“ wahr. Er erläutert: „Es gibt immer mehr Denkverbote. Es sei „nicht mehr Konsens, dass man alles denken und sagen darf“, was sich im rechtlichen Rahmen bewege.

Als ein Beispiel nennt er die aktuelle Corona-Politik: „Man darf nicht mehr sagen, wenn man glaubt, dass es nicht mit rechten Dingen zugeht.“ Man würde gar verurteilt, wenn man sich auf bestimmten Plattformen, die der „Querdenker“-Szene nahestehen, informiert. „Die Leute interessiert gar nicht, was im Artikel steht, sondern dann heißt es: ‚Geh nicht zu Reitschuster’“, berichtet er von einem Fall, der ihm auf Kreisebene widerfahren sei.

„Kann sein, dass ich falsch liege“

Auch außenpolitisch bewegten sich die Grünen „auf eine Linie zu, die ich nicht gutheißen kann“, betont Siber. Damit meint er vor allem die Russland-Politik: „Man findet viele Texte, die 1:1 aus amerikanischen Denkfabriken stammen könnten. Ich sehe, dass die Grünen voll auf Nato-Linie sind.“ Der freiberufliche Übersetzer und Autor kritisiert weiter: „Es kann ja sein, dass ich falsch liege, aber es kann nicht sein, dass ich gleich als Putin-Versteher abgestempelt und in eine Schublade gesteckt werde.“ Und: „Mich stört, dass die Diskussionskultur sehr gelitten hat.“

Diesbezüglich gibt er auch noch ein „provozierendes Statement“ ab: „Mich stört, dass man versucht, die AfD zu disqualifizieren. Dass man es sogar gut findet, wenn Städte keine Hallen an die Partei vermietet.“ Auch in Talkshows sei die stärkste Oppositionspartei „unterrepräsentiert“. Er sei „absolut kein AfD-Fan.“ Aber er finde, „dass sie ungerecht behandelt werden“.

Seine Beispiele stünden „für das absolute Gegenteil, wofür die Grünen einmal angetreten sind: Völkerverständigung und Friedenspolitik.“ Deshalb war für ihn ein Jahr vor seiner 40-jährigen Mitgliedschaft Schluss. Siber saß 2012 und 2013 im Kreisvorstand der Grünen. Für die Grüne Liste für den Sachsenheimer Gemeinderat hat er mehrfach kandidiert.

Für den Vorstand des OV Sachsenheim hat Sibers Rücktritt wohl keine Auswirkungen, sagt Angela Brüx. Der Vorstand besteht aktuell aus drei gleichberechtigten Mitgliedern: Siber, Brüx und Angela Griesbach. „Wir haben ohnehin im September Neuwahlen. Ich glaube nicht, dass wir davor noch aktiv werden. Aber das müssen wir noch mit dem Kreis-Vorstand besprechen“, sagt Brüx.

Vorstandskollegin widerspricht

Dass man sich bei den Grünen nicht mehr frei äußern kann, dem widerspricht die Kleinsachsenheimerin, die für die Grünen in der Regionalversammlung und für die Grüne Liste Sachsenheim (GLS) im Gemeinderat sitzt: „Das sehe ich überhaupt nicht so. Vielleicht ist Herr Siber nicht mehr in den Kreisen unterwegs, in denen diskutiert wird.“ Sie verweist auf die aus ihrer Sicht zahlreichen Online-Angebote der vergangenen Monate: „Es gibt ständig Webinare, in denen man sich äußern kann. Aber gehört zu werden bedeutet nicht, dass die anderen einem auch zustimmen.“

Dass sich einige grüne Mitglieder eventuell nicht mehr gehört fühlen, führt sie auch auf eine „Änderung in der Struktur“ zurück: „Wir haben viel Zulauf, und vor allem die grüne Jugend ist viel wissenschaftsorientierter. Auf der anderen Seite verlieren wir so auch teilweise Leute, die dem klassischen grünen Klientel entsprechen.“

Sie betont: „Wir bedauern natürlich sehr, dass Herr Siber aus der Partei ausgetreten ist und sind sehr dankbar für sein langjähriges Engagement.“ Siber selbst kündigt gegenüber der BZ an, sich weiter auf Ebene der GLS, aus der auch die Gemeinderatsmitglieder hervorgehen, engagieren zu wollen. „Aber ganz lokal für Sachsenheim.“

Update: Auch Kreisverband weist Vorwürfe zurück

Der Kreisverband der Grünen weist die Vorwürfe ebenfalls „entschieden zurück“. Dazu schreibt Sarah Geißbauer, Vorstandsmitglied und Sprecherin des Grünen-Kreisverbands Ludwigsburg: „Der Kreisvorstand selbst befand sich in keinem nennenswerten Austausch mit Herrn Siber, sodass wir mangels Kontaktaufnahme durch ihn selbst – vom Kündigungsschreiben abgesehen – von unserer Seite weder Positives noch Negatives zu berichten wissen.“

Hingegen verweist der Kreisverband auf „die zahlreichen und vielfältigen Foren, Gruppen und Arbeitsgemeinschaften, die unseren Mitgliedern zur Verfügung stehen.“ Geißbauer betont: „Hierin kann diskutiert und sich mit jeweils aktuellen oder ein einzelnes Mitglied besonders umtreibendes Thema auseinandergesetzt werden.“ Konkret benennt sie neben den Landesarbeitsgemeinschaften (LAGs), die unterschiedliche thematische Felder abdecken und auf Landesebene angelegt sind, auch Grünen-interne Chatgruppen sowie eine im Messenger-Dienst WhatsApp laufende Gruppe für Mitglieder des Kreisverbandes Ludwigsburg.

Geißbauer verteidigt die Diskussionskultur dort: „Sachlich und fundiert geführte Diskussionen zu mannigfaltigen Themen finden dort durchaus statt, sollen und dürfen initiiert werden. Stößt ein Anliegen in diesem Gruppen auf nicht genügend Resonanz, kann jedoch nicht erwartet werden, dass sich dazu ein Austausch entwickelt.“

Und die Kreis-Vorständin stellt abschließend fest: Neben diesen Beteiligungsforen hat uns eine Anfrage, wonach bestimmte Themen auf Kreisebene moderiert und diskutiert werden sollen, von Herrn Siber nie erreicht.

 
 
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